MIDWAY – Bundesstart 07.11.2019
Man muss mittlerweile etwas genauer hinsehen, um einen Film von Roland Emmerich auszumachen. STONEWALL oder ANONYMOUS haben den Krawall-Schwaben unerwartet von einer dramatischen Seite jenseits des Spektakels entlarvt. Wenn Roland Emmerich allerdings einen Film über MIDWAY macht, dann weiß man Bescheid. Man kennt das ja von Michael Bay und seiner Geschichtsaufarbeitung von PEARL HARBOR. Doch Bay hat sich 80 unendliche Minuten Zeit gelassen, um dann in 40 Minuten zu zelebrieren weswegen das Publikum die Auditorien stürmte. Emmerich braucht gerade 300 Sekunden bis es donnert und kracht, bis die Decke und der Boden wackelt, und einem die Augen übergehen. Doch bereits nach wenigen Minuten ist der furiose Auftakt beendet. Aber das war erst der Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941. Das titelgebende Spektakel steht also noch aus, und bei fast lächerlichen 138 Minuten Laufzeit kann das dann gar nicht so lange hin sein.
Großspurig hat Emmerich angekündigt, dass sein neuestes Prestige-Objekt nicht von Schauwerten dominiert werden soll. Die Ereignisse welche zu der für die Amerikaner kriegsentscheidenden Schlacht führten, sollten den zentralen Kern der Geschichte ausmachen. Die diffizile Arbeit der militärischen Geheimdienste und das innerpolitische Geplänkel auf amerikanischer, sowie japanischer Seite, lagen im Fokus. Eine Herausforderung für Wes Tooke, der hier mit seinem ersten Drehbuch für einen Kinofilm debütiert. Denn, so deutet uns diese Hollywood-Lehrstunde an, die Leistung des Geheimdienstes war gar nicht so raffiniert, wie man dennoch darstellen wollte. Vielleicht war es seinerzeit etwas neues, wirklich ausgeklügeltes, unvorhersehbar und gerissen, um heraus zu finden, wo die Japaner ihren nächsten Angriff starten würden. Aus heutiger Sicht allerdings für den Zuschauer ein schnell durchschauter Plan, der sich sehr schwer tut über 90 Minuten gestreckt werden zu können.
Das ganz große Aber, kommt mit der Beschreibung und Inszenierung der einzelnen Handlungsabschnitte und diverser dramatischer Sequenzen. Es bedarf einiger Klicks durch das Internet, und der Beachtung einiger Querverweise, weit weg von auf den Film bezogene Seiten. Man wird erstaunt feststellen, wie geschichtlich akkurat die Umsetzung ausgefallen ist. Das zieht sich sogar hinein bis zu verschiedenen Charakterbeschreibungen und -handlungen. Was eigentlich sofort wie überzogene Hollywood-Dramaturgie ausnimmt, ist in weiten Teilen tatsächlich so geschehen. Was ironischer weise oftmals den Punkt von typischer Emmerich Überzeichnung trifft. Wer hätte das gedacht.
Natürlich gibt auch die Klischee beladenen Momente, die bei solchen Projekten nie ausbleiben, aber unnötig sind. Auch wenn es immer nur Kleinigkeiten sind, wie der bei einem Flugzeugangriff aus dem Auto springende Held, der in die Menge, sprich die Kamera brüllt, alle sollen sich auf den Boden werfen. Was sich gerade auf einem Militärstützpunkt ziemlich dumm ausnimmt, und außerdem die meisten Leute in diesem Moment längst getan haben. Für den Rest des Films macht sich aber Patrick Wilson als Geheimdienstler hervorragend, und ist in seiner leicht vorgeschobenen Hauptrolle bestens besetzt. Woody Harrelson, Dennis Quaid, Aaron Eckhart, Luke Evans und besonders der bisher unauffällige Mädchenschwarm Nick Jonas, überzeugen in ihren historisch korrekt wiedergegebenen Rollen. Allesamt schaffen sie es, hinter dem rationalen Befehlsentscheider und -empfänger, gleichzeitig auch das besorgte und von Zweifeln geplagte Individuum hervor zu heben. Wahre Männer, die ohne Heldentum bestehen. Umso auffälliger ist die kritische Fehlbesetzung von Ed Skrein als Fliegerass Dick Best, der mit seiner kantigen, aufrührerischen, sehr überheblichen Art und übertrieben Männlichkeitsposen in einem Abenteuerfilm aus den Fünfzigern gut aufgehoben wäre. Auch wenn es der realen Person nahe kommen sollte, hätte man im Sinne einer stimmigen Dramaturgie diese Figur besser auf ein glaubhaftes Niveau herunter brechen müssen. Oder noch einmal die Casting-Agentur bemühen sollen.
Trotz aller Bemühungen und Beteuerungen ist MIDWAY ein Kriegsfilm von Roland Emmerich. Und entsprechend sind die Schauwerte auch ausgefallen, wenngleich vielleicht weniger Zeit intensiv im Ablauf. Eigenartigerweise hat der Filmemacher kein großes Studio für dieses Projekt gewinnen können. Vielleicht wegen der thematischen Nähe zu PEARL HARBOR, könnte man zumindest annehmen. So wurde MIDWAY unabhängig produziert, zum größten Teil mit chinesischen Finanzen. Der Chinese mag nichts lieber, als wenn den nach wie vor verhassten Japaner eines auf die Mütze gegeben wird. Noch dazu bei einem geschichtlichen Ereignis, zu dessen Zeitpunkt Japan den chinesischen Nachbarn richtig weh getan hat. MIDWAY ist also mit einem Budget von 100 Millionen Dollar, der teuerste Independent-Film bisher. Was für Roland Emmerich nie ein Problem gewesen war, alles viel teurer aussehen zu lassen. Und so überzeugen auch die grandios choreografierten Schlacht-Szenen und können das Publikum überwältigen.
Da darf natürlich die Bombe nicht fehlen, die auf ein Schiff fällt und dabei von einer Kamera verfolgt wird. Ihrer Einstand feierte diese Kameraeinstellung unvergesslich in PEARL HARBOR. Ist es aber immer wieder wert gesehen zu werden. Etwas irritierender ist hingegen, dass in der Schlussphase des Gefechtes Dick Best dreimal hintereinander einen Angriff fliegt, der in identischen Einstellungen aufgelöst ist. Dafür ist die Gesamtheit der optischen Umsetzung umso interessanter ausgefallen, wo besonders die Außenaufnahmen und Gefechtsszenen einen sehr eigenen Kontrastumfang aufweisen, der etwas leicht künstliches an sich hat, was nichts mit dem CGI generierten Einfluss zu tun hat, sondern eine konstant bedrohliche Atmosphäre aufweist. Der Vergleich zu historischen Schwarzweisaufnahmen liegt dabei am nächsten. Man kann von Roland Emmerich halten was man will. Er hat schon immer Filme auf seine Weise gemacht. Und ein Mann der sich und seinem zugetanen Publikum so unbeirrt treu bleibt, kann eigentlich nicht viel falsch machen. Die Menschen, die glauben hier wieder ihre cineastische Überheblichkeit demonstrieren zu müssen, haben die letzten 40 Jahre verpennt, und hier überhaupt nichts verloren.
Darsteller: Ed Skrein, Woody Harrelson, Patrick Wilson, Dennis Quaid, Luke Evans, Nick Jonas, Aaron Eckhart, Mandy Moore u.a.
Regie: Roland Emmerich
Drehbuch: Wes Tooke
Kamera: Robby Baumgartner
Bildschnitt: Adam Wolfe
Musik: Harald Kloser, Thomas Wanker
Produktionsdesign: Kirk M. Petruccelli
China – USA / 2019
138 Minuten