MIDSOMMAR

Midsommar a, Copyright KINOWELT FilmverleihMIDSOMMAR – Bundesstart 26.09.2019

Nur ein Jahr ist vergangen, das Ari Aster mit seinem fulminant aufgenommenen HEREDITARY seinen Kinoeinstand feierte. Nur ein Jahr, und wieder sorgt Aster für helle Aufregung. Und das sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Nach seinen eigenen Aussagen, musste er mit MIDSOMMAR eine sehr schwierige Trennung verarbeiten. Mit diesen Worten im Hinterkopf, wenn man den Film ‚erfahren‘ hat und dann der Abspann auf der Leinwand läuft, da schreit es einem förmlich hinterher, was für eine Beziehung das gewesen sein muss. Die harmonischen Klänge von The Haxan Cloaks, alias Bobby Krlics abschließenden Thema verkehren sich anhand des letzten Filmbildes zu unbehaglichen Tönen. Wen Ari Aster von den Zuschauern bereits 140 Minuten im Griff hatte, bei dem drückt er mit seinem Komponisten an dieser Stelle noch einmal kräftig zu.

Dani und Christian sind kein harmonisches Paar, ihre Beziehung wirkt eher zweckmäßig. Selbst eine gemeinsame Reise nach Schweden, zusammen mit drei von Christians Kommilitonen, ändert wenig an dem nüchternen Verhältnis. Für Ablenkung sorgt allerdings die kleine Kommune, in der sie im tiefen schwedischen Hinterland unterkommen. Abgeschottet von äußeren Einflüssen wird dort neun Tage lang die Sommersonnwende mit abstrusen Ritualen gefeiert. Die anfängliche Faszination der fünf Gäste, wandelt sich aber mit der Zeit zu einer Tour de Force der Sinne. Denn was die schwedische Gemeinde mit Freuden zelebriert, verstört die fünf Amerikaner zutiefst.

Das Genre des Horrorfilms nimmt mittlerweile den größten Teil des Mainstream-Kinos ein. Viele Filme davon haben sogar eine genauere Definition. Doch was ist mit MIDSOMMAR, der lapidar als Horrorfilm gekennzeichnet ist, aber dennoch nicht wirklich in diese Schublade passt. Auch Psycho-Thriller wäre nicht wirklich treffend, noch weniger Okkult. Ein Freund des konventionellen Horrorfilms wird sich bestimmt bedanken, wenn er auf Grund dieser Definition einen lockeren Abend mit MIDSOMMAR verbindet. Wirklich eindeutig lässt sich Ari Asters zweiter Film nicht bezeichnen.

Noch vor dem Titel tauchen wir ein, in die Welt von Dani, erhaschen eine Ahnung über ihre Beziehung, und erleben mit ihr das schockierende, wirklich düstere Schicksal ihrer Familie. Es ist kein Schreckmoment, es ist keine blutige Szenerie. Aster hat den Zuschauer so subtil an diese Begebenheit herangeführt, das einem der Atem weg bleibt. Von da an ist ganz sicher, dass dies kein Ausflug wird, wo sich der Schrecken mit einem erlösenden kurzen Lacher verflüchtigt. Und trotz der immensen Laufzeit, wird sich diese Anspannung nicht lösen. Aber Sitzfleisch bleibt gefordert. Für manchen Zuschauer wird dies zur Belastungsprobe. Bei den extrem langen Einstellungen, ohne erklärende Handlungselemente, wird MIDSOMMAR immer wieder zur Herausforderung. Ohne weiteres hätte man fast alle Szenen leicht kürzen können, um den Erzählfluss etwas allgemeinfreundlicher zu gestalten, und würde dennoch nichts an Atmosphäre verlieren. Aber das ist eben Ari Asters Sandkasten, und er hat die Formen dafür mitgebracht.

Midsommar b, Copyright KINOWELT FilmverleihEs gibt sehr explizite Gewaltdarstellungen, die in ihrer grafischen Umsetzung ihresgleichen suchen. Ganz wenige nur, aber sie reichen aus um den Horror nach innen zu tragen, ihn im Bewusstsein zu implementieren. Hier auf dieser sonnenüberstrahlten Aue ist alles und jederzeit möglich. Dunkel wird es dank der Mitternachtssonne nicht. Doch es bleiben keine fröhlichen Bilder. Haus und Hof Kameramann Pawel Pogorzelski taucht alles in blasse, kraftlose Farben, das Weiß überstrahlt ein wenig, so das die Bilder unbewusst unangenehm wahrgenommen werden. Lange Kamerafahrten werden durch plötzliche Schwenks aus ihrer meditativen Anmutung gerissen.

Ununterbrochen wird der Zuschauer mit nicht zu deutenden Symbolen konfrontiert, oder unerklärten Bildelementen. Man kommt nicht umhin, Dinge sehen oder verstehen zu wollen, die scheinbar wahllos ins Bild gerückt wurden. Redet jemand aus der Gemeinschaft in Schwedisch, wird dies nicht übersetzt. Das Unbehagen in einem wächst, ohne es genau beschreiben zu können. Aber es ist stets gerechtfertigt. Die letzte Stunde in MIDSOMMAR ist schließlich die Mutigste. Dialoge entfallen, oder werden belanglos. Ein sonderbares Ritual greift in das Nächste. Sie erklären sich aber nicht, und sie scheinen auch in keinem Zusammenhang zu stehen. Eine weitere Entwicklung in der Handlung entfällt. Manchmal sind die Szenen banal, manchmal auch sehr unangenehm. Selbst wenn da noch die Geduld des Zuschauers ob der zeitlichen Länge strapaziert wird, hat Aster sein Publikum im Griff, weil es von Bild zu Bild, von Szene zu Szene verstehen will.

Das unerbittliche Ende kehrt zum ursprünglichen, weil fassbaren Horror zurück, und hat dann doch etwas Erlösendes. Egal in welches Genre man MIDSOMMAR einordnen möchte, oder mit wie vielen Bezeichnungen er definiert werden müsste. Dieser Film bleibt lange im Gedächtnis. So, oder so. Aber mit höchstem Respekt vor Ari Asters radikaler Konsequenz.

Midsommar c, Copyright KINOWELT Filmverleih

Darsteller: Florence Pugh, Jack Reynor, Vilhelm Blomgren, William Jackson Harper, Ellora Torchia, Will Poulter u.a.
Drehbuch & Regie: Ari Aster
Kamera: Pawel Pogorzelski
Bildschnitt: Lucian Johnston
Musik: The Haxan Cloak
Produktionsdesign: Henrik Svensson
Schweden – Ungarn – USA / 2019
147 Minuten

Bildrechte: WELTKINO Filmverleih
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