THE PROFESSOR
AND THE MADMAN
– keine Kinoauswertung
– auf iTunes
Während jedermann das Oxford English Dictionary ein Begriff ist, wird kaum jemand die Person James Murray kennen. Der Autodidakt, dem trotz großer Bedenken, die Arbeit an einem Wörterbuch der englischen Sprache überantwortet wurde. 140.000 Worte sollte das Werk umfassen, woran allerdings Murrays Vorgänger schon im Ansatz scheiterte. Damals sollte es noch New English Dictionary on Historical Principles heißen, und der ehrgeizige neue Mann, den die Philologen Gesellschaft engagierte, hatte weit mehr im Sinn. Unter seiner Leitung sollte jedes englische Wort in das Buch kommen, was ungefähr auf 400.000 geschätzt wurde. Dazu sollte Ursprung, Bedeutung und Entwicklung mit Belegbeispielen aufgeführt werden. 1877 übernahm Murray sein Amt, für das er 5 bis 7 Jahre veranschlagte. 1928 war die Arbeit abgeschlossen. 70 Jahre nach Beginn des Vorhabens, und 51 Jahre nach Murrays beherztem Neuanfang.
In Zeiten von Superhelden, Dinosauriern oder Endzeit Epen, mag es verwunderlich klingen, wie viel Spannung man aus der Entstehung eines Wörterbuches generieren kann. Das Drehbuch braucht dafür keine großartige Beugung von Fakten, oder überspitzte Rennen gegen die Zeit. Die Spannung ergibt sich aus der notwendigen Akribie mit der Murray sein Familienleben auf das Spiel setzt. Parallel gestaltet sich die Geschichte von William Chester Minor, der wegen Mordes und einhergehender Schizophrenie (die als solche, damals noch nicht bekannt war) in einer Nervenheilanstalt für Kriminelle untergebracht ist. Neben einem Stab von angestellten gelehrten Helfern, setzt Murray auf die Mithilfe von freiwilligen Bürgern aller sozialen Schichten und Altersgruppen. Und einer der eifrigsten Einsender von Erstnennungen, Entwicklung und Belegbeispielen ist William Chester Minor. Ihm werden 10.000 Einträge ins Oxford English Dictionary zugeschrieben.
Regisseur Safinia, der mit Todd Komarnicki und Filmlegende John Boorman auch das Drehbuch verfasste, erzählt beide Geschichten zuerst nebeneinander. Mel Gibson als kühler und nahezu besessener Murray, erfährt einen eher nüchternen, rationalen Erzählstrang, während dem beängstigend überzeugenden Sean Penn als Minor eine sehr emotionale Berg- und Talbahnfahrt zuteil wird. Erst in der zweiten Hälfte führt die Handlung beide Figuren zusammen. Dann erfährt die Öffentlichkeit, dass Murray die Hilfe eines geisteskranken Straftäters in Anspruch genommen hat. Die Arbeit am Wörterbuch gerät ins Wanken, da Murray ohnehin genug Neider in den obersten Reihen hat, die gerne dieses Prestigeobjekt übernehmen möchten.
Farhad Safinia erzählt sehr ruhig, verlässt sich mehr auf das Spiel seiner Protagonisten, als auf ausschweifende Dialoge, und hat das Zeitkolorit fest im Griff. Nicht nur die Kostüme und Settings, sondern in erster Linie die sozialen Gepflogenheiten, Rangordnungen, den zwischenmenschlichen Umgang, und die Sprache im Dialog. Aber stets darauf bedacht lieber über Gesten und Mimik zu erklären, als ein Wort zuviel. Unterstützt durch eine mit erzählenden Kameraarbeit von Kasper Tuxen. Die Geschichte um die zwei Hauptpersonen allein ist schon so einnehmend weil spannend, das die anderen ebenso erstklassig besetzten Figuren leider mit den Möglichkeiten ihrer Darsteller zu kurz kommen. Dennoch hat sich die Inszenierung auf zwei Stunden beschränkt, wo ähnlich gelagerte Filme gerne mit epochalen Ausschweifungen aufmerksam machen möchten. Und das ist einer der ganz großen Sympathiewerte von PROFFESOR AND MADMAN, dass er sich auf das Wesentliche beschränkt, dabei doch alle relevanten Aspekte erzählt, und sich den Ansprüchen seines Publikums bewusst bleibt.
Ein Rechtsstreit von Mel Gibson zusammen mit Farhad Safinia gegen das produzierende Studio Voltage Pictures, beendete abrupt alle Chancen auf eine verdiente Kinoauswertung in allen Märkten und breite Marketing-Kampagnen. Hauptdarsteller und Regisseur forderten fünf zusätzliche Drehtage, und Außenaufnahmen an der realen University of Oxford. Wegen des bereits überschrittenen Produktionsetats, wurde dies abgelehnt. Der Fall kam vor Gericht, Gibson und Safinia verloren, woraufhin der Hauptdarsteller jede Art von Promotion verweigerte und der Regisseur seinen Namen für die Nennung in P.B. Sherman änderte. Vielleicht hätte Voltage Pictures auf die beiden hören, oder die beiden ihren falschen Stolz beiseite lassen sollen. Ein sehenswerter Film ist so, oder so.
Darsteller: Mel Gibson, Sean Penn, Eddie Marsan, Jennifer Ehle Ioan Gruffudd, Natalie Dormer, Steve Coogan Stephen Dillane u.a.
Regie: P.B. Sherman (= Farhad Safinia)
Drehbuch: Farhad Safinia, John Boorman, Todd Komarnicki
Kamera: Kasper Tuxen
Bildschnitt: Dino Jonsäter
Musik: Bear McCreary
Produktionsdesign: Tom Conroy
Irland / 2019
124 Minuten