RED JOAN – Bundesstart 04.07.2019
Die Texttafeln zum Ende des Films GEHEIMNIS EINES LEBENS erklären exakt, was der Zuschauer auch in Trevor Nunns Verfilmung in den letzten Minuten sehen und hören durfte. Hinsichtlich der Phrase „inspiriert von einer wahren Geschichte“ decken sich hier wenigstens Realität und die künstlerische Freiheit. Bis auf einen gravierenden Punkt, welcher für den Schluss eher unbedeutend ist, aber den Schlussstrich zieht, unter eine gewaltige Reihe von Freiheiten, welche sich Lindsay Shaperos Drehbuch leistet. Aus dramaturgischer Sicht müssen Änderungen zur wahren Geschichte immer wieder hingenommen werden. Aber fragwürdig ist es, eine eigene Geschichte daraus zu stricken, wenn man sich auf die wahre Begebenheit beruft.
Im Jahre 2000 klingelt es an Melita Norwoods Haustür, und als sie öffnet wird sie von Beamten einer Spezialeinheit festgenommen. Der Vorwurf: Hochverrat. Im Film heißt sie Joan Stanley und beteuert, sich keiner Schuld bewusst zu sein. Wahrscheinlich war es gerade diese Naivität, weshalb Joan nach ihrer Spionagetätigkeit über Jahrzehnte ein unbehelligtes Leben führen konnte. In ruhigen, oftmals malerischen Bildern zeigt Zac Nicholson die Wandlung einer Frau, die ihr Land tatsächlich liebt, und es aus diesem Grund verrät. Regisseur Nunn verzichtet zudem auf ohnehin unnötige Spannungsmomente, sondern ist stets auf seine Figuren konzentriert. Die jeweiligen Sprünge zwischen den Zeiten unterteilt Nicholson in gesättigtere Farben in der Vergangenheit und kühlere Bilder im Jetzt. Eine Welt, die neu und noch unerforscht ist, und eine Zeit, in der dieses Weltbild in sich zusammenfällt.
„Ich habe für die Lebenden gekämpft. Ich liebe mein Land.“ Joan Stanley
GEHEIMNIS EINES LEBENS ist kein Agententhriller, und kein Spionagefilm im herkömmlichen Sinne. In erster Linie erzählt er die Entwicklung einer Frau, die anfangs noch unsicher im Leben steht, ihre erste, und schließlich auch zweite große Liebe findet, und lernt, politische Zusammenhänge für sich interpretieren zu können. Es ist Cambridge in den Vierzigern, und die Engländer möchten endlich die richtigen Atome spalten. Und Joan ist im Entwicklungsstab ganz vorne mit dabei. Wozu sich die Rote Joan letztendlich entschließt, wirkt teilweise nebensächlich, bleibt aber dennoch eine spannende Geschichte. Auch wenn sie dem aufdringlich, manipulativen Kommunisten Leo körperlich erliegt, verweigert sie sich immer wieder seiner Instrumentalisierung.
In all den großartig gezeichneten und hervorragend gespielten Charakteren, zeigt sich leider Tom Hughes‘ Leo als schwächstes Glied im Ensemble von Figuren und Darstellern. Zu offensichtlich, zu hart und offensichtlich zu manisch, will er Joan für seine Sache gewinnen. Immer wieder muss man als Zuschauer fürchten, dass sie seiner übertriebenen Art nachgeben wird, die so gar nicht in die Linie der ansonsten vorherrschenden Glaubwürdigkeit der Schauspieler passt. Da ist natürlich die über jeden Zweifel erhabene Judi Dench. Allerdings dominiert unangefochten Sophie Cookson als junge Joan den Film. Nicht nur in der Handlung, sondern mit ihrer Präsenz und unaufdringlichen Wandlung macht sie sich GEHEIMNIS EINES LEBENS zu Eigen. Zum Wohle des Films und des Zuschauers.
Die schier endlos anmutende Reihe von faktischen Änderungen haben dem Film als solchen nicht geschadet. Aber gewisse Details hätten ihn vielleicht sogar spannender machen können. Wie die Tatsache, dass Melita Norwood, anders als dargestellt, gar keine angehende Physikerin war. Aber das muss eben einfach hinten anstehen, denn der Film ist abgedreht und ins Kino gebracht. Und so ist es trotz allem noch eine spannende Geschichte, mit viel romantischen Einschlägen und behutsamen Dramen.
Darsteller: Dame Judi Dench, Sophie Cookson, Stephen Campbell Moore, Tom Hughes, Freddie Gaminara u.a.
Regie: Trevor Nunn
Drehbuch: Lindsay Shapero
Kamera: Zac Nicholson
Bildschnitt: Kristina Hetherington
Musik: George Fenton
Produktionsdesign: Cristina Casali
Großbritannian / 2018
111 Minuten