Die folgenden Gedanken wurden im November 2008 verfasst. Der massentaugliche Horrorthriller hat sich seitdem weiter verändert. Der Beitrag wurde allerdings nicht überarbeitet, oder aktualisiert.
„Neulich im Kino, da überfielen mich einige verquere Gedanken, erzwungen durch ein sehr unangenehmes Filmerlebnis. Unangenehm, bezieht sich nicht auf die Qualität des Filmes selbst, sondern meine Empfindungen gegenüber dem Gesehenen. Welchen Wandel hatte ich mit dem Horror-Genre im Kino selbst erfahren? Und worin resultiert dieser Wandel?“
Eine Sneak-Preview, erfüllt den spannenden Effekt, dass der Zuschauer erst mit dem Beginn des Filmes erfährt, was er denn zu sehen bekommt. Vielerorts werden diese Sneak-Previews wöchentlich abgehalten, zu einem manchmal hohen Preis. Und dieser Preis ist nicht finanziell gedacht. Es gibt eine Publikumsschicht, die ihr wöchentliches Kinovergnügen auf die Sneak-Preview beschränkt, was einen besonderen Typus von Zuschauer voraussetzt. Dieser Typus tritt stets in Gruppen-Stärke auf und sieht es als besonderen Spaß und Vorzug bei einer Sneak-Preview an, den Film lauthals zu kommentieren, sollte dieser nicht dem Wohlwollen der Gruppe entsprechen.
Mit ‚The Strangers‘ gab es eine Sneak-Preview, bei dem das sonst gerne fröhlich gestimmte Publikum die Stimmbänder ruhig hielt, aber den Mund vor Entsetzen weit geöffnet. ‚The Strangers‘ ist kein sehr guter Film, aber er ist effektiv, zeigt sich originell und befriedigt die niederen Instinkte des Horror-Liebhabers.
Aber ‚The Strangers‘ ist einer von zwei Filmen in diesem Jahr, die nicht nur auf das Genre-Publikum fixiert sind. Mit einem ihrer eiskalten Händchen, grapschen sie nach dem Arthouse-Zuschauer. Arthouse ist ja jetzt so ein Begriff, mit dem man noch vor sehr kurzer Zeit die Programmkinos gemeint hat. Und der Besucher des Programmkinos gibt sich ja sehr gerne intellektuell elitär. Nach außen hin. Da stolpert der Cineast gerne über den Österreicher Michael Haneke, der gerne mal schwere Kost wie ‚71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls‘, ‚Die Klavierspielerin‘, oder auch ‚Cache‘ fabriziert. Michael Haneke machte 1997 den gar nicht so lustigen ‚Funny Games‘ und vertrieb damit sogar das Premieren-Publikum noch bevor der Film zu Ende war. Welchen auf das Mark schlagenden Eindruck ‚Funny Games‘ gemacht haben muss, ist daran zu sehen, das die Amerikaner nicht einfach nur ein Remake davon machten. Michael Haneke sollte seinen Film von 1997 Bild für Bild wiederholen. Sogar der Grundriss und die Größe des Tatort-Hauses wurden exakt kopiert.
‚Funny Games U.S.‘ und ‚The Strangers‘ sind Filme die es sicherlich schon des Öfteren gegeben hat. Da ist eben nichts Neues im Filmgeschäft, aber man muss dann eher im Genre-Bereich suchen, wenn es um vergleichbares geht. Das Kino hat sich in den letzten zehn Jahren soweit entwickelt, das mittlerweile alle Tabu-Grenzen niedergerissen sind. Im Remake von ‚Dawn oft he Dead‘ durfte man sich an einem Baby vertun, und von den menschenverachtenden Exzessen eines Eli Roth mit ‚Hostel‘ soll hier erst gar nicht die Rede sein. Solche Filme werden nicht mehr in schmuddeligen Bahnhofkinos gezeigt und im Trenchcoat unter der Ladentheke auch nicht gehandelt.
Schon Anfang der Neunzehnhundertsiebziger hat bevorzugt Italien die Anhänger von Schädelspalterei und Gedärmverlust mit ausreichend Material versorgt. Und das Genre mit seinem Publikum durfte bis dato als klein und berechenbar eingestuft werden. Niemand nahm an gewaltverherrlichenden Filmen Anstoß. 1980 rückte mit der Verhaftung des Regisseurs Ruggero Deodato der Film ‚Cannibal Holocaust‘ ins Licht der Projektionslampen. Deodato wurde wegen Mordes angeklagt, weil jeder das auf dokumentarisch getrimmte Filmmaterial für echt hielt. Deodato musste seine Darsteller vor Gericht präsentieren, damit die Anklage fallen gelassen wurde. Dies reichte bei weitem nicht aus, denn der Fall hatte ‚Cannibal Holocaust‘ zeitgleich ordentlich Kasse beschert. Die sonst auf Action und Schnulzen abonnierte und sehr schockierte Öffentlichkeit glaubte nicht so recht an irgendwelche Freisprüche und so mussten die gesunden ‚Cannibal‘ Darsteller noch einmal in einer Fernsehsendung gezeigt werden. Von hier an verschwanden exzessive Horror-Filme wieder in den Niederungen und zeigten sich nur sehr selten, und wenn, nur ungern einem allgemeinen Publikum.
Der Trend des immer weiter abstumpfenden Kinogängers hält an. Gerade die Horror-Fraktion jagt sich gegenseitig von einer perfiden Sensation zur nächsten. Und sie können sich eigentlich mit nichts mehr überbieten. Die Neuauflage des ‚Texas Chainsaw Massacre‘ versucht es sogar mit dem besonderen Kick von ‚Nach einer wahren Begebenheit‘. Das wusste Tobe Hooper auch schon als er 1974 das originale Blutgericht servierte, aber da waren solche Lockmittel noch nicht von Nöten. Vielleicht war es abzusehen, aber nur vielleicht, das weniger Blut manchmal mehr sein könnte. Selbst die findigsten Analytiker der Branche zerbrachen sich darüber nicht den Kopf, oder die Schädeldecke. Warum auch, die ‚Saw‘-Serie zum Beispiel muss sich nicht von Fortsetzung zu Fortsetzung toppen, die Zeiten scheinen vorbei. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass wir in einer Zeit der Stagnation angekommen sind, weil dem bereitwilligen Massenpublikum schon alles gezeigt wurde. Hauptsache es werden auf Gebein und Gedärm sehr hässliche Dinge mit Menschen geschehen.
Michael Haneke drehte ‚Funny Games‘ nicht, um das Sub-Genre zu füttern. Ihm lag auch nicht am Wohle des dürstenden Untergrundes, den es nach wie vor gibt, aber längst auch den Massengeschmack getroffen hat. ‚Funny Games‘ ist eine Geschichte von der man immer in der Zeitung liest und sich nicht weiter Gedanken darüber macht. Und es ist eine Geschichte, die man schon sehr oft im Kino gesehen hat und zur Freude der Voyeure immer ein ungesundes, gutes Ende nahm. ‚Funny Games‘ hat kein gutes Ende. Und Bryan Bertinos ‚Strangers‘ hat zwar ein extrem verunglücktes Schlussbild, ist aber alles andere als an Versöhnung mit dem Zuschauer interessiert. In erster Linie überzeugen beide Filme mit einer sehr realistischen Alltagsbeschreibung. Darstellung und Dialog sind darauf ausgelegt, eine sehr vertraute Situation herzustellen und den Zuschauer in eine Welt zu führen die ihm nur all zu bekannt ist.
Und dann bricht der nackte Terror über eine gewohnte Szenerie herein. Kein Splatter und keine Katze die einem schreiend entgegen springt, wenn man die Schranktür öffnet. In ‚Funny Games U.S.‘, eben wie im eins-zu-eins Original, lässt Haneke die Gewalt- und Blutszenen immer außerhalb des Bildes geschehen. Der wirkliche Horror entsteht durch die wohlerzogene Sprache und das freundliche Benehmen der als ‚das Böse‘ auftretenden Protagonisten, deren liebenswürdigen Verhalten man sich Anfangs einfach nicht entziehen kann. Die Radikalität mit der Haneke die unbedarfte Familie dezimieren lässt, ist verstörend, bösartig und an Brutalität nicht zu übertreffen. Und Radikalität ist der Zustand, der bei ‚Funny Games‘ die Schirmherrschaft übernommen hat. Keine Handlung, keine Wendungen, keine Hoffnung. Der blanke Terror, der die vertraute Alltagssituation sprengt. Schließlich fordert eine zehnminütige Einstellung die volle Belastbarkeit des Zuschauers.
Wie schon angedeutet, ist ‚The Strangers‘ eigentlich kein wirklich guter Film. Da ist das Klischee des in der Einsamkeit stehenden Wochenendhauses und der in Personalunion als Autor und Regisseur fungierende Bertino versucht noch die Ursache für das pure Entsetzen dem abgewiesenen Freund des Mädchens in die Schuhe zu schieben. Doch die Situation als solches, fesselt, oder ängstigt das Publikum auf einer ganz anderen Ebene. Die Täter spielen. Katz und Maus ähnlich quälen sie ihre ausgesuchten Opfer, geben ihnen immer wieder das Gefühl entkommen zu sein. Dazu gehören der Verzicht auf Blutfontänen und der Einsatz von Werkzeugen, die weh tun könnten. Schlimmer noch, das Trio des Terrors testet nicht den Zustand ihrer Opfer aus, sondern reizt die eigenen Grenzen aus, bis wohin sie die Oberhand behalten können.
Die angespannteste, aber auch hilfloseste Situation entsteht bei beiden Filmen durch das Vorausdenken des Zuschauers, wie sich die grauenhafte Misere endlich zu einem Schlachtfest des Guten wenden wird. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und sie stirbt. Ohne Hoffnung, ohne Konsequenz, ohne Rücksicht. Der unverhoffte Sieg des Bösen wird nicht mal als Triumph gezeigt. Die Katzen setzten sich einfach an das nächste Mausloch, und warten, regungs- und gefühllos.
„Was ich erlebt habe, war kein ablenkendes, kein vergnügliches Kinoerlebnis. In beiden Fällen war es nachhaltig und wieder eine Bestätigung der alten Hitchcock-Regel, das die Phantasie viel grausamer ist, als das was man zeigen kann. Vielleicht ist der Trend noch nicht wirklich angekommen, aber er hätte eine gute Chance. Mit ein wenig gesundem Menschenverstand, gelange ich hier schnell zur Erkenntnis, das die Macher vielleicht ihre Kunst verstehen, aber ich im Unterhaltungskino doch nicht derartig durch die emotionale Mangel gedreht werden möchte.“
Horror- und Splatterfilme erreichen mittlerweile eine allgemeine Akzeptanz, welche sie quasi salonfähig gemacht hat. Die Variationsmöglichkeiten von gejagten Teenagern, Zerstückelungswerkzeugen und scheinbar ausweglosen Tatorten sind aber fast schon ausgereizt. Die Auswahl der noch einer Neuauflage zuzuführenden 70er Jahre Horrorfilme wird langsam ebenso gering. Das Austesten von Tabugrenzen und seelischen Belastbarkeiten ist schon lange abgeschlossen. Die Aussichten auf neue Trends sind fast schon zwangsläufig. Blut ist lange nicht mehr so attraktiv und deformierte Körperteile haben an Reizen eingebüßt. Der Weg, den ‚Funny Games‘ und ‚Strangers‘ geht, ist eine zutiefst verstörende Möglichkeit. Sie werden zum Äquivalent des Gruselfilmes der 50er und 60er Jahre, als Furcht noch über Toneffekte erzeugt wurde.
Doch was Haneke und Bertino einfach weg lassen, ist der Faktor des Übersinnlichen, und die Auflösung durch Gerechtigkeit. Alles ist reduziert auf die Essenz einer eskalierenden Realität. Der unterhaltsame Aspekt sich zu gruseln ist von Beiden ausgelöscht. Die Freude, das Weiße an den Fingerknöcheln am Kinositz hervortreten zu lassen wird gegen wirkliches Entsetzen ausgetauscht. Solche Filme sind so alt, wie der Horrorfilm selbst. Man hat diese nur nie richtig wahrgenommen und bis vor wenigen Jahren wären sie niemals massenkompatibel geworden. Es herrscht ein Unterschied zwischen den Attributen schockierend und unangenehm. Bei ‚Funny Games‘ war das Publikum 1997 schockiert. ‚Funny Games U.S.‘ hingegen berührte den Zuschauer nur unangenehm.
Das dieses unangenehme Gefühl bei vielen vielleicht nur verdrängte Panik ist, möchte man nicht unbedingt wahrhaben. Abgeschlagene Köpfe sollten eigentlich Spaß machen. Den Zustand unserer Gesellschaft zu reflektieren, haben Filme gerade im massentauglichen Kino schon seit längerem hinter sich gelassen.
„Warum tun Sie uns das an?“
„Weil Sie gerade zuhause waren.“