Dieser Artikel erschien bereits im April 2010
Es war nicht weltbewegend und auch nicht sensationell. Viele dürften der Nachricht, soweit sie überhaupt zur Kenntnis genommen wurde, wenig Beachtung beigemessen haben. Doch der erneute Auftritt von Soldat Wilhelm in einer Großproduktion schüttelt schon im Vorfeld so manchen unersättlichen Fan wach. Und Jon Favreau hat damit einen Coup gelandet, der nur scheinbar unbedeutend wirkt.
Als Regisseur von IRON MAN 2 verkündete Favreau über sein Twitter-Portal, dass Soldat Wilhelm in der Fortsetzung der Comic-Verfilmung zu hören sein wird. Aus dem ehemaligen Insider-Gag wird nun eine Marketing-Kampagne.
Als 1951 Raoul Walsh DISTANT DRUMS – DIE TEUFELSBRIGADE fertiggestellt hatte, benötigte die Postproduktion noch verschiedene Toneffekte. Unter anderem den Schrei eines Mannes, der von einem Krokodil gepackt wird. Es war damals wie heute üblich, solche Dinge später im Studio aufzunehmen und anzupassen.
Nach Studium diverser Unterlagen sind sich Filmhistoriker soweit einig, dass wohl am wahrscheinlichsten der Sänger Sheb Wooley im Auftrag der Warner Bros. an jenem Tag ins Studio gerufen wurde, um kräftig ins Mikrofon zu schreien. Wooley hatte die winzige Rolle des Soldaten Jessup schließlich auch auf der Leinwand gespielt. Während man Archiv-Geräusche penibel katalogisierte, war man beim Feststellen ihrer Herkunft weniger zuverlässig. Wozu auch, es war nur ein Geräusch. Wooleys Witwe hingegen bestätigte in einem Interview ihrem Mann als Verursacher des Schreis für die eigene Rolle.
Sechs Mal kreischte der vermeintliche Sheb Wooley in verschiedenen Längen und Tonlagen auf Band. Bei der durchgehenden Archiv-Aufnahme ist es der fünfte Schrei bei Sekunde 21. Im Archiv von Warner blieb die Aufnahme mit dem Titel „Mann wird von Alligator gebissen und er schreit“ nur zwei Jahre. Bis für CHARGE AT FEATHER RIVER – DER BRENNENDE PFEIL für den von einem Pfeil getroffenen Soldaten Wilhelm in der Postproduktion ein Schrei benötigt wurde. Dem Schauspieler Ralph Brooks wurde einfach eine fremde Stimme verpasst.
Bei darauf folgenden Filmen aus den Warner Studios schien man Gefallen an diesem speziellen Toneffekt gefunden zu haben. Nummer 5 von „Mann wird von Alligator gebissen und er schreit“ wird immer wieder verwendet, ohne dass sich jemand über die Häufigkeit der Benutzung klar wird. Bis der kleine Raubkopierer Ben Burtt daher kam und in den Sechzigern Tonaufnahmen von Filmen im Fernsehen machte, die er sich nach eigenen Aussagen abends im Bett mit Kopfhörern anhörte. Dem Ton-verbundenen Jungen fiel schnell die Wiederholung eines bestimmten Effektes auf, der in vielen verschiedenen Filmen Verwendung gefunden hatte.
Ben Burtt und sein Kommilitone Richard Anderson studierten Anfang der Siebziger an der University of Southern California. Für ihren Abschlussfilm 1974 besorgten sie sich nicht etwa aus dem Archiv von Warner, sondern von der Tonspur eines anderen Films den beiden Studenten bekannten Schrei des Soldaten Jessup. Eine persönliche Hommage mit Folgen.
Burtt und Anderson wurden Tonmeister. Burtt wurde von Lucas für STAR WARS angeheuert und bekam im Rahmen seiner Arbeit die Gelegenheit, die Archive der verschiedenen Studios unsicher zu machen. Bei Warner wurde er schließlich fündig und durfte auf das Originalband zurückgreifen, das im Rahmen von DISTANT DRUMS entstanden war. Allerdings betitelte Ben Burtt den Toneffekt nach seinem zweiten Einsatz für Soldat Wilhelm in CHARGE AT FEATHER RIVER.
Richard Anderson, der für Spielberg Ton machte, konterte umgehend bei POLTERGEIST mit dem Wilhelm Scream, was Burtt sofort bei RAIDERS OF THE LOST ARK beantwortete. Zwischen den Freunden entwickelte sich das Spiel, den Schrei in Produktionen des jeweils anderen zu entdecken. Nach Burtts eigenen Aussagen ließen die großen Regisseure die beiden ohne Einwände gewähren, so schaffte es Wilhelm in fast alle George-Lucas- und Steven-Spielberg-Filme. Doch auch Regisseur Joe Dante war, unabhängig von Burtt oder Anderson, auf Wilhelm aufmerksam geworden und ließ ihn schon von seinem ersten Film 1976 an Verwendung finden.
Als Toningenieur musste Filmhistoriker Steve Lee zwangsläufig früher oder später über diesen Insider-Scherz stolpern. 2005 veröffentlichte er einen Internet-Artikel über den Toneffekt. Bis dahin war der WILHELM SCREAM schon über 130 Mal eingesetzt worden. Unter Filmkennern und -liebhabern war der Schrei keineswegs ein Geheimnis, doch mit Steve Lees Internet-Publikation wurde aus dem internen Wilhelm ein öffentlicher, etwas zu breitgetretener Kult. Der Spaß, den sich Tonkollegen und Regisseure über die Jahre untereinander gegönnt hatten, verlor sehr abrupt seinen Reiz.
Ben Burtt äußerte sogar seine Enttäuschung über die offene Popularität des WILHELM SCREAM und entschloss sich, den Toneffekt nach STAR WARS – EPISODE 3 nicht mehr zu verwenden. Ein bedauerlicher Protest, der an die Adresse von Steve Lee gerichtet war. Und auch Joe Dante hat jede Motivation an der weiteren Verwendung des Schreis verloren, da der aus dem kleinen Spaß erwachsene überbordende Rummel das Wesentliche überdecken würde.
Aber ein Kult ist kaum zu stoppen. Und neben Peter Jackson gibt es viele weitere Filmschaffende, die sich bereits die Schuhe von Burtt, Anderson und Co. angezogen haben. Wie zum Beispiel Jon Favreau, der den in den letzten fünf Jahren aberwitzig inflationär benutzten Schrei in IRON MAN 2 loslassen möchte. Damit füttert er die unersättliche Fan- und Filmgemeinde mit einer weiteren Zuckerstange, die in diversen Foren und beim Twittern einige Kalorien ansetzen kann.
Marketing-Kampagne oder doch nur liebevolle Hommage? Wer möchte da schon urteilen müssen. Als Ben Burtt sich im zarten Alter nachts die Kopfhörer aufsetzte, um bei verschiedenen Filmen Donnergrollen, Pistolenschüsse und Todesschreie zu vergleichen, da durfte Film noch ein großes, zu ergründendes Geheimnis sein.