THE SISTERS BROTHERS

Sisters-Brothers-1, Copyright Wild BunchLES FRÈRES SISTERS /
THE SISTERS BROTHERS

Bundesstart 07.03.2019

Als der Film erfunden wurde, bestanden die Aufnahmen hauptsächlich aus starren Positionen und Szenen aus dem Alltag. Die Filme waren Varieté- und Zirkus-Attraktionen, meist nicht länger als eine Minuten. Dann kam die erste Naheinstellung, eine Katze, und durchbrach damit die Eintönigkeit des immer gleichen Bildausschnittes. Man konnte also plötzlich ganz anders Geschichten erzählen. Und so sollte es sein, 1903 mit dem 15 Minuten dauernden DER GROSSE EISENBAHNRAUB. Es war ein Western. Etwas später gesellten sich noch die Slapstick-Streifen hinzu, aber der Favorit des vergnügungssüchtigen Publikums blieben wilde Gesellen, mit Pistolen und auf Pferden. Es war eine Zeit wo die Filme in Amerika an der Ostküste für Furore sorgten, während es im nach wie vor Wilden Westen noch Gang und Gäbe war, wild um sich schießend durch winzige Städte und über die Prärie zu jagen. Kurzfristig musste der Western mit der Einführung des Tonfilmes hinten anstehen, als Musicals und schnulzige Romanzen möglich waren. Aber der Western war nicht tot zu bekommen.


Ein Film mit diesem Titel, und John C. Reilly in der Hauptrolle, lassen dahinter eher die Farrelly-Brüder vermuten. Nein, es ist der eigentlich für Sozialthemen und Beziehungsdramen bekannte Jacques Audiard. Für seinen vierzehnten Kinofilm wählte der Franzose erstmals Amerika als Handlungsort, mit einem uramerikanischen Thema. Allerdings dirigierte Audiard seine Mitstreiter hauptsächlich in Spanien, Rumänien und Frankreich. Nur ganz wenig Szenen wurden tatsächlich in Amerika gedreht. Wer das hier gelesen hat, für den ist die Illusion hinüber. Für alle anderen gibt es keinen Zweifel, dass die Auftragsmörder Eli und Charles Sisters den angehenden Goldschürfer Hermann Warm durch den gesamten Westen bis nach San Francisco hinterher jagen.

Kameramann Benoît Debie vollbringt verstreut immer wieder kleine Wunder, seinen Regisseur in der Erzählung zu unterstützen. Bei jedem seiner Filme könnte man glauben, dass Debie nur experimentieren würde, doch seine Bilder tauchen immer in die Geschichte ein, um schließlich eine eigene parallele Welt zu eröffnen. Diese parallele Welt steht aber nie für sich allein, sondern erweitert den Erfahrungsschatz der Gebrüder Sisters. Allein die Anfangssequenz ist schon überwältigend. Dazu konnte sich Debie wie Audiard auch auf die Cutterin Juliette Welfing verlassen, die schon des Öfteren mit dem Regisseur gearbeitet hat. Sie bringt jeden Schnitt auf den Punkt, weiß genau wie lange ein Bild stehen muss, um seine Wirkung voll zu entfalten. Bei ihr ist nicht der Rhythmus entscheidend, sondern die Bilder, die Geschichte und die Figuren.

Soviele ernsthafte Rollen hatte John C. Reilly noch nicht, und wenn war er der komischen Kauz am Rande. In THE SISTERS BROTHERS ist er sogar sehr witzig, aber wird niemals der Lächerlichkeit preis gegeben, oder seine eigentlichen Gefährlichkeit als Auftragsmörder in Frage gestellt. Reilly spielt sehr verhalten, eher zurückhaltend, und bleibt selbst in seinen komischen Momenten glaubhaft. Man wird sich gerne an die Entdeckung der Zahnbürste erinnern (Spoiler, na und!?). Und was kann man schon über Joaquin Phoenix sagen, der seit seinem Beginn seiner Leinwandkarriere immer wieder neue Akzente in seine Figuren einbrachte, ohne sich dabei groß zu verstellen, oder ins Over-Acting zu verfallen. Als gebrochener und ständig alkoholisierter Gesetzloser, bietet sein Charakter den perfekten Gegenpart zu Reilly. Unterschiedlicher könnten beide nicht sein, aber ohne einander, wären sie gar nichts. Ein Duo, das sich nicht mit erzwungenen Konflikten herumschlagen muss, aber dafür immer eine überzeugende Natürlichkeit in die Dialoge und ihre Beziehung einbringt.

Doch THE SISTERS BROTHERS ist keine Komödie. Viele Szenen, oder kleine Anspielungen, lockern den Film ungemein auf. Das beginnt schon mit dem Vorspann, der mit dem ‚Annapurna‘ Logo anfängt und sich immer mehr Namen der beteiligten Produktionsfirmen dazu gesellen. Es werden letztendlich 20 sein. Oder einmal fährt während eines Dialoges ein Fertighaus auf einer Kutsche im Hintergrund seinem baldigen, festen Standort entgegen. Das sind keine richtigen Brüller, sorgen aber immer wieder für ein Schmunzeln. Wenn nicht gerade im Kugelhagel gestorben wird, denn so unbedarft die Brüder manchmal scheinen, ihren Job beherrschen sie perfekt. Und sie müssen auch nie darüber nachdenken, wie und wann sie es tun, was den Zuschauer oft kalt erwischt und erschreckt. Auf der anderen Seite ist THE SISTERS BROTHERS auch kein Action-Feuerwerk, sondern man spürt schon immer wieder den europäischen Einfluss.

Wer Western mag, muss sich doch schon immer gefragt haben, wie man so die Zeit tot schlägt, wenn man Tag für Tag, Woche für Woche, oder sogar mal Monate nebeneinander her reitet. Dieser Film zeigt es, und es hat nicht mit kernigen Macho-Sprüchen zu tun, oder selbstzufriedenen Anschweigen. Die Auftragskiller reden, über alles mögliche. Manchmal, wenn es tiefgründig werden könnte, kommt gar keine Antwort, oder ein Satz über dessen Inhalt der stereotype Gesetzlose nie sprechen würde. Die Überraschung bei THE SISTERS BROTHERS ist die Art eines mit allen Wassern gewaschenen Westerns, immer wieder gespickt mit Brüchen in der klassischen Struktur.

Sisters-Brothers-2, Copyright Wild Bunch

Darsteller: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed, Rebecca Root, Allison Tolman, Rutger Hauer, Carol Kane u.a.
Regie: Jacques Audiard
Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain
Kamera: Benot Debie
Bildschnitt: Juliette Welfing
Musik: Alexandre Desplat
Produktionsdesign: Michel Barthélémy
Frankreich – Rumänien – Spanien – Belgien – USA
Jahr 2018 – 122 Minuten

Bildrechte: Wild Bunch

 

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