BOY ERASED – Bundesstart 21.02.2019
Garrard sucht sich einen Platz im Gruppenraum. Er lächelt verlegen. Dann muss er all seine persönlichen Sachen abgeben. Smartphone, Notizblock mit selbstgeschriebenen Kurzgeschichten. Garrard Conley lächelt nicht mehr, er ist irritiert. Aber das ist, was er selbst wollte. Weil seine Eltern in dazu drängten. Er ist gerade 19 Jahre alt, und glaubt dass dies das Richtige sei. Schließlich ist es ihm sein gesamtes Leben so eingebläut worden. Aus Garrard Conley wird in diesen Anfangseinstellungen Jared Eamons. Sohn eines Baptisten-Predigers und einer unterwürfigen, in der Gesellschaft allerdings angesehenen Mutter. Drehbuchschreiber Edgerton wollte sich nicht auf ein Einzelschicksal beschränken, sondern für viele andere sprechen. Es geht um Reparativtherapie, in Deutschland nur selten Konversionstherapie genannt. Und Jared Eamons ist einer von vielen Betroffenen, und behält dennoch seine eigene, intensive Geschichte. Jared ist homosexuell, und das darf nicht sein.
Als Garrard Conley mit seinem Buch an die Öffentlichkeit ging, gab es zweierlei Meinungen. Die einen waren entsetzt, dass es so etwas in dieser Form gibt. Die anderen waren entsetzt, dass sich der junge Mann gegen diese Therapie zu wehren verstand, und mit sich selbst kein Einsehen hatte. Homosexuelle, notorische Diebe, aggressive Schläger, Drogenabhängige. Sie werden für zwei Wochen der Reparativtherapie unterzogen. Müssen lernen aus sich heraus zu gehen, müssen sich ein Eigenverschulden eingestehen, müssen die vermeintliche Fehlentwicklung innerhalb der eigenen Familie und Bekanntschaft suchen. War der Onkel Alkoholiker, hat der Vater die Prügelstrafe bevorzugt, hat eine Freundin der Familie vielleicht sexuelle Avancen gemacht. Zuerst sieht Jared seine Homosexualität als falsch, schließlich ist er so erzogen worden. Dann erkennt er langsam das perfide System, welches sich hinter dem Namen „Love in Action“ verbirgt. Erniedrigung und Selbstaufgabe, abgeschnitten von der Außenwelt, verpflichtet mit keiner Person darüber zu reden, was in der Therapie passiert.
Man spürt, das dieses Thema eine Herzensangelegenheit für Joel Edgerton war, der selbst die Rolle des selbsternannten Therapeuten Victor Sykes übernahm. Denn kaum einer der Leiter von „Love in Action“ hat, egal wo in der Welt, einen Doktor oder eine Professur in irgendetwas. Edgerton ist einem größeren Publikum vielleicht mit Filmen wie WARRIOR, EXODUS oder THE GIFT als Darsteller aufgefallen, und hat sich vor DER VERLORENE SOHN gerade einmal bei THE GIFT als Regisseur hervorgetan. Umso spannender ist dieser Film zu beobachten. Der Autor Edgerton kommt oftmals über viele Klischees ähnlich gelagerter Geschichten nicht hinaus. Auf der anderen Seite weiß der Regisseur Edgerton sehr sensibel mit seinen Figuren umzugehen. Allerdings reißt er die schwarzweiß Malerei fast etwas zu spät auf. Doch interessant bleibt die Handlung durchweg, dank seiner einfühlsamen Regie und allen voran den herausragenden Darstellern.
Die Bildgestaltung von Eduard Grau vermeidet jede Art von eigenwilligen oder ablenkenden Kameramanövern. Klar strukturiert, fast schon altbacken sind die Bilder umgesetzt. Selbst gelegentliche Fahrten oder Schwenks ordnen sich den Charaktere unter, ohne den Versuch, eigene Erzählebenen zu eröffnen. Dafür fällt mehr die Lichtgestaltung auf, die sich innerhalb der ‚Love in Action‘ Einrichtung hell, gleichmäßig und auch Sonnen durchflutet zeigt, wobei außerhalb in den Hotels, oder im Haus der Eamons eine düstere, und farbentsättigte Stimmung auszumachen ist. Man könnte es als suggestives Mittel verstehen, den Zuschauer doch noch einmal von einer anderen Seite zum nachdenken anzuregen. Denn anzuregen gibt es viel, bedenkt man die noch immer weit verbreitete und unverhohlene Bigotterie in unserer Gesellschaft. Überall auf der Welt.
Edgerton hätte selbstverständlich auf das Zugpferd Garrard Conley der Bewegung gegen die Konversionstherapie aufspringen können. Und im Grunde ist dies auch seine Geschichte, doch allein die Namensänderung gibt auch vielen anderen Betroffenen ein Gesicht. Am Anfang war Jared Eamons noch mit sich selbst zufrieden, im Glauben, dass dies seine Entscheidung war. Am Ende steht Ernüchterung, aber nicht zum schlechtesten. Jared ist homosexuell, und damit müssen sich andere eben abfinden.
http://garrardconley.com
Darsteller: Lucas Hedges, Nicole Kidman, Russell Crowe, Madelyn Cline, Victor McCay, David Joseph Craig, Troye Sivan u.a.
Regie & Drehbuch: Joel Edgerton
Kamera: Eduard Grau
Bildschnitt: Jay Rabinowitz
Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans
Produktionsdesign: Chad Keith
Australien USA / 2018
115 Minuten