CONCUSSION – Bundesstart 18.02.2015
Dr. Bennet Ifeakandu Omalu kratzt am amerikanischen Traum. Wie er selbst während des Handlungsverlaufes verbittert feststellen muss, ist er kein Amerikaner, nicht einmal Afro-Amerikaner. Gebürtig aus Nigeria, verdient er sich als forensischer Pathologe und Neuropathologe in Pittsburgh. Jemand wie er muss aufpassen, wenn er seine Arbeitserlaubnis behalten möchte. Es ist natürlich die immer wieder ergreifende Geschichte einer amerikanischen Erfolgsgeschichte. Spoiler? Wer würde annehmen, dass in der Geschichte eines Außenseiters gegen das System, das System gewinnen würde. Viel zu auffällig und angestrengt atmet der Film diese Atmosphäre von Biografien, die sich dann gerne im Preisverleihungszirkus suhlen. Diese Rechnung ging für Peter Landesman zweite Regiearbeit nicht ganz auf. Uninteressant ist ERSCHÜTTERNDE WAHRHEIT deswegen nicht. Das liegt aber in erster Linie an seinen fein gezeichneten Figuren.
Eines Tages hat Omalu die Pittsburgher Football-Legende Mike Webster auf dem Obduktionstisch. Und was er findet, ist besorgniserregend. Doch bereits hier beginnen die Mühlen gegen den Doktor zu arbeiten. Webster scheint wegen eines Hirntraumas den Verstand verloren zu haben, wonach er sich das Leben nahm. Für Omalu steht fest, dass dies Auswirkungen durch das Football-Spiel sind. Dann liegt der nächste Ehemalige der Pittsburgh Steelers vor Omalu, mit dem selben Erkrankungsverlauf wie Webster. Dr. Omalu kann andere Experten von seinen Untersuchungen überzeugen. Doch was seine Entdeckung offenbart, geht gegen den amerikanischen Nationalsport schlechthin. Und die NFL, die National Football League, ist mächtiger als das amerikanische Gesundheitssystem. Oder wie es ein Charakter formuliert: Der NFL gehört ein Tag in der Woche, welcher dereinst der Kirche gehörte. Heute ist es ihrer.
Man muss ERSCHÜTTERNDE WAHRHEIT leider unterstellen, dass er sehr gefällig und vorhersehbar inszeniert ist. So mögen Omalus Entdeckungen, und seine Auseinandersetzungen mit Obrigkeiten, oder Gegnern interessant anzusehen sein. Letztendlich ist es ja auch thematisch eine Geschichte, die gerade im europäischen Raum kaum Interesse gefunden haben dürfte. Der Handlungsverlauf birgt dennoch keinerlei Überraschungen. Zudem lässt die Inszenierung eine zeitliche Zuordnung vermissen, in welchen Abständen die Spieler starben, wie lange sich Omalus Kampf hinzog, oder wann die NFL endlich einknickte. Spoiler? Eigentlich ja, hat aber jemand ernsthaft etwas anderes erwartet?
Kann Peter Landesman mit seiner Inszenierung nicht überzeugen, so tun es die Darsteller, mit ihren kleinen Macken im Charakter. Smith als ordnungsfanatischer Omalu, der auf Veränderungen stoisch aber mit leichter Irritiertheit reagiert. Albert Brooks‘ Interpretation des Vorgesetzten Dr. Wecht, der gerne quer treibt, nur um eben quer zu treiben. Mike O’Malley als Vorsteher der Pathologie, der Omalus Exzentrik nicht erträgt, aber doch immer wieder an dessen Scharfsinn abprallt. Oder der geniale Alec Baldwin, der als Teamdoktor wirklich nur die Wahrheit wissen will, aber seine Intentionen immer wieder rechtfertigen muss. Mit seinem Ensemble und der feinen Charakterzeichnung spielt ERSCHÜTTERNDE WAHRHEIT seine Stärken aus. Leider ist alles andere dem Leitfaden für erfolgreiche Hollywood-Dramen entnommen. Dabei hat man immer wieder das Gefühl, als wäre um einiges mehr drin gewesen, um die Geschichte ehrlicher und nicht so vorhersehbar zu erzählen.
Darüber hinaus beschäftigt sich der Film, sprich seine Hauptfigur ausschließlich mit Football. Das mag natürlich dem wahren Hintergrund entsprechen. Aber der Film gibt keine Erklärung, ob die NFL den Ursachen entgegen getreten ist, dass nämlich die Hauptspieler im Football bei jeweils 100 Kilo Lebendgewicht mit den Helmen zusammen stoßen. Und wie es denn bei anderen beliebten Sportarten wie Wrestling oder Mixed-Martial-Arts mit den Hirntraumen aussieht. In diesem Sinne, denkt das Drehbuch viel zu klein, auch wenn es der „wahren“ Geschichte nicht entsprechen würde.
Darsteller: Will Smith, Alec Baldwin, Albert Brooks, Gugu Mbatha-Raw, David Morse, Arliss Howard, Mike O’Malley u.a.
Regie & Drehbuch: Peter Landesman, nach einem GQ-Artikel von Jeanne Marie Laskas
Kamera: Salvatore Totino
Bildschnitt: William Goldenberg
Musik: James Newton Howard
Produktionsdesign: David Crank
Großbritannien – Australien – USA / 2015
132 Minuten
Bildrechte: Sony Pictures Releasing