THE END

End - (c) NEON– Bundesstart 27.03.2025
– Release 13.12.2024 (US limited)

Wenn jemand Tilda Swinton in einem Musical ankündigt, dann ist das schon ein sicher verkauftes Ticket. Oder sollte zumindest so sein. Joshua Oppenheimer ist ein streitbarer Filmemacher, was nicht nur sein bisher eindrucksvollstes Werk ACT OF KILLING demonstriert. Da hört sich das Ende der Welt als Musical-Fassung vielversprechend an, besonders mit diesem Killerensemble. Aber genau das, was den Film auszeichnen sollte, ist sein größtes Dilemma. Seit 20 Jahren leben Mutter, Vater, beste Freundin, Sohn, Arzt und Butler nach einer ökologischen Katastrophe in einer feudalen Wohnung innerhalb eines Salzbergwerkes. Der Sohn ist hier geboren, und hat die wirkliche Welt nicht mehr erleben können. Der Vater diktiert seine Memoiren. Mutter und beste Freundin sind nur mit Schlaf- und Beruhigungspillen in Balance zu halten, die ihnen der verbitterte Arzt verabreicht. Seit zwei Jahrzehnten derselbe Trott, bis unvermittelt das Mädchen im Salzstollen auftaucht, und die dissonant heile Welt in Frage stellt.

Joshua Oppenheimer wurde von Rasmus Heisterberg beim Drehbuch unterstützt, was aber nichts daran ändert, dass diese isolierte Welt kalt, künstlich und sogar uninteressant erscheint. Damit sind nicht die Kulissen oder die Darsteller gemeint, sondern die Welt die durch Oppenheimers Inszenierung auf der Leinwand entsteht. Der Film strotzt vor Details. Von der Frage nach der richtigen Wandfarbe, über die Luftversorgung durch explosionsartig aufgeblasene Schläuche, hin zum immer mit dem richtigen Objekt bereitstehenden Butler, und noch so vieles mehr. Doch genau dadurch wird der eigentliche Hintersinn der Geschichte an den Rand gedrängt.

Eine wirkliche Beziehung baut sich zu den Figuren nicht auf. Sie bleiben immer auf Abstand zum Publikum, weil ihnen auch keine Nuancen zugestanden werden – selbst als der unbedarfte Sohn sich in das Mädchen zu verlieben beginnt, ohne zu wissen, was diese Gefühle bedeuten. Die eigentliche Krux im Verhältnis zu den Figuren liegt jedoch im Musical selbst. Gefühle und Gedanken, aber auch Rückblicke auf Ereignisse werden in Liedform dargeboten. Und dabei machen Marius De Vries und Josh Schmidt keinen überzeugenden Job. Die Musik bleibt variationslos, eingängige Melodien gibt es nicht, und die Liedtexte offenbaren weniger als man eigentlich von den Hintergründen der Figuren erfahren sollten. Das Bronagh Gallagher die einzige professionelle Sängerin ist, bekommt man im Laufe der 147 Minuten immer wieder lautstark zu hören.

End 1 - (c) NEON

Es ist weder Schande noch problematisch, wenn Darsteller keine ausgebildeten Sänger sind. Andere Regisseure hätten mit überzeichneter Inszenierung daraus noch einen ironischen Nutzen für die Stimmung des Films gezogen, immerhin ist dieser ist als satirische Farce gedacht. Wiederrum gibt es Komponisten, die es verstehen ihre Lieder nach dem Stimmumfang der Amateursänger zu arrangieren. Doch es sind nicht die Sangeskünste, die den emotionalen Zugang zu den Figuren erschweren. Vielmehr ist es deren kaum vorhandene Entwicklung, zu welcher sie der Regisseur nötigt.

Es ist der bisher relativ unauffällige Kameramann Mikhail Krichman, dessen Branche die einzige ist, die das Beste aus dem Szenario zu machen versteht. Seine Kamera tobt in langen Takes immer wieder wild durch die Kulissenlandschaft. Dabei vermittelt er ein mitreißendes Gefühl für die Weitläufigkeit der Örtlichkeiten, offenbart aber gleichzeitig auch eine klaustrophobische Enge, wie sie für die Bewohner über einen längeren Zeitraum entstehen muss. Und in den eigentlich richtigen Momenten fokussiert sich Krichman auch wunderbar auf das Spiel der Figuren, nur bekommen die nicht wirklich etwas zu tun, um ihren Fähigkeiten entsprechend zu beeindrucken. Das sichere Ticket für Tilda Swinton in einem Musical wird zu einer ermüdenden Nummernrevue, der auch immer wieder der rote Faden einer Satire abhandenkommt. Bitter für das Ende der Welt.

Trostpflaster auf diesem offenen Bruch sind George MacKays neunmalkluge Berichtigungen gegenüber dem welterfahrenen, auf der Oberfläche aufgewachsenen Mädchen. Mit tiefster Überzeugung belehrt er sie mit seinem völlig widersinnigen, weil nur angelesenem Halbwissen über Geschichte, Moral oder Psychologie. Hier wird deutlich, welches Potential sich hinter Joshua Oppenheimers Idee einer bitterbösen Satire versteckt, aber für THE END leider nicht angemessen umgesetzt ist.

End 2 - (c) NEON


Darsteller: George MacKay, Moses Ingram, Tilda Swinton, Michael Shannon, Bronagh Gallagher, Tim McInnery, Lennie James, Danielle Ryan, Naomi O‘Garro

Regie: Joshua Oppenheimer
Drehbuch: Joshua Oppenheimer, Rasmus Heisterberg
Kamera: Mikhail Krichman
Bildschnitt: Nils Pagh Andersen
Musik & Songs: Marius De Vries, Josh Schmidt
Produktionsdesign: Lette Lehmann
Dänemark, Deutschland, Irland, Italien, Großbritannien, Schweden, USA
2024
148 Minuten

Bildrechte: NEON
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