– Bundesstart 13.03.2025
– Release 13.09.2024 (CAN)
1932: Jimmy Erskine ist Theaterkritiker – der beste, bekannteste und bösartigste in England. Mit seinen scharfzüngigen, entweder lobpreisenden oder auch gnadenlos beleidigenden Bemerkungen kann er den Erfolg eines Bühnenstücks bestimmen oder aufstrebende Darsteller zu Fall bringen. So wie die ambitionierte Nina Land, die er seit geraumer Zeit als sein auserwähltes Opfer betrachtet. Nicht wegen ihrer tatsächlichen Qualitäten, sondern einfach, weil er es kann. Und genau das bestimmt auch das Narrativ von Anand Tuckers Film: die Lust an der Schadenfreude – sowohl aus der Perspektive des Publikums als auch aus der von Jimmy Erskine. Ein homosexueller Mann, der seine Macht schamlos auskostet, dabei aber die bittere Ironie nicht erkennt, dass der aufkeimende Faschismus ihm selbst bald zum Verhängnis werden könnte. Ian McKellen verkörpert diesen Jimmy Erskine durch und durch – ein Charakterdarsteller, der selbst Fantasy-Spektakel in tiefgehendes Schauspielkino verwandeln kann. Doch trotz McKellens brillanter Darbietung bleibt die Figur seines Kritikers seltsam unnahbar.
Die verspottete Schauspielerin tritt die Flucht nach vorne an, und konfrontiert den Verfasser der gehässigen Worte von Angesicht zu Angesicht. Gemma Arterton bildet den perfekten Gegenpol zu ihrem extrovertierten Peiniger. Mit Ruhe und kleinen Gesten macht sie ihre Nina Land verständlich und nahbar. Arterton spielt genau so, wie Erskine es der unsicheren Nina im Film rät: Das Publikum berührt man, indem man in sich bleibt. Nicht getragene Worte formen den Charakter, sondern das, was man nicht offen ausspricht. Doch Erskines Rat an Nina ist alles andere als selbstlos. Die Zeitung, für die er schreibt, hat eine neue Führung, und er muss einiges tun, um seinen Job nicht zu verlieren. Dafür spinnt er ein widerliches Netz aus Intrigen.
In den letzten 14 Jahren widmete Anand Tucker sein Talent vor allem Fernsehproduktionen, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Inszenierung von THE CRITIC einen auffallend episodenhaften Charakter hat. Ian McKellen ist großartig, hinreißend verabscheuungswürdig. Wenn, wird der Film erst durch seine vielschichtige Interpretation sehenswert. Doch es gibt immer wieder Momente, in denen sich der Film auf undefinierte Weise nicht richtig anfühlt. Schwer vorstellbar, dass dies am Drehbuch von Patrick Marber liegt, der schließlich für die fantastisch tiefgründigen Scripts von TAGEBUCH EINES SKANDALS und HAUTNAH verantwortlich ist.
Vielleicht liegt es an den Nachdrehs und der damit verbundenen Neuausrichtung der Geschichte, nachdem der Film bei seiner Premiere 2023, salopp gesagt, durchgefallen war. Auffällig ist die Fülle an nur halbherzig behandelten Themen wie Rassismus, Faschismus, Medienmacht, Integrität und Loyalität, oder gar ein raffinierter Krimi-Plot. Je nach Bedarf werden diese Elemente mal intensiv herausgestellt, mal schlichtweg ignoriert. So etwa Erskines dunkelhäutiger Assistent Tom, der scheinbar unbehelligt zum akzeptierten Kritiker aufsteigt (beeindruckend souverän: Alfred Enoch).
Der Film nimmt sich viel vor, ohne diese Ambitionen letztlich konsequent zu erfüllen. Man erkennt zwar Tuckers herausragende Schauspielführung, doch die Inszenierung selbst schwankt zwischen schwerem Melodrama und Boulevardkomödie, die nur knapp am Slapstick vorbeischrammt. Dadurch bleibt die Tragik einiger Figuren auf der Strecke, wie der fabelhaft subtile Mark Strong als knallharter Verleger mit ergreifendem Geheimnis. Davon hätte man gerne mehr gesehen. Ebenso wie von der sonst hinreißenden Lesley Manville, die hier lediglich als Stichwortgeberin dient. THE CRITIC funktioniert wunderbar als Aneinanderreihung beeindruckender Episoden voller teuflischer Intrigen und schauspielerischer Perfektion. Doch als Gesamtwerk wirkt der Film in seiner Struktur nicht schlüssig und stringent.
Von dieser Seite der Tastatur aus kommt man nicht umhin, die Verantwortung des schwachen Zuspruchs für den Film, der nachträglichen Bearbeitung zu geben. Zu viel in seiner Umsetzung wirkt einfach viel zu gut durchdacht, als das dem Endresultat nur eine schlechte Inszenierung vorgeworfen werden könnte. avid Higgs’ Kameraarbeit setzt raffinierte Akzente, um die Geschichte auch visuell zu unterstreichen.
Die intimeren Momente zwischen den Figuren – nicht die sexuellen, sondern die leidenschaftlichen – bettet er in eine fast künstlich anmutende Kulisse. Leichte Unschärfen, überproportional kräftige Farben, stark reduzierte Ausstattung. Die Figuren bewegen sich in einem Umfeld, das an stilgerechte Bühnenbilder erinnert. Bis sich die wahren Intentionen der Charaktere zeigen, und mit ihnen auch die Kamera in die harte Realität nüchterner, neutraler Aufnahmen zurückkehren. Am Ende bleibt ein Film, bei dem man sich stets wünscht, er möge funktionieren. Bis man dann doch über die eine oder andere Schwäche stolpert, welche sich dann zu einem Hindernis auftürmen.
Darsteller: Ian McKellen, Gemma Arterton, Mark Strong, Lesley Manville, Romola Garai, Ben Barnes, Alfred Enoch u.a.
Regie: Anand Tucker
Drehbuch: Patrick Marber
Kamera: David Higgs
Bildschnitt: John Gilbert, Beverley Mills
Musik: Craig Armstrong
Produktionsdesign: Lucienne Suren
Großbritannien, USA / 2023
101 Minuten