THE BRUTALIST

Brutalist - Copyright UNIVERSAL STUDIOS– Bundesstart 20.01.2025
– Release 23.01.2025 (AUS)

Preview 16.01.2025, Cinecitta, Nürnberg
Wer sich immer wieder kopfschüttelnd die Frage stellt, wie man so verrückt sein kann seinen Film noch auf Filmmaterial zu drehen, für den liefert THE BRUTALIST unschlagbare Argumente. Wenn das Filmplakat mit dem aus Pressestimmen entnommenen Wort ‚Monumental‘ wirbt, ist das in Hinblick auf das Aufnahmeformat absolut zutreffend. Bezogen auf die Erzählung selbst, kann man darüber streiten. Regisseur Brady Corbet hat darauf bestanden, dass Kameramann Lol Crawley THE BRUTALIST in VistaVision aufnimmt. Ein Aufnahmeformat bei dem der Filmstreifen horizontal durch die Kamera gezogen wird, und sich die Größe der Aufnahme verdoppeln kann. Das Äquivalent zu den digitalen Pixeln ist bei Film die Körnung. Der DCI-Standard für 4K-Filme wäre fast 9 Mio. Pixel, bei VistaVision und dem bei BRUTALIST genutzten Seitenverhältnis von 1,66: 1, kann man zirka 22 Mio. Pixel-Äquivalente rechnen. Aber eine Geschichte im Film selbst, gibt schon auch noch…

1947 reist der ungarische Architekt László Tóth nach Amerika aus. Mit seiner Frau Erzsébet hat er das KZ überlebt, sie war aber noch nicht bereit Ungarn zu verlassen. Das Trauma des Konzentrationslagers wird László auch in Amerika nicht los. Mit Gelegenheitsjobs und Heroin hält er sich am Laufen, bis er vom Großindustriellen Harrison Van Buren für ein außergewöhnliches Bauwerk angestellt wird. Van Buren ist begeistert von der Klarheit des Brutalismus, und Tóth der perfekte Architekt für diesen Stil. Mit der gespielten Anbiederung des christlich erzogenen Van Buren, merkt der Jude Tóth schnell, dass die Feindseligkeiten auch in Amerika kein Ende finden.

Regisseur und Autor Brady Corbet orientiert sich für seine Hauptfigur an den Stilen und Schicksalen verschiedener europäischer Architekten, hauptsächlich László Moholy-Nagy und Marcel Breuer. Wie bei all seinen Filmen hat auch hier Corbets Lebensgefährtin Mona Fastvold mitgeschrieben. Die Geschichte geht dabei in mehrere Richtungen, ohne das sich diese Zweige voneinander trennen lassen. Der Film ist als Einwanderergeschichte beispielhaft, es geht um Lászlós Obsession vom Gestalten, und es wird sehr subtil und feinfühlig das Überleben im KZ thematisiert – oder eben, nicht thematisiert. Es ist eine beeindruckende Leistung der Inszenierung und des fesselnden Spiels von Adrien Brody, das László nie wirklich über seine Erlebnisse spricht, Gesprächen aus dem Weg geht. Dennoch begreift man Lászlós Leiden, durch Brodys unglaubliche Körpersprache.

Brutalist 4 - Copyright UNIVERSAL STUDIOS

Genauso unterschwellig sind viele Bemerkungen und Dialoge, mit denen die sich gebürtig fühlenden Amerikaner dem Juden zu Verstehen geben, was sie von ihm halten. Es sind Momente, wenn diese subtilen Worte die Zuschauenden regelrecht ins Mark fahren, und ein brillanter Adrien Brody sichtlich bemüht ist, das zu ignorieren. Bis ein Charakter einmal brüllt, „ihr (die Juden) seid hier nur toleriert“. Einer von vielen, unglaublich berührenden und genauso schmerzenden Augenblicken, wie sie epische Melodramen definieren. Wenn das Schicksal universell über seine Figuren hinauswächst.

Es sind die großen Dramen des Lebens, die alle für sich stehen, und doch nicht voneinander loskommen. László will einer Vergangenheit entfliehen, der er nicht entkommen kann. Und Van Buren versteht sich als Bewahrer eines Landes, welches ihm nicht zusteht. Nichte Zsófia will zurück nach Israel, auf der Suche nach ihrer Identität. Synonym für alle Schicksale steht László Tóths brachiales Bauwerk, welches die eigentlich unvereinbare Komponenten Bibliothek, Turnhalle, Konzertsaal, und Kirche in einem gigantischen Raum vereinen soll. Es ist der alte Menschheitstraum von einer Einheit der Welt. Wie eine Lebensader durchfließt Daniel Blumbergs Soundtrack den Film. Soundtrack im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Vier-Noten-Folge ist ein ständiges Motiv, oft bombastisch mit Waldhörnern, manchmal zurückhaltend in Klavierpartituren versteckt. Aber jedes Stück ist im Rhythmus unterlegt mit dissonanten Geräuschen, die den Nerv der jeweiligen Stimmung auffangen und atmosphärisch verstärken.

Brutalist 3 - Copyright UNIVERSAL STUDIOS

Mit Lol Crawley atemberaubenden Bildern wird THE BRUTALIST tatsächlich zum Gesamtkunstwerk. Die erstaunlichen Details, die brillante Schärfe, und der grandiose Kontrastumfang von VistaVision bleiben, selbst auf Digital umkopiert und projiziert, noch erhalten. Gerade die Landschafts- und Gebäudeaufnahme bekommen eine unglaubliche Raumtiefe. Bei den Dialogszenen hätte weniger handgeführte Kamera eine der Zeit angemessenere Atmosphäre erzeugt. Sei es wie es will, Crawley weiß für jede Szene immer genau die richtige Bildstimmung zu schaffen, die einen auch mitnimmt.

Brady Corbet hat mit THE BRUTALIST eben ein Gesamtkunstwerk kreiert. Er ist mit 214 Minuten definitiv zu lang, da muss man nichts schön reden. Auch wenn das Schauspielensemble schlichtweg mitreißend jede Sequenz mit Brillanz füllt. Corbet hätte sich durchaus etwas zurückhalten können, die Möglichkeiten hätte es gegeben um seinen Film zugänglicher zu machen. Aber auch hier ist es, wie es ist. Das ‚Monumental‘ der Presse muss man einfach so stehen lassen. THE BRUTALIST führt zurück in eine Zeit des ganz großen Filmepos, aber ohne nostalgische Verklärung, sondern mit einem klaren Blick für das moderne Kino. Aber entgegen des festgefahrenen Systems.

Brutalist 2 - Copyright UNIVERSAL STUDIOS


Darsteller: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Raffey Cassidy, Alessandro Nivola, Stacy Martin u.a.
Regie: Brady Corbet
Drehbuch: Brady Corbet, Mona Fastvold
Kamera: Lol Crawley
Bildschnitt: Dávid Janscó
Musik: Daniel Blumberg
Produktionsdesign: Judy Becker
USA, Großbritannien, Kanada / 2024
214 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL STUDIOS
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