NOSFERATU – Der Untote

Nosferatu 1 - Copyright FOCUS FEATURESNOSFERATU
– Bundesstart 02.01.2025
– Release 25.12.2024 (CDN)

Gleich nach seinem vierten Film, und grandiosen Spielfilmdebüt THE WITCH, 2015, sollte Robert Eggers das Vampir-Epos NOSFERATU neu verfilmen. Eigentlich ein Traumprojekt, hatte Eggers doch Murnaus Abhandlung von Bram Stokers ‚Dracula‘ als Schulaufführung auf die Bühne gebracht, ohne Dialog, dafür mit geschriebenen Übertiteln. Aber das Meisterwerk gleich als seinen zweiten Spielfilm neu zu interpretieren, dazu sah sich Eggers noch nicht bereit, der erst noch seine wirklich eigene Linie finden wollte. Nach THE LIGHTHOUSE und NORTHMAN schien es soweit. Drei Filme die nicht unterschiedlicher sein können, aber allesamt durch ihre ungreifbare Stimmung und einer faszinierenden Morbidität bestechen. Eggers bringt mit exzessiver Nutzung aller kreativen Möglichkeiten tatsächlich einen NOSFERATU auf die Leinwand, der für seine Kinogeneration bestehen kann. Für die jetzige Generation. Gesamt betrachtet, wird es aber furchtbar eng.

Wisborg, Deutschland, 1838: Der junge Makler Thomas Hutter soll in die transsilvanischen Karpaten reisen. Ein ominöser Graf Orlok soll dort den Kaufvertrag für ein Herrenhaus in Wisborg unterzeichnen. Schon von Anfang an steht die Reise unter keinem guten Licht. Hutters Chef verfällt langsam dem Wahnsinn, und seine Frau Ellen leidet unter eigenartigen Albdrücken, die wohl in unbestimmter Verbindung mit Orlok stehen. In Transsilvanien selbst kann Hutter dem schaurigen Orlok entkommen, als dieser ihm nach dem Unterzeichnen der Papiere nach dem Leben trachtet. Aber bevor Hutter es nach Wisborg zurück schafft, hat Orlok dort bereist mit seinem Schiff angelegt. Ellens grauenerregende Visionen vom fürchterlichen Grafen werden immer intensiver, und auch körperlicher. Während Wisborg von der Pest heimgesucht wird.

Ja, wer Brams Stokers Roman gelesen hat, demnach auch den Inhalt von Friedrich Murnaus Film kennt, oder umgekehrt, weiß das es bei NOSFERATU noch mehr Figuren und wesentlich tiefere Bezüge zum menschlichen Wesen und zum Wesen des Bösen gibt. Robert Eggers setzt das sehr intensiv um, kann aber der Geschichte selbst keine neuen Aspekte abringen. Seine Filme sind stets im Hier und Jetzt ihrer Geschichte verwurzelt, so wie auch dieser hier. Das transzendente Böse, schwarze Magie, begründeter Aberglaube, dass sind in dieser Zeit von 1838 selbstverständliche Lebensbegleiter. Das mindert den Schrecken allerdings nicht. Und Eggers nimmt dieses Grauen von Anfang an auf.

Nosferatu 4 - Copyright FOCUS FEATURES

Es gibt keinen Moment der Ruhe, die den Zuschauenden gegönnt wird. Keinen Augenblick der Entspannung, in dem man die Atmosphäre mit eigenen Gedanken erfassen könnte. Von der ersten Minute an, begleitet unablässig ein unangenehmer, verstörender Soundtrack jede Szene (Musik: Robin Carolan, Sound-Design: Michael Fentum). Der Film baut in diesem Bereich keine Spannung auf, er setzt sie, und lässt nicht mehr los. Das kann leicht aufs Gemüt schlagen, aber noch schneller einen abstumpfenden Effekt haben. In anderen Branchen greift Eggers auf seinen üblichen Verdächtigen zurück. Jarin Blaschke für die Bildgestaltung, Louise Ford im Bildschnitt, und Craig Lathrop hat wieder das Produktionsdesign übernommen. Wobei Blaschke mit dem Bild eine grandiose, visuelle Atmosphäre schafft. Gerade bei den Nachtaufnahmen setzt er fantastische Akzente, die dem Original von 1922 am nächsten kommen, und ihm starken Tribut zollen.

Auffallend ist die vergebliche Absicht, Anleihen bei der ’79er-Version zu vermeiden. Werner Herzogs eigentlich geniales Remake war seinerzeit von Kritik und Cineasten mit verleumderischen Worten und böswilliger Absicht in Ungnade gestürzt worden, weil sie Neuverfilmungen für blasphemisch ansahen. Gerade bei Hutters Reise durch die Karpaten bemerkt man Eggers Bemühen, einer Wiederholung der genial inszenierten Atmosphäre von Herzog zu widerstehen. Aber dies ist schließlich auch der grundlegende Unterschied zum ’79er-Remake, wo sich das Unbehagen langsam aber beständig über die Nerven legt, während Eggers das Grauen über 130 Minuten auf einem Niveau hält.

Bill Skarsgårds Leistungen als Graf Orlok zu rühmen wäre übertrieben, der schließlich erst durch Pfunde von hervorragenden Latex-Applikationen zum Vampir mutiert. Seine in Deutsch natürlich nicht hörbare Stimmakrobatik in allen Ehren, ist diese ohnehin in der notwendigen Nachbearbeitung nicht mehr dieselbe. Aber unglaublich beeindruckend, und sogar einschüchternd, ist es allemal, wenn Orloks Stimme im Kinosaal von überall und nirgends herzukommen scheint. Aber grundsätzlich hapert es an der Führung der Schauspieler, diesen Vampir-Horror zum nächsten Klassiker werden lassen. Ausgerechnet Nicholas Hoult, der sich zur ersten Garde für leicht oder stark abseitige Figuren gespielt hat, bekommt als Thomas Hutter eine fast bedeutungslose Hauptrolle, ohne wirkliche Facetten zwischen Unsicherheit und Entsetzen. Willem Dafoe hat ja in dem unbedingt sehenswerten SHADOW OF THE VAMPIRE selbst schon Nosferatu gespielt. Hier tritt er als dem Okkulten verschriebenen Professor Von Franz etwas zu überzogen auf die Leinwand, was mitunter den Eindruck einer unpassenden Parodie erweckt.

Nosferatu 3 - Copyright FOCUS FEATURES

Emma Corrin und Aaron Taylor-Johnson dürfen als verwandtes Ehepaar Harding auch nur eingeschränkt glänzen. In Anbetracht ihrer bekannten Fähigkeiten, sind es für die Zuschauenden etwas unbefriedigende Auftritte, auch wenn Anna Harding erstes unmittelbares Opfer von Orlok werden darf. Wirklich überzeugende Rollen waren Lily-Rose Depp bisher noch nicht vergönnt, was sie jetzt aber als Ellen hinter sich lassen kann. Depp muss verkörpern, was Graf Orloks grauenerregendes Äußeres nicht möglich macht. Es ist seine unwirkliche Kraft der Manipulation. Und es ist Depps Blick ins Leere, welche die widernatürliche Verbindung glaubhaft macht, und ihre Körperlichkeit, die den Einfluss des Grafen versinnbildlicht, der weit über das animalische hinausgeht.

Die Vorgängerfilme haben Orlok nicht als das galant verführerische Böse gezeigt, wie der Vampirfilm generell seine Blutsauger gerne sehen möchte. Robert Eggers bringt aber diese stark sexualisierte Variante in seinen NOSFERATU, lehnt aber ein verführerisches Erscheinungsbild ab. In Coppolas DRACULA, zeigte sich der Graf auch als stattlicher Wolf. Bei Eggers bleibt er, wie 1922 und 1979 auch, eine überdimensionierte Rattengestalt, die ihren Heerscharen an Nagern ähnelt, mit denen das Böse die Stadt mit der schwarzen Pest überzieht. Robert Eggers hat auch für NOSFERATU seine ganz eigene Linie gefunden. Er entzieht sich den wesentlichsten Vergleichen, ist weder Allegorie, noch Metapher. Es ist reine Form des Bösen, dass über die Menschheit fällt, in der reinsten Form, wie man es erzählen kann. Im Hier und Jetzt seiner Zeit, und mit Miniaturen, Doppelbelichtungen, handgemachten Effekten, und Computereinsatz, irgendwo undefinierbar zwischen schwarzweißem Stummfilm und aktuellsten Kino.

NOSFERATU lässt sich nicht an Robert Eggers vorherigen Filmen messen, und sollte auch nicht dem modernen Auswüchsen des Horrorfilms gegenübergestellt werden. Auf seine stets verstörende und manchmal unangenehme Art, ist NOSFERATU ein ganz eigener Film. Bestimmt kein neuer Klassiker, aber genau der richtige Film für seine Zeit.

Nosferatu 2 - Copyright FOCUS FEATURES

 

Darsteller: Nicholas Hoult, Lily-Rose Depp, Bill Skarsgård, Willem Dafoe, Aaron Taylor-Johnson,Emma Corrin, Ralph Ineson u.a.

Regie & Drehbuch: Robert Eggers
nach dem Drehbuch von Henrik Galeen
nach dem Roman von Bram Stoker

Kamera: Jarin Blaschke
Bildschnitt: Louise Ford
Musik: Robin Carolan
Produktionsdesign: Craig Lathrop
USA, Großbritannien, Ungarn / 2024
132 Minuten

Bildrechte: FOCUS FEATURES
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