a.k.a. I’M STILL HERE
AINDA ESTOU AQUI
– Bundesstart 13.03.2025
– Release 07.11.2024 (BRA)
DCM-Screener, 09.02.2025
Originalfassung m.d.UT
FÜR IMMER HIER ist ein Drama nach wahren Begebenheiten. Der erste Reflex ist, den Film als Politdrama zu bezeichnen. Das ist er unter anderem. In der brasilianischen Militärdiktatur von 1964 bis 1985, wird Anfang der Siebziger der vormalige Abgeordnete Rubens Paiva zur Befragung durch die Polizei aus seinem Privathaus abgeholt. Er wird danach nie wieder gesehen. Diese Geschichte und ihre Auswirkungen hat Marcel Paiva in einem Buch festgehalten, der Sohn von eben jenem Rubens und Gattin Eunice. Daraus haben Murilo Hauser und Heitor Lorega ein sehr sensibles Drehbuch adaptiert, welches der brasilianische Filmemacher Walter Salles ebenso behutsam inszeniert hat. Und was sich anfänglich wie ein Politdrama ausnimmt, wird zu etwas größerem. Walter Salles erzählt die die Geschichte aus der Position von Eunice, einer starken Frau, die nicht aufgeben will, oder kann.
Die Paivas sind eine Familie mit fünf Kindern. Rubens war einst Abgeordneter, und wurde nach der Übernahme des Militärs Architekt. Eunice ist die fürsorgliche Mutter, die nach dem Verschwinden ihres Mannes, erst einmal selbst dem Terror von Inhaftierung und Verhören ausgesetzt ist. Danach beginnt der beschwerliche Weg, die Familie zusammenzuhalten und zu versorgen, aber auch dem Regime eine Erklärung über den Verbleib ihres Mannes abzuringen. Und Letzteres ist in einer Diktatur bekanntlich nicht so gerne gesehen. Politik und Familie werden in der Familie Paiva nicht mehr zu trennen sein, aber in erster Linie geht es für alle darum, ihre Integrität zu wahren.
Der Rummel begann direkt nach der Premiere auf dem Venice Film Festival im September, oder spätestens eine Woche danach, auf dem Toronto IFF. Einzig und allein Fernanda Torres wurde zum unverrückbaren Zentrum dieses Films, der aber so viel mehr ist als nur eine fantastische Schauspielleistung. Natürlich trägt Torres den Film, wie man so schön sagt. Ihre innere Stärke die spürbar wird. Ihre unglaubliche Verletzbarkeit, wenn sie stark und kämpferisch auftritt. Und diese Momente unheimlicher Hilflosigkeit. Unverrückbar im Zentrum, weil es ebenso eine unverrückbare Glanzleistung dieser faszinierenden Schauspielerin ist. Dabei wird schnell vergessen, wie Fernanda Torres zum Inbegriff dieses Films werden konnte. Weil Regisseur Walter Salles sie lässt.
Salles gibt Torres Raum, und er gibt ihr die Zeit. Immer wieder wird das Geschehen zurückgestellt, und es tritt in den Vordergrund, wie Eunice mit diesen Umständen fertig wird. Dieser Raum und die Zeit machen den Film aber nicht langsam. Salles‘ sehr bewusst auf die leisen Momente fokussierte Inszenierung, gibt auch der Familie im Gesamten genügend Raum. Die jüngsten Kinder können das Fernbleiben des Vaters gar nicht richtig einordnen, während die ältere Veroca bereits ihr eigenes politisches Verständnis entwickelt. Für alle ein ständiger Spagat zwischen Vernunft und Verzweiflung.
Ein Spagat auch für Kameramann Adrian Teijido, zumindest optisch, wie er ein Schicksal zwischen dem eigentlichen Wohlstand der Paivas und der tragischen Ungewissheit darstellt. Das eigentliche, visuelle Konzept ist deutlich die Perspektive von Eunice. Was sie sieht, was sie realisiert, oder was ihr verborgen bleibt. Die Bilder manipulieren keine Emotionen, sie sind Wahrnehmungen. Und lange Zeit verdrängt Eunice die Wahrheit hinter diesen Wahrnehmungen. Anfangs gibt Salles dem Film viel Raum für die Illusion einer heilen Welt, stellt die Familie vor, beobachtet ihre leidenschaftliche Dynamik, und initiiert bereits Spekulationen, für das was später passieren wird. Aber den ganzen Film hindurch verweigert sich der Regisseur szenisch aufgebauschter Spannungsmomente, oder überdramatisierter Dialoge. Es bleibt an Eunice, Schmerz, Verwirrung, Angst, aber auch vage Hoffnung für die Familie, und auch die Zuschauenden aufzufangen.
FÜR IMMER HIER ist ein starkes Drama, ein mitreißendes Drama, welches sich tatsächlich durch eine zu Recht beachtlich honorierten Fernanda Torres im Herzen und im Gemüt festkrallt. Ein exzellentes, zeitgeschichtliches Dokument, und ausgezeichnetes Familiendrama gleichermaßen. Es sind die leisen Momente, die ruhigen Passagen, welche sich am einprägen und unter die Haut gehen, in dieser Welt, wo alles zu jeder Zeit möglich ist. Aber Eunice Paiva war stark genug für diese Zeit, und weit über die Ära der Diktatur hinaus. Eine unbändige Kraft, die sich auch auf ihre Kinder übertragen hat.
Für Cineasten schlägt Walter Salles am Ende des Films eine grandiose Brücke zu seinem ersten Welterfolg CENTRAL STATION, mit Fernanda Montenegro, die Mutter von Fernanda Torres. Bei FÜR IMMER HIER spielt Montenegro die älter Eunice.
Darsteller: Fernanda Torres, Selton Mello, Guilherme Silveira / Antonio Saboia, Valentina Herszage / Maria Manoella, Luiza Kosovski / Marjorie Estiano, Barbara Luz / Gabriela Carneiro da Cunha u.a.
Regie: Walter Salles
Drehbuch: Murilo Hauser, Heitor Lorega
nach der Biografie von Marcel Rubens Paiva
Kamera: Adrian Teijido
Bildschnitt: Affonso Gonçalves
Musik: Walter Ellis
Produktionsdesign: Carlos Conti
Brasilien, Frankreich / 2024
137 Minuten