STRAUME – FLOW
– Bundesstart 06.03.2025
– Release 28.08.2024 (LVA)
Preview 01.03.25, Babylon, Fürth
Eine Katze streift durch den lichten Laubwald, als eine Meute bellender und jaulender Hunde auf sie zurennt. Es beginnt eine vermeintliche Hetzjagd, die zu einem abrupten Ende kommt. Die Katze wird nicht gejagt, die Hunde fliehen vor nahenden Wassermaßen. Mehr und mehr wird das Land überflutet. Die Katze ist unsere Heldenfigur, ohne wirklich Held zu sein. Sie ist unsere Augen und Ohren. Wir wissen nicht was passiert ist oder passieren wird. Wir bekommen keine Erklärungen, können nur erahnen. Mit unserer menschlichen Erfahrung, müssen wir uns dem Verständnis und dem Instinkt einer Katze anvertrauen. Und diese Katze führt uns durch den ungewöhnlichsten, aber zugleich poetischsten Animationsfilm der letzten Jahre.
Vergleichende Betrachtungen zweier Werke eines Künstlers demonstrieren oftmals dessen erzählerischen Vielschichtigkeit und intellektuelle Bandbreite. Aber AWAY – VOM FINDEN DES GLÜCKS, der sechs Jahre älteren Film des lettischen Filmemachers Gints Zilbalodis, unterscheidet sich in seinen emotionalen Ansätzen kaum von seinem jüngsten Film FLOW. Kaum. Und doch ist FLOW ein anderer, ein ganz eigener Film.
Kurz vor dem Ertrinken findet die Katze Zuflucht in einem Boot, in dem bereits ein Wasserschwein durch die steigenden Fluten treibt. Später gesellt sich ein Golden Retriever hinzu, ein Hund aus der vorangegangenen Meute. Ein Lemur will nicht ohne seinen gesammelten Glitzerkram aufs Boot. Und ein von seinem Schwarm ausgestoßener Sekretärsvogel übernimmt wie selbstverständlich das Ruder. Im stetigen Flow treibt das Boot durch aus dem Wasser ragende Baumspitzen, Felsen und verlassene Bauwerke. Der Mensch tritt nur durch seine Relikte in Erscheinung. Die Reise geht ins Ungewisse. Was diese umso spannender und einzigartig macht, weil sich die gegensätzlichen Tiere nur durch ihre natürlichen Laute und Wesensarten verständlich machen können.
Ob das Maunzen der Katze, das Kreischen des Vogels, das Jaulen des Hundes. Kombiniert mit ihren hundertprozentig akkuraten Bewegungsabläufen ist es ein Fest der Sinne. Kaum vorstellbar, dass Zilbalodis nicht auf Rotoskopie zurückgegriffen haben soll, bei dem reale Aufnahmen per Hand oder mit Computer nachgezeichnet oder verfremdet werden. Alles was die Tiere tun und zeigen – und man bekommt Erstaunliches zu sehen – wurde von einem sichtbar ambitionierten Team an Grafikern entworfen und animiert.
Die hyperrealistischen Bewegungen mit der Aquarell anmutenden Fell- und Federtextur lassen die Erscheinung der Darsteller zwischen Wirklichkeit und Fantasie verschwimmen. Aber zu keinem Zeitpunkt wirken sie befremdlich, vielmehr zugänglich auf einer unbestimmten, emotionalen Ebene. Der Regisseur selbst zeichnet sich auch noch für Kamera, Schnitt und Design verantwortlich, mit Anteilen an Drehbuch und Musik. Nicht nur die Art der Erzählung, sondern Gints Zilbalodis‘ hypothetische Kameraführung die mit dem Photorealismus der Bilder, zusammen mit der leicht abstrakten Zeichnung der Darsteller, gibt dem Film seine traumwandlerisch fesselnde Atmosphäre.
In FLOW ist die Kamera stets in Bewegung. In ungewöhnlich langen Einstellungen bewegt sich die Optik mit den Figuren, überholt sie, lässt sich zurückfallen, kreist um sie, selbst unter Wasser. Die Verbindung von ständiger Dynamik im Bild und der Länge der Einstellungen macht FLOW visuell sehr kraftvoll, nimmt aber nichts von seiner inneren Ruhe, die mit der Erzählung einhergeht. Es ist keine Ruhe, die durch Desinteresse entsteht. Sondern weil der Regisseur immer das Gefühl zu vermitteln versteht, dass er seinen Protagonisten nichts antun wird. Trotz Gefahr, wird ihnen nichts geschehen. Von Anfang wird deutlich, dass dies nicht der Film ist, in dem es Spannung um des Effektes willen geben wird. Das große Ganze liegt im Erfahren des Unbekannten.
Der Filmemacher versetzt uns Zuschauende in eine Wahrnehmung aus der Sicht seiner Figuren. Man erkennt Dinge, bringt sie aber in keinen Kontext, oder bleiben schlichtweg ein Geheimnis. Was bedeutet die haushohe Katzenstatue? Was sind die riesigen Seekreaturen? Wo sind die Menschen? Es scheint eine so vertraute Welt mit vertrauten Charakteren zu sein. Aber Zilbalodis zeigt sie uns als großes Mysterium, bei dem man staunt, lacht, und weint – und auch feststellt, dass es im Kino noch Wunder gibt.
Ein Film, der es tatsächlich versteht, keine Unterschiede zwischen jungem und älterem Publikum machen zu müssen. Ein Film der es tatsächlich schafft, in allen Aspekten alle Altersgruppen gleichermaßen anzusprechen. Fantastische Bilder, einnehmende Figuren, eine exzellente Tonebene, eine atmosphärische Schnittfolge. Und die magischste Sterbeszene, seit es Kino gibt. Gints Zilbalodis‘ FLOW ist eine geschlossene Welt aus zauberhafter Poesie – und die macht den Film zu einem ästhetischen Meisterwerk.
Darsteller: Katze, Capybara, Retriever, Lemur, Sekretärsvogel u.a.
Regie, Bildschnitt, Kamera, Grafikdesign: Gints Zilbalodis
Drehbuch: Gints Zilbalodis, Matiss Kaza
Adaption: Ron Dyens
Musik: Gints Zilbalodis, Rihards Zalupe
Lettland, Belgien, Frankreich / 2024
85 Minuten