– Bundesstart 16.01.2025
– Release 30.10.2024 (FR)
Man sollte es noch einige Zeit verstreichen lassen, bevor man den Worten Glauben schenken darf, dass JUROR #2 Clint Eastwoods letzter Film sein wird. Nach dem, nennen wir es ‚unrühmlichen‘ Flop CRY MACHO kommt dieses Versprechen, oder Androhung, wie immer man dazu eingestellt ist, nicht wirklich überraschend. Wer CRY MACHO gesehen hat, weiß wovon die Rede ist, für alle anderen muss man nicht wirklich in noch offenen Wunden bohren. Mit dem eigentlich für MAX gedrehten JUROR #2 werden allerdings bestehende Meinungen und gut gemeinte Ratschläge auf den Kopf gestellt. Diesen Film doch ins Kino zu bringen mag für Warner Bros eine betriebswirtschaftliche Entscheidung sein. Für den Cineasten ist es eine künstlerische Notwendigkeit. Und Würdigung eines großen Filmemachers.
Die Vorladung zum Geschworenendienst kommt für den Journalisten Justin Kemp mehr als ungelegen. Seine Frau Allison ist in den letzten Tagen einer Risikoschwangerschaft. Richterin Hollub sieht darin nur eine von vielen Ausreden, sich vor dem Dienst zu drücken. Verhandelt wird der Mord von James Sythe an seiner Freundin Kendall Carter. Für Anwältin Killebrew ist es ein Prestige-Prozess. Mit der zu erwartenden Verurteilung, könnte sie die die nächste Wahl zum Bezirksstaatsanwalt gewinnen. Aber nur für elf der zwölf Geschworenen steht nach der Beweislage ein Schuldspruch fest.
Natürlich ist der erste Reflex, eine Neuauflage von Sidney Lumets DIE ZWÖLF GESCHWORENEN zu sehen. Das verarbeitet Autor Jonathan Abrams sogar so offen, dass er zu Beginn der Beratungen eine ganze Dialogpassage aus dem 1957er Klassiker übernommen hat. Um dann aber in eine ganz andere Richtung abzudrehen. Wie zu erwarten ist hier der zwölfte Geschworene Justin Kemp. Und Justin bringt ein Geheimnis mit in das Beratungszimmer, über das er nicht sprechen kann oder darf. Trotzdem muss er einen einstimmigen Freispruch für James Sythe erreichen, und dazu muss er mit fadenscheinigen Argumenten improvisieren. Doch je mehr Leute Justin auf der einen Seite überzeugen kann, desto misstrauischer werden Menschen auf der anderen.
Im Film erfährt man sehr schnell die Motivationen bestimmter Personen, die natürlich hier nicht ausgebreitet werden. Genauso schnell wird aber klar, dass JUROR #2 keine Neuauflage von DIE ZWÖLF GESCHWORENEN ist. Und je weiter die Handlung fortschreitet, umso erstaunlicher ist es, dass dieses Drehbuch nicht nur der Erstling von Jonathan Abrams ist, sondern auch ein Original. Abrams verarbeitet so raffiniert die klassischen Formeln von Gerichtsdramen, ganz besonders aus den Achtzigern, dass dies allein schon richtige Freude bereitet. Aber aus diesen vielen kleinen Versatzstücken macht Abrams schließlich etwas ganz eigenes, und zaubert einen Thriller, der weit aus dem Gerichtsgebäude hinausführt. Und dies ist in den Händen von Clint Eastwood bestens aufgehoben. Es ist genau sein Stoff, von widersprüchlichen Figuren, und moralischen Fragen, von Werten und Verantwortung, von Justiz und Selbstjustiz.
JUROR #2 ist ein Thriller par excellence, der aber nie laut wird, sondern immer in seine Figuren hineingeht. Der Regisseur lässt seine Darsteller nicht reden, um sich zu erklären. Es ist eines seiner Markenzeichen, die Schauspieler über Gestik und Mimik erzählen zu lassen, was letztendlich auch diesen Film so eindringlich macht. Bei ihnen liegt die Wahrheit nie in den Worten, sondern immer im Gesicht. Dabei beweist sich Nicholas Hoult erneut als eines der stärksten, aber noch immer verkanntesten Schauspieltalente des aktuellen Kinos. Sein Justin hat Konflikte an drei Fronten zu bewältigen, wo in der Mitte das perfekte Familienglück liegen könnte. Und Hoult weiß jede Situation so präzise zu nuancieren, dass wir jeden seiner Schritte auch zu verstehen glauben.
Auch wenn Eastwoods Film als Thriller tituliert wird, zu Recht, ist er in erster Linie Schauspielkino. Die umwerfende Toni Colette als getriebene Staatsanwältin. Der immer und überall beeindruckende J.K. Simmons als ehemaliger Cop mit untrüglichem Instinkt. Und als selbstbewusster Anwalt zeigt Chris Messina wieder einmal, dass seine ganz große Hauptrolle lange überfällig ist. Das Spiel des Ensembles, die unaufdringlichen aber einnehmenden Facetten jeder Figur, dass erst macht den eigentlichen Thriller-Charakter des Films aus. Und Eastwood kann ausgezeichnet damit spielen. Wann immer wir glauben, die Spannungskurve hätte eine bestimmt Linie erreicht, wann immer wir glauben, zu wissen wie der weitere Verlauf sein müsste, löst die Inszenierung diesen Moment auf, und lenkt den Verlauf in eine überraschend andere Richtung.
Dies ist ein Film der ganz bewusst, aber auch überzeugend das klassische Gerichtsdrama erneut belebt, und ihm dennoch mit einer kaum vorhersehbaren Handlungsstruktur einen ganz eigenen Charakter gibt. JUROR #2 ist Spannungskino das nicht mit der sonst üblichen Effekthascherei künstlich aufgeblasen wird. Mit seiner für Clint Eastwoods typischen, ganz klaren, unverschnörkelten Bildsprache, wird JUROR #2 vollkommen auf die Figuren und die raffinierte Handlungsstruktur konzentriert. Yves Bélanger hat für den Regisseur bereits RICHARD JEWELL und THE MULE fotografiert. Da beginnen einen berechtigte Zweifel zu beschleichen, ob es tatsächlich ein gute Idee sei, dass sich Clint Eastwood von der Regiearbeit zurückziehen möchte.
Darsteller: Nicholas Hoult, Toni Collette, J.K. Simmons, Cedric Yarbrough, Chris Messina, Amy Aquino, Zoey Deutch u.a.
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Jonathan Abrams
Kamera: Yves Bélanger
Bildschnitt: David S. Cox, Joel Cox
Musik: Mark Mancina
Produktionsdesign: Ronald R. Reiss
USA / 2024
114 Minuten