CAPTAIN AMERICA: Brave New World

Captain America BNW alt - Copyright MARVEL– Bundesstart 13.02.2025
– Release 12.02.2025 (FR)

Basierend auf der englischen Originalfassung.
Soll man über den Elefanten im Raum sprechen? Eigentlich muss man über ihn sprechen. Aber vielleicht kann man erst einmal über den Film als solchen reden. Das Marvel Cinematic Universe hat sich etwas rar gemacht. Auch wenn DEADPOOL & WOLVERINE offiziell zu Phase 5 des MCU zählt, Hand aufs Herz, so richtig will sich Ryan Reynolds‘ Baby stilistisch und inhaltlich noch nicht in die ausufernde Reihe einordnen lassen. Dann würden aber nur die GUARDIANS OF THE GALAXY 3 als würdige Vorgänger bleiben, und das ist 22 Monate her. Denn vor und nach denen gab es ANT-MAN: QUANTUMANIA und THE MARVELS. Erinnert sich noch jemand an die beiden? Und wenn ‚Nein‘, warum wohl? Marvel braucht CAPTAIN AMERICA 4 in Zeiten der Superhelden-Müdigkeit, von der niemand sprechen will. Und auch die geneigten, aber schwindenden Kinofreunde brauchen eine BRAVE NEW WORLD.

CAPTAIN AMERICA: BRAVE NEW WORLD ist bestmöglich ausgedrückt, sehr solides Popcorn-Kino. Sam Wilson hadert immer noch damit, von Steve Rogers als neuer Captain America ausgewählt worden zu sein. Auch wenn es mit FALCON AND THE WINTER SOLDIER eine ganze Miniserie zu Wilsons Dilemma gab. Aber ausgerechnet vom frisch gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten bekommt Wilson den Auftrag, wieder ein Avenger-Team zu formieren. Der neue Präsident ist kein geringerer als Thaddeus Ross, ehemaliger Jäger von Hulk, und Gegner einer autarken Avenger-Initiative. Die Rolle von Ross wurde von Harrison Ford übernommen. Leider verstarb William Hurt, kurz bevor er hier zum fünften Mal den verbohrten U.S. General mimen konnte.

Es ist also vieles anders im neuen Marvel-Abenteuer. Aber nicht allein deswegen gibt es unentwegt erklärende Dialoge. Unbedarftes Publikum muss genauso informiert werden, wie man Ereignisse wieder in Erinnerung rufen muss, für die Freunde der größten Filmreihe in der Geschichte. Das wirkt manchmal störend, aber manchmal auch naiv. Sehr subtil sind die Drehbuchschreiber in ihrer Erzählung nicht. Wenn ein sprechender Protagonist lange nicht zu erkennen ist, dann soll sein Erscheinen einen Aha-Effekt auslösen. Wenn von Kirschblüten die Rede ist, weiß man das die Kirschblüte auch noch mal wichtig wird. Wilsons Hadern mit seiner Rolle ist ein auf Fernsehfilm-Niveau herbei geschriebenes Problem, weil Captain America seiner Aufgabe als Superheld eigentlich bereits gerecht wird. Auch wenn es darum geht, mit dem neuen Falcon Joaquin Torres, eine Verschwörung gegen den neuen Präsidenten zu vereiteln.

Es gibt Filme, die unheimlich stark von mehreren Autoren profitieren. Bei BRAVE NEW WORLD hat es den Anschein von den vielen Köchen und dem Brei. Als würde eine gute Idee gegen eine andere gute Idee ankämpfen, und sich dann beide neutralisieren. Es werden Gedanken aufgegriffen, die im Nichts verlaufen, weil eine Handlung vorangetrieben wird, die viel weniger zu bieten hat, als sie vorgibt. Vormachtstellung in der Weltpolitik. Der Umgang mit außerirdischen Einflüssen. Moralische Verantwortung. Soziopolitische Strukturen. Alles wird auf die einfachste und verständlichste Form heruntergebrochen, und dann in aufwendig choreografierter Action erstickt.

Captain America BNW a - © 2024 MARVEL

Der wahre Antagonist kommt in Gestalt des Wissenschaftlers Samuel Stern, dem es gelingt, Präsident Ross in einer körperlich veränderten Form (zwinker, zwinker) in seine Gewalt zu bringen, und gegen Captain America kämpfen zu lassen. Der in anderen Rollen fantastische Tim Blake Nelson hat hier die undankbare Aufgabe, einen der uninteressantesten, und am wenigsten bedrohlichen Bösewichter in den bisherigen Marvel-Filmen zu verkörpern. Grundsätzlich keine gute Voraussetzung für einen Film, dem definitiv der Humor fehlt. Einzige Freude bereitet Danny Ramirez als neuer Falcon, der trotz gelungener Einsätze, von Wilson/Captain America wie ein lernbedürftiger Schuljunge behandelt wird. Ramirez macht mit seiner ungezwungenen Art, und seinen flotten Sprüchen richtig Spaß. Viel mehr von Ramirez hätte allen gut getan.

Der Blick zurück ins MCU zeigt eine Verpflichtung zur gehobenen Erzählung. Von keinem Marvel-Film wurden bisher die realen Probleme der Welt gelöst, aber sie bewiesen immer das selbst auferlegte Gebot von anspruchsvoller Unterhaltung. Bei BRAVE NEW WORLD bekommt man das Gefühl sich unterhalten fühlen zu müssen, allein weil der Film mit einem gewissen Vermächtnis einhergeht. Stattdessen hangelt sich der Film mit dürftiger und absehbarer Handlung von einem Action-Setting zum nächsten. Das ist eben jenes Popcorn-Kino, wie es durchaus sein darf, hier aber nicht ist. Ein Grund ist Laura Karpmans extrem aufdringlicher Soundtrack. Der ist gerade in den Action-Szenen viel voluminöser, als die Bilder überhaupt hergeben, und absurd laut abgemischt.

Viele visuelle Effekte sind sehr gelungen, andere überhaupt nicht. Ausgerechnet im Showdown wechseln sich diese Qualitäten ab. Die Kontinuität hat von Szene zu Szene auffallend bei Harrison Fords Haarschnitt versagt. Allerdings ist Ford als Präsident sehr souverän (das zweite Mal nach dreißig Jahren), aber er ist in seiner Art eben Harrison Ford. Dafür liegt Tim Blake Nelsons prothetisches Make-up zwischen lächerlich und Sesamstraße. Allerdings sind einige Zeitlupen sehr elegant, die ausgezeichnet diverse Auswirkungen von taktischen Kampftricks verdeutlichen. Diese Zeitlupen sind die einzigen bemerkenswerten Details in der sonst herkömmlichen Inszenierung.

Captain America BNW 3 - © 2024 MARVEL

Die klassische, aber uninspirierte Regiearbeit von Julius Onah kämpft merklich mit der Einfallslosigkeit von fünf Drehbuchautoren, von denen einer er selbst ist. Und das führt direkt zu der Figur Captain America (die Prämisse des Films gibt es vor), und dem Elefanten im Raum. Die Comic-Figur von Joe Simon und Jack Kirby war in den ersten Jahren ein durchweg patriotischer Held, der erst in den Siebzigern unter Stan Lee anfing sich den politischen Gegebenheiten anzupassen. Und mit Sam Wilson als Falcon, wurde einem Superhelden der erste, schwarze Avenger an die Seite gezeichnet.

Wofür steht dieser neue Captain America? Niemand erwartet, dass das MCU politisch wird, und niemand würde das wirklich wollen. Aber wäre eine nachvollziehbare Position nicht angebracht? Nicht auf brennend aktuelle Ereignisse, ein Drehbuch kann dafür nicht zeitnah genug verfasst werden, aber Probleme liegen auf der Hand, derer man nicht müde werden sollte anzusprechen. CAPTAIN AMERICA: CIVIL WAR ist kein politischer Film, aber mit Steve Rodgers von Vorsicht geprägter Haltung gegenüber Regierungen, wurde ein Statement gesetzt. Und mit Falcon, ist die Erfindung eines schwarzen Avengers vor 55 Jahre eindeutig bürgerrechtlich motiviert. Es ist auffallend, wie knapp manche Dialoge bei BRAVE NEW WORLD am Kern der Problematik vorbeischrammen.

Selbst als Sam Wilson direkt auf seine Motivation angesprochen wird, gibt es lediglich eine patriotische heile-Welt-Ansprache. Der schwarze Sam Wilson wird vom grundlegenden Fantasie-Szenario geschluckt. Ein Szenario das eigentlich nur an der Oberfläche besteht, und somit sehr viel Raum für Visionen, Denkanstöße, Kommentare,  und Hypothesen bereithält. Und für allgemein mehr Substanz. Das funktioniert, auch ohne das Publikum mit Weltverbesserei zu langweilen. Ein sehr gutes Beispiel ist doch die fantastische, und hoffentlich zukünftige Stammspielerin Shira Haas. Als ehemalige ‚Widow‘ festigt sie mit ihrer Urgewalt den Spruch, das Buch nie nach dem Einband zu beurteilen. Das sollte man bei BRAVE NEW WORLD auch nicht, denn den Titel sucht man im Inhalt und in der Umsetzung vergeblich. Als kurzweiliges Popcorn-Kino funktioniert Julius Onahs Film sehr gut. Aber mehr wird einem verschriebenen Marvel-Idealisten nicht gegönnt.

Captain America BNW b - © 2024 MARVEL


Darsteller: Anthony Mackie, Harrison Ford, Danny Ramirez, Shira Haas, Tim Blake Nelson, Giancarlo Esposito u.v.a.

Regie: Julius Onah
Drehbuch: Julius Onah, Rob Edwards, Malcolm Spellman, Dalan Musson, Peter Glanz
Kamera: Kramer Morgenthau
Bildschnitt: Madeleine Gavin, Matthew Schmidt
Musik: Laura Karpman
Produktionsdesign: Ramsey Avery
USA / 2025
118 Minuten

Bildrechte: MARVEL
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