– Bundesstart 16.01.2025
– Release 27.09.2024 (NOR)
Preview 07.01.25, Babylon, Fürth
Die skandinavischen Länder sind keine Länder von unbegrenzten Möglichkeiten. Und wo es an unbegrenzten Möglichkeiten fehlt, wird eben mit skrupellosem Nonkonformismus das System hintergangen. Was bedeutet, kompromisslose Geschichten mit am Weltmarkt unverbrauchten Gesichtern. Wie die Geschichte mit der Schauspielerin Elisabeth, die wegen eines Fehlverhaltens ihres Sohnes, zur Schulleitung zitiert wird, und dort Rede und Antwort stehen muss. Sohn ist der titelgebende Armand, dessen Opfer wäre sein bester Freund Jon. Im Klassenzimmer sind noch Jons Eltern, die Lehrerin, der Rektor, und die Schulärztin. Der alarmierende Vorfall wird als sexueller Übergriff behandelt. Es kommt wie es kommen muss, und wie nicht anders zu erwarten. Alles gerät etwas außer Kontrolle, und nichts ist wirklich so, wie eigentlich festgestellt wurde. Der Verleih möchte eine werbenden Vergleich zu Ilker Çataks LEHRERZIMMER herstellen, den besteht ARMAND ganz bestimmt nicht.
Bei aller Liebe zur bildenden Kunst, macht Halfdan Ullmann Tøndels Film den Eindruck eines studentischen Erstlings, in dem man brachial die Form über die Substanz stellt. Da will Tøndel, oder vielleicht auch Kameramann Pål Ulvik Rokseth, den Film so schrecklich aufdringlich nach Zelluloid aussehen lassen, dass allein die Grobkörnigkeit des Bildes schon die Anmutung von Computer-Hilfe hat. Die Produktionsnotizen geben eine Arri 416 an, aber auf 16mm zu drehen ergibt schlichtweg keinen Sinn, weil es eigentlich künstlich wirkt, und sich damit gegen die Handlung stellt. Und ist dem Film auch im Weg, weil viele Szenen nicht nur unterbelichtet wirken, sondern auch glanz- wie farblos sind.
Die technischen Aspekte aber auf Seite, schließlich gibt es noch eine Handlung. Bis auf die Tatsache, dass die Tonmischung etwas übertreibt, und in manchen Szenen Spannungsmomente aufbaut, die zu nichts führen. Als Schauspielerin ist Armands Mutter für das im Klassenzimmer versammelte Krisenmanagement zuerst einmal eine Exzentrikerin. Sunna ist die junge, sehr motivierte, aber extrem unerfahrene Lehrerin. Rektor Jarle ist merklich von allem peinlich berührt, was unangenehm werden kann. Die übergewichtige Sportlehrerin Ajsa hat ständig mit Nasenbluten zu kämpfen. Und Jons Vater Anders erweckt den Eindruck als wäre er gerne abwesend, und seine Mutter Sarah kann ihren sichtlichen Zorn gegen Elizabeth nur schwer im Zaum halten. Es ist ein Szenario mit unglaublich viel Potential, von der Tragödie bis hin zur Farce.
Auf verblüffende Weise schafft Filmemacher Tøndel weder das eine, noch das andere. Und wenn er versucht durch allen dramaturgischen Ausrichtungen zu mäandern, ist das alles andere als stimmig. Es lässt einen unerwartet kalt. Das einzige was einen bei der sich mühsam aufbauenden und nur schleppend entwickelnden Geschichte hält, ist der überraschende Knall der Auflösung. Und der bleibt aus. Beim Elternpaar werden lange aufgestaute Probleme bemerkbar. Die Vertreter der Schule verrennen sich zunehmend in unüverlegten Äußerungen und falschen Vermutungen. Und Elizabeth kämpft gegen ein mysteriöses Unvermögen, welches sich nicht befriedigend offenbart.
Irgendwo wahllos zwischendrin streut der Autor und Regisseur Szenen, einschließlich des bizarren Endes, die derart abstrakt sind, dass man keine Erklärung dafür findet. Ein durchaus ansteckender Lachanfall, eine unmotivierte Tanzsequenz, und eine mehr als unbefriedigende Auseinandersetzung mit anderen Lehrern. In einem sorgsam durchdachten Kontext wären diese Momente vielleicht angemessen gewesen, was einem der Regisseur aber hier versagt. Man darf an dieser Stelle der Werbeabteilung ausnahmsweise zustimmen, Renate Reinsve kann mit ARMAND ihre bahnbrechende Leistung in DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT durchaus steigern. Allerdings bei einem Film, bei dem am Ende unklar bleibt, was er denn erzählen wollte. Halfdan Ullmann Tøndel inszeniert sein unschlüssiges Drehbuch dann auch noch so furchtbar langsam und unspektakulär, dass hier das Prädikat des gegen den Strich gebürsteten, skandinavischen Films kaum Berechtigung findet.
Darsteller: Renate Reinsve, Thea Lambrechts Vaulen, Ellen Dorrit Petersen, Endre Hellestveit, Øystein Røger, Vera Veljovic-Jovanovic u.a.
Regie & Drehbuch: Halfdan Ullmann Tøndel
Kamera: Pål Ulvik Rokseth
Bildschnitt: Robert Krantz
Musik: Ella van der Woude
Produktionsdesign: Mirjam Veske
Norwegen, Niederlande, Großbritannien, Deutschland, Schweden
2024
117 Minuten