A REAL PAIN

A Real Pain - Copyright SEARCHLIGHT PICTURES– Bundesstart 16.01.2025
– Release 01.11.2024 (US)

Als Jesse Eisenberg 2022 sein Autoren- und Regiedebüt drehte, hatte er die eigentlich typische Jesse Eisenberg-Rolle an Finn Wolfhard übertragen. WHEN YOU FINISH SAVING THE WORLD ist aus diversen Gründen kein Erfolg geworden. An Wolfhard liegt es nicht, obgleich niemand so gut Jesse Eisenberg kann wie er selbst, der irgendwie schon zum eigenen Typus wurde. Hektisch, ironisch, manchmal überheblich, mit einer Spur überspielter Verunsicherung. Für seinen zweiten Spielfilm als Autorenfilmer hat er diese, seine eigene Rolle nicht abgegeben. Wer böses dabei denkt, würde behaupten, dass es reines Kalkül war. Eisenberg ist lange genug im Geschäft, um ein Gespür dafür zu haben, pures Gold in den Händen zu halten. In diesem Fall sein eigenes Drehbuch zu A REAL PAIN. (Achtung, ehrlich gemeinte Plattitüde) Ein echtes Juwel im Schauspielkino.

Die amerikanischen Cousins Benji und David Kaplan reisen nach Polen, um einen persönlichen Eindruck über die jüdische Kultur und deren tragisches Schicksal zu bekommen. Und um das Geburtshaus ihrer verstorbenen Großmutter Dory zu besuchen. Die ersten Tage verbringen sie mit einer kleinen, intimen Reisegruppe, geleitet von James, einem britischen, nicht-jüdischen Reiseführer. David ist ein organisierter, unter Zwangsstörung leidender Familienvater. Benji ist ein exzentrischer Freigeist, ohne Lebensplan, aber mit unkonventioneller Offenheit gegenüber anderen. Als Kinder waren David und Benji unzertrennlich. Diese Reise soll alte Zeiten in Erinnerung rufen, so der Wunsch von Großmutter auf dem Sterbebett. Vielerlei Erinnerungen.

Es führt kein Weg daran vorbei, egal wie man es dreht und wendet, dass dies Kieran Culkins Film ist. Und egal wie man es dreht und wendet, Culkins Benji könnte ohne Eisenbergs David überhaupt nicht bestehen. Es gibt kaum Filme, in denen sich zwei so unterschiedliche Figuren so perfekt ergänzen. Sie brauchen einander, um sich selbst zu verstehen. Während die Cousins den schrecklichen Zeugnissen der Geschichte folgen, zeigen sich auch schrittweise ihre persönlichen, inneren Qualen. Im Verlauf gewinnt der titelgebende ‚wahre Schmerz‘ in mehreren Bezügen eine Bedeutung.

A Real Pain 2 - Copyright SEARCHLIGHT PICTURES

Eisenbergs wahnsinnig intelligentes Script wirkt in seinen Aussagen immer im zweifachen Sinne. Die Jungs müssen sich mit sich selbst auseinandersetzen, während sie gleichzeitig versuchen zusammen die jüdische Geschichte in ihrer dunkelsten Zeit zu verstehen. Benji ist ein extrem mitfühlender Mensch, ist aber mit sich selbst nicht im Klaren. Und der Film selber ist eine extrem gefühlvolle Geschichte, in der es um die Suche nach den wahren Gefühlen geht. Das könnte ein ganz starkes, herzzerreißendes Drama sein. Es könnte auch eine respektlos kontroverse Komödie sein. A REAL PAIN ist nichts davon, obwohl der Film tieftraurige, emotionale Momente hat, und auch immer wieder irrsinnig komisch ist. Aber vor allem ist er unglaublich ehrlich, und in allen Momenten greifbar.

Kieran Culkin ist mittlerweile 42 Jahre alt, und davon 34 Jahre im Geschäft. Zu sagen, dass er es weit bringen wird, wäre echter Hohn. Culkin ist längst in Höhen angekommen, die für andere unerreichbar sind, er wählt nur seine Rollen extrem sorgfältig aus. Und Benji Kaplan ist mit Abstand die beste davon. Sein extrovertierter, schonungslos offener Benji hätte leicht zur nervigen Farce werden können. Die Fremdschäm-Momente in A REAL PAIN sind extrem hoch. Dennoch erleuchtet Benji jeden Raum den er betritt, und hat automatisch Verbindung zu jedem. Und es ist Kieran Culkin der den Raum betritt. Benji spricht auch uns alle an, weil er tut und sagt was uns selbst im gleichen Moment auf der Seele brennen würde. Und es ist Culkin, der daraus keine Farce macht, sondern einen sensiblen, sehr ansprechenden Menschen. Während David unser aller rationale, verantwortungsvollere Hälfte ist, aber selten natürlich, und nicht wir selbst.

Jesse Eisenbergs David wird trotz Benjis dominierender Präsenz nie unwichtig. Ohne David, und einhergehend mit Eisenbergs ausgewogen feinfühligem Spiel, würde diese Leinwandkombination nicht funktionieren. Und weil diese so gut funktioniert, hat der Film auch unheimlich viel zu sagen. Nicht aufdringlich oder lautstark, aber immer sensibel im Ausdruck seiner Darsteller. Und ohne ein Gramm zu viel, scharfsinnig in seiner Inszenierung. Was im Übrigen auch unbedingt für die etwas hinten anstehenden, fünf Nebendarsteller gilt. Es ist der erste Spielfilm, der in einem wirklichen Konzentrationslager drehen durfte, in diesem Fall Majdanek. A REAL PAIN ist ein echtes Juwel, dass Jesse Eisenberg intelligent und einnehmend erzählt.

A Real Pain 1 - Copyright SEARCHLIGHT PICTURES


Darsteller: Kieran Culkin, Jesse Eisenberg, Jennifer Grey, Will Sharpe, Kurt Egyiawan u.a.
Regie & Drehbuch: Jesse Eisenberg
Kamera: Michal Dymek
Bildschnitt: Robert Nassau
Produktionsdesign: Mela Melak
USA, Polen / 2024
90 Minuten

Bildrechte: SEARCHLIGHT PICTURES
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