FÆDRE & MØDRE
– Bundesstart 23.05.2024
– Release 03.11.2022 (DNK)
Zum vierten Mal hat Hannah nun schon die Schule gewechselt. Das kreative Mädchen war in den anderen Institutionen einfach unterfordert. Hier an der Adlerhus Schule soll das anders werden. Zur Freude von Hannah, und zur allgemeinen Zufriedenheit der Eltern Ulrik und Piv, Kurzform von Pernille. Aber mit dem Kind in der Schule allein ist es nicht getan. Piv und Ulrik müssen noch beim Elternabend begrüßt werden, und sich beim Klassenausflug bewähren. Dieser dreitägige Hüttenaufenthalt von Schülern und Eltern der 6B der Adlerhus Skole wird für Piv und Ulrik dann auch zur Feuerprobe, fast schon im wortwörtlichem Sinne. Denn Paprika Steen inszeniert ihren Ausflug genau mit den sonderlichen Eigenheiten die solche Vorhaben mit sich bringen. Und wie es schon jeder Elternteil erfahren hat, oder kinderlose Menschen gehört haben. Laut, schräg, unsicher, gemein, hinterlistig, selbstgefällig, armselig.
Jakob Weis hat das Drehbuch geschrieben, der mehr bei TV beschäftigt ist, aber mit Steen bereits vier Jahre vorher den weniger erfolgreichen ALLE JAHRE WIEDER geschrieben hat. Anzunehmen, dass VON VÄTERN UND MÜTTERN hierzulande auch nicht erfolgreicher laufen wird. In anderen Ländern ist die 2022 veröffentlichte Produktion schon lange auf Silberscheibe erschienen. Die Frage des Erfolgs ist aber auch eine Frage des Themas. So witzig, böse und satirisch sich der Film gleich von Anfang an entfaltet, ist es eben eine auf den Punkt gebrachte Geschichte, direkt aus dem Leben. Piv und Ulrik merken sehr schnell, wie fremd sie sich in der Elterngruppe fühlen.
In der Hütte angekommen, lässt Paprika Steen die Kinder weitgehend aus der Geschichte. Lediglich Hannah muss ab und an als Spiegel für die grässlichen Vorurteile herhalten, weil sie ausgerechnet mit dem unterprivilegierten Julian abhängt. Die unterschiedlichsten Macken der anderen Eltern stellen eine echte Belastungsprobe dar. Es gibt das Alphamännchen, die prüde Vorsichtige, den Aufschneider, die streitsüchtige Zicke, den Fremdgänger, die Überkorrekte, der Besserwisser, die sehr Freigeistige. Sie alle sind dabei, und alle mit ihren spezifischen Neurosen. Zu heftigen Gefühlsausbrüchen kommt es schon wegen Kleinigkeiten. Sei es Kindererziehung, oder eine verstopfte Toilette.
Doch wenn die Kinder in den Kojen liegen, eskaliert bei den Erwachsenen der Joint- und Alkoholgenuss bereits in der ersten Nacht, als ob nichts gewesen wäre. Jemand entpuppt sich als Betrüger, andere als Lügner. Menschen die eigentlich keine Gemeinsamkeiten haben, zum gemeinsamen Spaß verdammt. Das Los von Elternschaft und Gruppenzwang. Weis als Autor und Steen in der Inszenierung beweisen sich als präzise Beobachter mit scharfem Blick auf gesellschaftliche Unzulänglichkeiten. Die Bösartigkeiten des Lebens lassen das Publikum vergnügt schmunzeln. Oder Fremdschämen. Was an VON VÄTERN UND MÜTTERN so eindringlich berührt, ist seine unangenehme Ehrlichkeit.
Die Kamera von Jan Pallesen ist zuerst ein nüchternen Betrachter, aber Jacob Thuessen nutzt das im Schnitt sehr geschickt. Gewisse Einstellungen lässt er entweder einen Bruchteil einer Sekunde zu lang stehen, oder schneidet knapp zu früh weg. Dadurch offenbaren sich manchmal noch entlarvende Reaktionen der Figuren, oder diese Reaktionen sind zu kurz, und man rätselt über ihre Bedeutung. Der Film zieht einen unterbewusst viel näher an die Figuren, als man zuerst wahrhaben möchte. Paprika Steen hat ein Drama, eine Komödie, einen Psychothriller, eine Satire gemacht. Er ist so viel, und doch trifft nichts wirklich den Kern. Es ist eben ein skandinavischer Film.
Was dem Film aber fehlt, sind neue Ansätze, ganz eigene Gedankengänge, vielleicht ein etwas größerer Knall, um diese satirische Wirklichkeit zu einer bitterbösen Farce zu machen. VON VÄTERN UND MÜTTERN ist am Ende doch etwas brav, auch wenn er immer wieder genau seine wunden Punkte trifft, welche mit den dargestellten Ereignissen einhergehen. Es sind auch die ‚unterhaltsamensten‘ Momente, wenn nach heftigen Auseinandersetzungen und unverblümten Beschimpfungen so getan wird, als wäre nichts gewesen. Was das exzellente Ensemble wunderbar meistert, die alle schon einmal in diversen Konstellationen bei anderen Filmen zusammengearbeitet haben.
Es ist die überzeugende Natürlichkeit der Darsteller, die aus dem Film weit mehr machen als die Geschichte hergibt. Hergibt, in dem Rahmen, weil Steen ihren Film auch glaubwürdig halten will. Katrine Greis-Rosenthal und Jacob Lohmann sind ein grandioses Elternpaar zwischen Helikopter-Fürsorge, Vorbehalten, und Anbiederung. Allerdings steht die gesamte Darsteller-Riege mit ihren unterschiedlichen Marotten den Erstgenannten in nichts nach. Paprika Steen lässt ein wenig die Schärfe von ADAMS ÄPFEL oder UNDER THE TREE vermissen, VON VÄTERN UND MÜTTERN ist dennoch ein Film, der dem skandinavischen Kino absolut gerecht wird, und unterhält.
Darsteller: Jacob Lohmann, Kathrin Greis-Rosenthal, Rasmus Bjerg, Lise Baastrup, Nikolaj Lie Kaas, Line Kruse, Mikael Birkkjaer, Lisa Loven Kongsli sowie Ida Skelbæk-Knudsen u.a.
Regie: Paprika Steen
Drehbuch: Jakob Weis
Kamera: Jan Pallesen
Bildschnitt: Jacob Thuessen
Musik: Jeppe Kaas
Produktionsdesign: Julie Hennecke Hartman
Dänemark / 2022
97 Minuten