– Bundesstart 17.07.2024
– Release 10.07.2024 (IND)
Jan de Bonts Katastrophen-Action-Mix TWISTER von 1996 zeigt dem Publikum in unablässig beeindruckenden Details und cineastischer Kunstfertigkeit die unbändige Gewalt eines Tornados. In der Neuauflage geht MINARI Regisseur Lee Isaac Chung viel weiter, und bringt das Publikum buchstäblich mitten hinein in das Naturphänomen. Und das ist meist gar nicht gut, und für den Spannungsfaktor auch nicht unbedingt zielführend. Oftmals sind auch Vergleiche zwischen zwei Filmen nicht zielführend. Aber was will man machen, wenn das federführende Universal Studio auf einen der heute noch beliebtesten Katastrophenfilme des aktuellen Kinos aufbaut, aber vehement bestreitet eine Remake oder Fortsetzung zu haben. Lee Isaac Chungs TWISTERS ist kein eigenständiger Film, und deswegen sei der Vergleich gestattet, dass Jan de Bonts Original TWISTER der überlegene Film ist. In vielerlei Hinsicht. Buchstäblich versetzt Chung das Publikum inszenatorisch so tief ins Computer animierte Zentrum der Naturgewalt, dass man in den meisten Sequenzen die Orientierung verliert.
Nach einem traumatisierendem Ereignis hat Tornadojägerin und Meteorologin Kate Cooper dem Jagen auf freier Wildbahn abgeschworen. Gleich zu Anfang zeigt Lee Isaac Chung mit der wohl intensivsten und gleichzeit überraschendsten Szene des Films warum. Er nutzt eine hier nicht gespoilerte, aber sehr raffinierte Besetzungsentscheidung, um ein filmbegeistertes Publikum in die emotionale Lage der Hauptfigur zu versetzen. Fünf Jahre später steht Kates ehemaliger Partner Javi vor der Tür, dem jetzt die beste Technik für die Untersuchung von Tornados zur Verfügung steht. Aber dazu braucht es Kate, die einzige welche die zerstörerischen Monster zur genau richtigen Zeit finden kann.
Soweit überrascht die sehr einfach gestrickte Geschichte nicht, die von TOP GUN: MAVERICK Regisseur Joseph Kosinski erdacht, und von Mark L. Smith zum Drehbuch verwandelt wurde. In fast allen Punkten folgt das Buch vorhersehbar den einfachsten Standards von Filmdramaturgie. Wenn also der zweite Name auf der Besetzungsliste, und derzeitig begehrteste männliche Schauspieler Hollywoods, als Antagonist der weiblichen Hauptfigur gegenübergestellt wird, weiß man das es mit ihm als Widersacher nicht so weit her sein kann. Glen Powell ist dieser Tyler Owens. Ein skrupelloser Tornadojäger mit großer Klappe und Wild-West-Manieren, der sich als YouTube-Star feiern lässt.
Man erfährt ein wenig über Tornados, über das Wetter, und über die Community von Jägern. Immer wieder gibt es spektakuläre Action, sei es mit Autojagden, oder mit Sturmsequenzen, oder mit Autojagden in Sturmsequenzen. Bis sich die seriöse Kate und der flegelhafte Tyler aus widrigen Gründen zusammentun müssen. Und eine unnötige Nebenhandlung von Geldgier und Vorteilnahme wirbelt auch noch die Verhältnisse durcheinander. Es ist ein klassischer Plot, der sich in seiner abgedroschenen Struktur nur durch atemberaubendes Spektakel rechtfertigen kann. Aber letztendlich ist es die Attraktivität und Leistung der Schauspieler, die das Ganze funktionieren lassen.
In erster Linie sind es Daisy Edgar-Jones und Glen Powell, die aus nicht sehr tiefgründigen Texten glaubhafte Dialoge zaubern. Ihre Chemie geht schon so weit, dass man bereits ihre anfängliche Rivalität nicht wirklich ernst nimmt, und sie später wie ein lange zusammengehöriges Paar agieren. Aber die Chemie passt, was die für Popcorn-Kino üblichen, Klischee behafteten Charakter-Muster sogar sehenswert machen. Womit Edgar-Jones und Powell überzeugen, lassen die anderen Figuren vermissen. Was allerdings an den unausgereiften Zeichnung im Drehbuch und der vernachlässigten Schauspielführung liegt. Aber Regisseur Chungs Motivation bläst ohnehin in andere Richtung.
Der Regisseur möchte zweifelsfrei einen TWISTER machen. Zeugnis dafür liefern die unzähligen Nachstellungen einzelner Bilder und sogar ganzer Szenen. Am auffälligsten der ikonische Moment, wenn im Original Bill Paxton mit einer Handvoll Erde einen Tornado vorhersieht. Aber der Regisseur möchte genauso zweifelsfrei seinen ganz eigenen TWISTERS machen. Und das bezieht sich hauptsächlich auf die Weiterentwicklung von Film- und Kinotechnik. Die Mischung gelingt nur mäßig überzeugend. Als eigenständiger unvorbelasteter Film würde TWISTERS wahnsinnigen Spaß machen. Doch man kann das Original und dessen inszenatorischen Einfluss einfach nicht weg ignorieren.
Die Dolby-Atmos-Mischung ist gewaltig, im Herzen der Tornados sogar angsteinflößend. Noch immer kein Vergleich zu der DTS-Tonspur von 1996, die wegen der extremen Basslinien vielen Kinos die Lautsprecher kostete. Doch die Atmos-Tonebene gibt TWISTERS‘ Landschaften von Oklahoma eine förmlich spürbare Weite, und erzeugt im Action-Chaos eine effektive, klaustrophobische Dichte. Aber Kern sind selbstredend die spektakulären Visual Effects, die in den letzten Jahren extrem hohe Standards angenommen haben. Für TWISTERS nicht immer zum Vorteil, denn der Regisseur setzt seine Protagonisten sehr gerne mitten in den Einflussbereich des Tornados.
Es stürmt, es kreischt, es regnet und hagelt, dass kennt man bereits aus dem Original. Hier hat der Realismus vor allem in den Bildern eine ganz neue Qualität erreicht. Realismus bedeutet, dass auch dem Publikum eine klare Sicht vorenthalten bleibt, und es im Chaos die Orientierung verliert. Die zerstörerischen Schauwerte verschwinden hinter einer Wand von Computer generiertem Staub und Regen. Die Schäden der Naturgewalten werden erst im Nachhinein wirklich sichtbar. Reißerisch bleibt es allemal, weil Lee Isaac Chung genau weiß wie und wo er richtig Tempo machen muss. Aber auch die Kameraarbeit von Dan Mindel zählt sich zu den wirksamen Werkzeugen des aufwühlenden Getöses.
In ihrer Vitalität besteht ein gravierender Unterschied zwischen einer fließenden Kamerabewegungen, und einer die Körperbewegungen simulierenden Optik (gerne als Schulterkamera bezeichnet). Seinerzeit hat Jan de Bont (eigentlich selbst Kameramann) bei seinem Original mit sehr klaren Bildern, aber unablässigen Kameraüberflügen und –fahrten, eine durchgängig intensive Dynamik erreicht. Für TWISTERS nutzt Dan Mindel den schon seit Jahren überholten Stil von reportageartiger Wackelkamera, und bringt die Zuschauenden um das Vergnügen von verständlicheren Abläufen, und die Schauspieler um die Möglichkeit mit ihrem Potenzial angemessen wahrgenommen zu werden.
Natürlich müssen diese Vergleiche nicht unbedingt zielführend sein – wurde ja bereits zu Anfang festgestellt. Denn für sich allein gesehen ist TWISTERS genau der Blockbuster, der versteht sein Publikum mit dem alleinigen Anspruch auf pure Unterhaltung zu verwöhnen. Inflationsbereinigt haben beide Filme das gleiche Budget genutzt, das ist also nicht viel für einen Film, den eigentlich Bill Paxton seinerzeit bereits machen wollte, und dem Helen Hunt in 2020 nachgejagt ist. Die beiden Helden aus dem Original hatten sicherlich etwas mehr im Sinn als das reine Action-Vergnügen, war TWISTER doch auch innerhalb seiner Genregrenzen kraftvolles Schauspielkino. Also auch in diesem Bereich wäre bei TWISTERS durchaus noch jede Menge Luft nach oben gewesen.
Darsteller: Daisy Edgar-Jones, Glen Powell, Anthony Ramirez, Maura Tierney, David Corenswet, Brandon Perea, Harry Hadden-Paton, Sasha Lane, Tunde Adebimpe, Kiernan Shipka, Daryl McCormack u.a.
Regie: Lee Isaac Chung
Drehbuch: Mark L. Smith
Srory: Joseph Kosinski
Kamera: Dan Mindel
Bildschnitt: Terilyn A. Shropshire
Musik: Benjamin Wallfish
Produktionsdesign: Patrick Sullivan Jr.
USA / 2024
117 Minuten