THELMA
– Bundesstart 10.10.2024
– Release 21.06.2024 (CAN)
Dies ist die wahre Geschichte der Thelma Post. Ihr Enkel ist Josh Margolin, ein Regiedebütant, der ein bisschen fürs Fernsehen geschrieben hat, und einer von vier Autoren bei einem unbeachteten Kinofilm war. Mit Buch, Schnitt und Regie hat Josh Margolin für THELMA die konkrete Rolle eines Autorenfilmers übernommen. Es ist die wahre Geschichte seiner Großmutter – zumindest in Teilen. Die echte Oma konnte den Versuch eines Telefonbetrugs noch abwenden. In der filmischen Umsetzung gibt jemand vor Enkel Daniel zu sein, eine schwangere Frau angefahren zu haben, und im Gefängnis zu sitzen. Thelma wird vom vermeintlichen Enkel zu einem Anwalt weiterverbunden, der ihr versichert, den Delinquenten mit 10.ooo Dollar Kaution umgehend frei zu bekommen. Thelma wackelt los, verschickt die 10.ooo Bargeld, um später vom echten Daniel zu erfahren, dass sie betrogen wurde.
Es ist keine Überraschung, dass sich die Thelma im Film das miese Geschäft nicht gefallen lässt. Was allerdings überrascht, ist Josh Margolins Konzept. Der versierte Kinogänger wird natürlich eine abgedrehte Komödie erwarten. Eine halbwegs rüstige Alte, die eingehüllt in viel Klamauk, altersweise den Widrigkeiten der modernen Schlechtigkeit trotzt. Und das Publikum wird jubeln und staunen, wie die gerissenen Gauner vorgeführt und zur Strecke gebracht werden. Denn die eigentlich naiven Senioren tun Dinge, welche die ausgefuchsten Diebe nicht bedachten. Das könnte THELMA sein. Aber Josh Margolin hat so einen Film nicht gemacht.
Josh Margolin hat keine umgangssprachlichen „Alten“, die plötzlich vor lustigen Einfällen sprühen, um das Publikum zu begeistern. Margolin hat echte, greifbare Senioren. In erster Linie ist es eine Liebeserklärung an seine Großmutter. In zweiter Linie ein Ausdruck tiefsten Respekts vor sehr oft zurückgelassenen Menschen, die trotz allem versuchen mit einer Welt Schritt zu halten, welche die Senioren einfach nicht mehr einbeziehen will. Und doch tut Thelma Post genau das, was man irgendwie von so einem Film erwartet. Aber die über neunzigjährige Thelma und der gleichaltrige Ben werden nie zu überzogenen Witzfiguren, sie werden nie der absehbaren und billigen Unterhaltung preisgegeben. In dieser Art von Prämisse ist es schon immer ein leichtes gewesen, die Komik aus dem Gebrechen und den Einschränkungen der Senioren zu generieren. Aber Josh Margolin stellt dieses überholte Konzept genüsslich auf den Kopf.
THELMA ist eine unglaublich witzige Komödie, in der man allerdings sehr selten lauthals lacht. Oftmals ertappt man sich auch mit der Erkenntnis, dass die Senioren im eigenen Umfeld gegen dieselbe Ignoranz und Fehleinschätzungen zu kämpfen haben. Und viele dieser Altehrwürdigen resignieren dabei. Josh Margolin will aber kein Drama, und erst Recht keinen mahnenden Finger heben. Mit Bens Scooter machen sich er und Thelma auf, quer durch Los Angeles zu der Adresse der Betrüger zu fahren, um das Geld zurückzuholen. Die hyperprotektive Familie ist währenddessen am Rande des Nervenzusammenbruchs, die keine Ahnung haben, wo sich die Senioren aufhalten. Enkelsohn Daniel, dass adaptierte Pendant des Filmemachers, steht dabei zwischen den Fronten von Eltern und Großmutter. Die Beziehung von Daniel und Thelma ist weit vom kitschigen Klischee, sondern natürlich und bemerkenswert glaubwürdig.
Was THELMA so befreiend und unterhaltsam macht, ist die erfrischende Drehung von Versatzstücken. Was Thelma hingegen etwas irritierend macht, ist die eigenartige Entscheidung von Bildgestalter David Bolen, viele Einstellungen in verzerrender, extremer Weitwinkeloptik zu filmen. Ein künstlerisches, oder narratives Stilmittel ist dabei nicht zu erkennen. Aber die konzentrierte Erzählung selbst, führt den Fokus immer wieder zurück zum eigentlichen Inhalt. Die Emanzipation der durch die Umstände vitalisierten Thelma, wird gleichsam zum Befreiungsschlag von Daniel, der sich endlich aus dem fürsorglichen Würgegriff der Eltern lösen kann. Ob es Thelma gelingt ihre 10.ooo Dollar am Ende von den Gangstern wieder zu bekommen, wird dabei fast schon nebensächlich.
Die Absicht des Filmemachers geht in seiner exakt austarierten Inszenierung bemerkenswert auf. Die nachdenklichen Momente werden angemessen in Ruhe ausgespielt, ohne Längen zu bekommen. Ansonsten gibt der Regisseur ein flottes Tempo vor, ohne in die Falle von unübersichtlichem Chaos zu tappen. THELMA ist ein sehr angenehmes Erlebnis, dass absehbaren Komödienklamauk zu umgehen versteht. In einer bemerkenswerten Szene ist die Hauptfigur gestürzt, ohne sich altersbedingt selbst aufhelfen zu können. Es ist weder lustig, aber schon gar nicht tragisch inszeniert. Es ist eine Szene die aber deutlich macht, wie viel Respekt wir unseren „Alten“ schuldig sind. Josh Margolin unterstreicht das zusätzlich mit der Besetzung der starken, 94-jährigen June Squibb, die nach über 70 Jahren im Geschäft, ihre erste Hauptrolle spielt. Die reale Thelma Post ist heute im wunderbaren Alter von 103 Jahren.
Darsteller: June Squibb, Fred Hechinger, Clark Gregg, Richard Roundtree, Parker Posey u.a.
Regie, Drehbuch, Bildschnitt: Josh Margolin
Kamera: David Bolen
Musik: Nick Chuba
Produktionsdesign: Brielle Hubert
Schweiz, USA / 2024
98 Minuten