– Bundesstart 11.01.2024
– Release 06.10.2023 (Can)
Als den Rucksacktouristinnen Hanna und Liv in Australien unvermittelt das Geld ausgeht, finden beide über ein offizielle Arbeitsagentur zwei Teilzeitstellen als Bedienungen in einer Bar im Outback. Und hier bedeutet Outback tatsächlich ganz weit hinten draußen. In Pete Gleesons Doku HOTEL COOLGARDIE heißen sie Stephanie und Nicolina. Und sie sind aus Finnland, nicht aus Kanada wie Hanna und Liv. Der markanteste Unterschied zwischen beiden Filmen ist Pete Gleesons Ansatz, seine Doku brachial mit den unvereinbaren, und aus der Zeit gefallenen Gegensätzen zu beginnen, die Regisseurin Kitty Green in ihrer Spielfilm-Adaption erst langsam aufbaut. Green hat zusammen mit Oscar Redding das Drehbuch zu THE ROYAL HOTEL geschrieben. Oberflächlich betrachtet ist es verständlich, wenn die gerne verwendeten Beschreibungen ‚Horrorfilm‘ oder ‚Psychothriller‘ für starke Irritationen sorgen. Aber genau das trifft auf den Film zu.
Hanna und Liv kommen in ein Kaff, das nicht einmal die Bezeichnung Kaff verdienen dürfte. In der Bar ‚The Hotel Royal‘ wechseln die Bedienungen alle drei Monate, selbstredend gutaussehende Rucksacktouristinnen. Die Gäste sind in erster Linie unbefriedigte Arbeiter der nahe Mine, die jeden Abend Frust und Einsamkeit mit jeder Menge Bier und Schnaps wegtrinken. Der alkoholkranke Besitzer Billy nennt sie Fotzen, was Hanna und Liv zuerst für ein lokales Jargon-Kuriosum halten. Und mit den unentwegt sexistischen Sprüche der Gäste können sie Anfangs noch gut umgehen.
Wer mit dem realen Hintergrund der Ereignisse nicht vertraut ist, tut sich mit Kitty Greens Inszenierung wirklich schwer. Es wird für mindestens die Hälfte der Laufzeit nicht deutlich, worauf die Geschichte hinauslaufen soll. Das beginnt schon mit Michael Lathans erstklassig photographierten Landschaften, und der starken Bildern von wilder Ursprünglichkeit die gleichsam bedrohlich, aber auch unglaublich faszinierend wirkt. Lathan schafft postkartenartige Bilder, die gerade in australischen Horrorfilmen oft für trügerische, und irreleitende Stimmungen sorgen. Was auch hier perfekt passt.
Doch die Zuschauenden könnten anderes erwarten. Bei einem fiktiven Thriller würden die Beleidigungen und Belästigungen als atmosphärische Einleitung für einen effektvollen Showdown sehr gut funktionieren. Hier sind sie befremdliche Episoden, die sich erst im letzten Drittel als schmerzlicher Alptraum zeigen. Es gibt auch den vermeintlich guten Verbündeten, der sich bei anderen Filmen als überraschender Bösewicht entpuppen würde. Man wartet also vergebens auf die furchtbare Wendung. Bis man als unbedarfter Beobachter feststellt, dass man sich schon mittendrin im realen Grauen befindet.
Würde man schon vorher ein Vorstellung über die Art der Erzählung haben, wäre ROYAL HOTEL zugänglicher, und auch eindringlicher. Was aber Kitty Green letztendlich für ihr wichtiges und verstörendes Thema entgegenkommt, ist die unglaublich gute Besetzung. Man sieht diesen Talenten einfach unheimlich gerne zu, auch wenn es schmerzt und Unbehagen bereitet. Mit starkem Feingefühl für jede Szene, vermitteln Jessica Hennwick und Julia Garner regelrecht spürbar, die ganze Bandbreite an Gefühlen dieser Frauen. Schutzlos im äußersten Nirgendwo einer erschreckenden Welt ausgeliefert.
Erschreckend ist nicht unbedingt was körperlich passiert, sondern viel schlimmer das, was passieren könnte. Brutal ist, was es mental bei den Frauen anrichtet. Hennwicks Liv gibt die Unbekümmerte, und versucht sich der toxischen Männerdomäne anzupassen, um die Zeit einfacher zu überstehen. Während Garner als Hanna im Verlauf verschlossener, und mit wachsender Angst auch stoischer wird. Worte, Gesten, Blicke, alles könnte in dieser alkoholgeschwängerten Umgebung falsch interpretiert werden. Barbesitzer Billy sieht bei jedem negativen Vorfall die Schuld bei den unangepassten Ausländerinnen.
Es muss nichts passieren, um zu begreifen, in was für einem Dilemma sich Hanna und Liv befinden. Das es doch noch Welten gibt, die weit von dem sind was man unter Respekt, und erst Recht unter Gleichberechtigung versteht. Wo selbst die ortsansässigen Frauen, in die Jahre gekommen und perspektivlos, für die Selbstständigkeit der jungen Frauen kein Verständnis haben. Die Inspiration von Kitty Green und ihrem Co-Autor Oscar Redding bezieht sich nicht nur inhaltlich auf Gleesons preisgekrönte Dokumentation. Aber sie verzichten offensichtlich bewusst auf eine akkurate Wiedergabe der Geschichte.
Namen, Örtlichkeiten, zeitlicher Ablauf wurden geändert, womit die Erfahrungen von Stephanie und Nicolina, respektive Hanna und Liv, stellvertretende Geltung bekommen. Für alle Frauen die diesen unbekannten Grad von Sexismus und Rassismus kennenlernen mussten. Aber Green zollt Gleeson Tribut, indem immer wieder einzelne, reale Dialoge aus der Doku übernommen wurden. Einige Szenen sind nachgestellt, zum Beispiel die auf der Theke tanzenden Vorgängerinnen. Und einige Darsteller sind sogar nach der Physis der wirklichen Personen besetzt, wie Daniel Henshall als unberechenbarer Dolly.
Kitty Green schafft es wirklich ungemein spannend zu inszenieren. Sie versteht Szenen die richtige Gewichtung zu geben, das Timing perfekt auszutarieren, und gerade in der letzten halben Stunde die Nerven blank zu legen. Wie hätten sie sich wehren können, wenn wirklich von niemanden aus diesem Mikrokosmos Hilfe zu erwarten war? Der unglaubliche Kontrast vom verstörenden Inhalt zu der exquisiten Bildgestaltung erzeugt Gänsehaut. Green lässt ihr Publikum nur viel zu spät daran teilhaben, weil sie sich zu sehr auf die irreführende Kampagne des unkonkreten Psycho-Horrors verlässt. Was sich dann doch in der ersten Stunde erst einmal gegen den Film wendet. Mit etwas Vorkenntnis ist THE HOTEL ROYAL fantastisches albtraumhaftes Kino von Anfang an.
HOTEL COOLGARDIE ist in der Flatrate von Amazon Prime Video enthalten.
Darsteller: Julia Garner, Jessica Henwick, Toby Wallace, Ursula Yovich, James Frecheville, Daniel Henshall, Adam Morgan und Hugo Weaving u.a.
Regie: Kitty Green
Drehbuch: Kitty Green, Oscar Redding
Kamera: Michael Latham
Bildschnitt: Kasra Rassoulzadegan
Musik: Jed Palmer
Produktionsdesign: Leah Popple
Australien, Großbritannien / 2023
91 Minuten