Dieser Film beruht auf einer wahren Geschichte. Es ist die Geschichte von Latoya Ammons, ihrer drei Kinder und der Mutter, die in ihrem gemieteten Haus in Gary, Indiana, von dämonischen Kräften heimgesucht wurden. Drei Exorzismen später fand die Familie Ruhe, zog aber dennoch in ein anderes Haus, nach Indianapolis. Zehn Jahre später wird aus dem Exorzismus eine Erlösung. Und aus der schwarzen Mutter wird die weiße Glenn Close. Eigenartigerweise die eindringlichste Besetzung sowie beste Figur in einem Film, in dem es um Schwarze und ihre soziopolitischen Themen geht. Und genau darum musste es dem Regisseur bei der Wahl dieses Stoffes gegangen sein – die unglückliche Verzahnung von Vorurteilen gegenüber der unteren Mittelschichte, und den Heimsuchungen, durch welche diese Vorurteile intensiviert werden.
Lee Daniels hat schon einige bemerkenswerte, weil auch wichtige Filme gemacht. Er hat aber auch schon Filme gemacht, die an seinem Talent zweifeln lassen. Er hat aber noch keinen Film gemacht, der so vielschichtig und spannend in der ersten Hälfte ist, und in der zweiten Hälfte absolut lächerlich wird. So wie jetzt THE DELIVERANCE, in dem die alleinerziehende Mutter Ebony ein Alkoholproblem hat. Und eine Geschichte mit häuslicher Gewalt, der Grund warum Cynthia Henry vom Jugendamt die Mutter mit drei Kindern immer wieder belästigt. Das lose und obszöne Mundwerk von Ebony macht das Verhältnis zu Cynthia nicht einfacher. Ihre weiße Mutter Alberta hat nach einem unsteten Lebenswandel und einer intensiven Therapie zu Jesus und einem gefestigten Glauben gefunden. Auch ein Grund warum es im Haus gerne einmal laut wird.
Daniels fängt die Lebensumstände der Familie und dem Umfeld einer unterprivilegierten Mittelschicht mit viel Gefühl für Authentizität sehr glaubwürdig ein. Das er aus Latoyas Mutter im Film eine Weiße macht, ist eine gelungene Freiheit, die viele Szenen noch dramaturgisch verschärft. Wenn sich die Folgen der Heimsuchung auch auf die Kinder niederschlägt, im wahrsten Sinne des Wortes, fällt der Verdacht natürlich zuerst auf die nicht zimperliche Mutter. Auch wenn Daniels die paranormalen Vorkommnisse in effektvoller Gruselatmosphäre andeutet, bleiben für die Zuschauenden immer noch genügend gerechtfertigte Zweifel an Ebonys wahrhafter Unschuld.
Das Wechselspiel zwischen Sozialdrama und Horror funktioniert durch Lee Daniels lückenlose Inszenierung, welche vorangetrieben wird, durch die stetig steigernden Ereignisse. Mit abschätzender Zurückhaltung macht Glenn Close als Alberta einen wirklich überwältigenden Eindruck. Ihre wertenden Blicke und ihre verbale Direktheit sind großartig. Dem kann Andra Day als Ebony wenig entgegensetzen, überzeugt aber mit unablässigem Groll auf ihre Art. Anthony Jenkins, Demi Singleton und Caleb McLaughlin als Ebonys Kinder, werden trotz ihres außergewöhnlich beherrschten und überzeugenden Spiels, mit ihren Figuren lediglich zum Medium für die Erwachsenen und der Handlung. Der Film beginnt dann auseinanderzubrechen, wenn Mo’Nique die Szene betritt. Eine Betreuerin des Jugendamtes, in einer undifferenzierten Antagonistenrolle, die lediglich gezeichnet wurde, um Ebony zusätzlich das Leben schwer zu machen.
Von Mo’Nique ist man darstellerisch anderes gewohnt, aber mit ihrem schmerzlich stereotypen Charakter leidet sie auch die Handlung auf die titelgebende Erlösung über. Ein Schritt, den Lee Daniels wahrscheinlich selbst am meisten bereuen dürfte. Dafür das er dieses Projekt schon zehn Jahre verfolgte, hätte er sich einiges einfallen lassen können, um nicht denselben hanebüchenen, furchtbar abgedroschenen Unsinn präsentieren zu müssen, wie ihn jeder der ständig erscheinenden Exorzismus-Streifen bietet.
Nicht einmal Eli Arenson an der Kamera zeigt irgendwelche Bemühungen das Horror-Crescendo optisch aufzuwerten, geschweige denn vielleicht sogar eine ganz eigene, dringend notwendige Sprache zu finden. In der ersten Hälfte ist die Kamera noch ein guter Beobachter, lässt die Darsteller spielen, anstatt ihnen unnötige Dialoge aufzuzwingen. Optische Extravaganzen wäre da eher störend. Aber sobald der dämonische Spuk richtig in die Vollen geht, wird THE DELIVERANCE zu einem uninteressanten Spektakel von abgedroschenen Bildern, Einstellungen und Manifestationen. Man hat es schon so oft gesehen und gehört, die verrenkten Gliedmaße, Kinder mit unwirklich tiefer Stimme, bebende Häuser, die ins Weiße verdrehten Augen, das flammende Kruzifix, blutige Striemen, und plötzlich ist alles wieder so, als wäre nie etwas gewesen.
Es ist traurig und Lächerlich zugleich. Obwohl es ein Herzensprojekt ist, hat sich Lee Daniels vor einer ernsthaften Auseinandersetzung mit einer ‚wahren Begebenheit‘ gedrückt. Die gezeigten Heimsuchungen mögen dem entsprechen, was Menschen glauben im realen Leben erfahren zu haben. Dies zum x-ten Male uninspiriert und spannungsfrei als Horrorbespaßung zu erleben, sei es nur auf dem heimischen Bildschirm, ist wirklich ermüdend. Dabei wurde extra der reale Exorzismus für den Film gegen eine Erlösung gewechselt, bei der nicht nur der Dämon ausgetrieben wird, sondern die betroffene Person von allem Schlechten befreit wird. Aber eigentlich ist da auch egal.
Darsteller: Andra Day, Glenn Close, Anthony B. Jenkins, Caleb McLaughlin, Demi Singleton, Aunjanu Ellis-Taylor, Mo’Nique u.a.
Regie: Lee Daniels
Drehbuch: David Coggeshall, Elijah Bynum
Kamera: Eli Arenson
Bildschnitt: Stan Salfas
Musik: Lucas Vidal
Produktionsdesign: Steve Saklad
USA / 2024
112 Minuten