– Bundesstart 08.08.2024
– Release 01.05.2024 (Fr)
Die charismatische, introvertierte Heldenfigur. Ein der Männerwelt trotzender Frauencharakter. Der in schwarz gekleidete, psychopathische Schurke. Die kargen Weiten eines unbesiedelten Landes. Eine vibrierende Atmosphäre vom Recht des Stärkeren. Viggo Mortensens zweiter Ausflug als Autorenfilmer, inklusive deren Musik, hat wirklich alles was einen grundsoliden, ehrlichen Western ausmacht. Aber THE DEAD DON’T HURT ist kein Western, wie man ihn sonst zu schätzen weiß. Kein klassisches Heldenepos, kein destruktiver Neo-Western, keine blutige Spaghetti-Variante. Mortensen will seinen Film nicht zuordnen lassen. Die resolute Frankokanadierin Vivienne Le Coudy trifft auf den dänischen Einwanderer Holger Olsen. Beide ergänzen sich durch ihre gegesätzliche Wesensart – und wegen ihrer für die Zeit ungewöhnlichen Individualität.
Vivienne zieht zu Holger in dessen abgeschiedene Hütte. Sie begrünt und bepflanzt die in ihren Augen traurige Landschaft, er verdient Geld als Zimmermann. Es bleibt eine wilde Ehe. Und als der Bürgerkrieg ausbricht, meldet sich Holger freiwillig, nicht weil er ein williger Patriot geworden ist, sondern wegen des verlockenden Soldes. Vivienne bringt einen Sohn zur Welt, als Holger noch im Krieg kämpft, und sie verdient Geld als Barmädchen im Städtchen Elk Flats. Dort wird Holger nach seiner Rückkehr auch Sheriff. Bis die finsteren Machenschaften von Bürgermeister Schiller mit dem Landbesitzer Jeffries auch das Leben von Vivienne und Holgers stark beeinträchtigen.
Das nächste wie sich der Film beschreiben lassen würde, wäre die Romanze. Doch keinesfalls eine herzerweichende Schmonzette mit überbordenden Gefühlsausbrüchen. Aber gerade durch den Ausschluss unzähliger, verführerischer Möglichkeiten für ein rührseliges Drama, wird DEAD DON’T HURT zu einer bewegenden, tatsächlich auch berührenden Charakterstudie. Wobei Mortensen nie den Fokus des Genres aus den Augen verliert, welches er mit teils nüchterner Authentizität umsetzt. In den Territorien war das Leben kein Idyll, was Mortensen mit der anachronistisch wirkenden Zeichnung seiner beiden Hauptfiguren Vivienne und Holger zu unterstreichen versteht.
Den auf den ersten Blick aus der Art gefallenen Protagonisten setzt die Handlung das Stereotyp des Western-Genres entgegen. Ein korrupter Bürgermeister, ein größenwahnsinniger Landbesitzer, mit seinem soziopathisch mörderischen Sohn, und eine sich unterwerfende Stadt. Der Film bedient sich sehr geschickt beim klassischen Western, und Mortensen weiß ganz genau, wie und wo er ihn gegen den Strich bürsten muss. Das beginnt schon mit der extravaganten Erzählstruktur. Der Regisseur beginnt seinen Film mit dem nur scheinbaren Ende seiner Geschichte, um dann unvermittelt zum Anfang von Vivienne und Holgers Beziehung zu springen, aber auch dort nicht bleibt.
Immer wieder verlässt der Film seinen linearen Erzählstrang. Peder Pedersen montiert DEAD DON’T HURT wie wahllos springende Gedankengänge, und verliert immer wieder die Chronologie. Das ist mitunter verwirrend, weil man sich immer wieder neu orientieren muss. Allerdings gewinnt es im Verlauf eine gewisse Faszination, mit der man sich diesem Paar und seiner Beziehung immer weiter annähert, und den Problemen mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Dies ist aber nicht der Film, bei dem zwangsläufig in genretypischer Manier auf die Antagonisten reagiert wird. Mortensens Geschichte gewinnt umso mehr an Intensität, je öfter sie den klassischen Pfad verlässt oder umgeht.
Marcel Zyskinds kraftvolle, farbenprächtige 2,35:1 Bilder generieren spontan Vergleiche zu den großen Epen der Cinemascope-Ära. Der Bildgestalter verzichtet gänzlich auf technische oder modische Spielereien. Klare, kontrastreiche Einstellungen mit einer geradezu perfekten Kadrierung fungieren als optische Erzähler. Den Film dominieren ungewöhnlich lange, und träumerisch fließende Kamerafahrten, mit denen Zyskind wesentlich eindringlicher zu zeigen versteht, wo andere versuchen durch endlose Schnittorgien mit unzählig verschiedenen Perspektiven mühsam Spannung aufzubauen. Viggo Mortensen hat mit einem unheimlich starken Team einen außergewöhnlichen, und außergewöhnlich guten Film geschaffen. Man kann dankbar sein, dass er seinen eigentlichen Hauptdarsteller selbst ersetzen musste. Und Vicky Krieps ist, wie eigentlich immer, schlichtweg mitreißend. Die Bemerkung vom Traumpaar sei gestattet.
Darsteller: Vicky Krieps, Viggo Mortensen, Solly McLeod, Garret Dillahunt, Danny Huston, W. Earl Brown u.a.
Regie, Drehbuch, Musik: Viggo Mortensen
Kamera: Marcel Zyskind
Bildschnitt: Peder Pedersen
Produktionsdesign: Jason Clarke, Carol Spier
Großbritannien, Mexiko, USA / 2023
129 Minuten