– Release 20.06.2024 (world)
Man kann sehr gut nachvollziehen, was Jeff Nichols als Filmemacher dazu bewogen hat, eine Geschichte aus den Photographien von Danny Lyon zu schaffen. Seine ganz eigene Geschichte, die sich aus den unverfälschten, puren Standbildern der Biker-Szene Mitte der Sechziger ableiten lassen könnte. Als einen „Abweichler im eigenen Land“ bezeichnete sich Danny Lyon einmal selbst. Was ihn auch an der Biker-Szene interessierte, und er versuchte in seinen Photographien festzuhalten. Es war der Motorrad-Club ‚Vandals – Chicago‘, die Lyon von 1963 bis 1966 begleitete, und neben dem Fotografieren auch Interviews führte. In diesem Sinne kommt Regisseur Nichols, der auch selbst das Drehbuch schrieb, nicht über die gegebene Geschichte hinaus. Jeff Nichols entwickelte nicht seine eigene Inspiration aus den Photos, sondern schafft einen unsteten Hybriden aus bereits bestehender Biografie, Glorifizierung und unbestimmten Sehnsüchten.
Was die fest im Leben stehende Kathy an Benny findet, abgesehen von seinem Äußeren, bleibt weitgehend unklar. Benny ist Mitglied der ‚Vandals‘ und engster Vertrauter von Johnny, Gründer und charismatischer Anführer des Motorrad-Clubs. Zuerst ist es für Kathy eine fremde und abstoßende Welt, zwischen den verloren scheinenden, und mit allen schlechten Attitüden behafteten Bikern. Aber sie lebt sich ein, aus Liebe zu Benny. Nichols beschreibt in seiner Erzählung den subtilen Kampf zwischen Kathy und Johnny um die Gunst und das Leben von Benny. Und er erzählt die Entwicklung der ‚Vandals‘ vom anarchistischen Club zu den Anfängen des organisierten Verbrechens.
THE BIKERIDERS will ein Film sein, der eine bestimmte Form des soziopolitischen Wandels in den Vereinigten Staaten versinnbildlicht. Der Befreiungsschlag aus dem konservativen Bürgertum. Die Sub-Kultur der Biker-Szene verdeutlichte das seinerzeit am besten. Sie trafen sich nicht in geheimen Clubs, oder abgelegenen Orten. Mit ihren brüllenden, röhrenden Motorrädern und uniformähnlichen Westen prägten sie Stadtbilder und Landschaften, und damit provozierten sie. Der Charakter von Kathy gibt vor, dass der Lebenswandel als vornehmlich Gesetzloser, schlecht sei. Anführer Johnny hingegen, zelebriert und fördert jede Form antisozialer Gegenbewegungen.
Letztendlich verweigert sich Jeff Nichols in seinem Film einer konkreten Aussage. Er stellt nicht einmal beide Seiten gegenüber. Der Filmemacher tappt in die Falle, welche mit solchen Sub-Kulturen immer wieder einhergehen – er erliegt der Faszination der Außenseiter und glorifiziert den Bruch mit dem Establishment. Das muss nicht zwangsläufig falsch sein. Aber dem Film selbst tut es überhaupt nicht gut, weil er keine Position bezieht, und somit auch keine neutrale Reflexionsfläche bietet. BIKERIDERS wird zu einem Film, der er eigentlich nicht sein möchte. Das Widersprüchliche in der Erzählung wird zum heroischen Abgesang auf eine falsch verstandene Freiheit.
Als angehender Journalist ist Danny Lyon natürlich neugierig. Mike Faist spielt diesen Fotografen, was viel Hoffnung macht, weil Faist zu den interessantesten Jungdarstellern im aktuellen Kino zählt. Leitfaden des Films, ist die Entstehung des als Vorlage dienenden Photobuches. Doch die Figur des Lyon wird als Nebenfigur abgehandelt. Über ihn wird genauso wenig bekannt, wie über den Rest der Charaktere. Wo kommen Benny oder Kathy her? Was treibt sie an, oder was ist ihr Ziel? Über Johnny erfährt man von seinem Job als Trucker, von seiner Leidenschaft über Bikes, und woher die Idee für den Club kommt. Das macht ihn zum emotional überlegenen Charakter, der er nicht sein sollte.
Tom Hardy überzeugt als Johnny, und mit seiner unglaublichen Präsenz kann er auch gar nicht anders. Als Johnnys treu ergebener und stets fahrlässiger Benny tut sich Austin Butler äußerst schwer ein charismatisches Gleichgewicht zu halten. Johnny ist ein klares Abbild von Brando in DER WILDE, was im Film auch so angesprochen wird. Benny ist in Wesen und Körperlichkeit James Dean nachempfunden. Beides gegensätzliche Ikonen, welche auch die Biker-Szene beeinflussten. Jodie Comer tut sich da als Stimme der Vernunft am schwersten, auch wenn sie als Kathy ihre ganze Palette an überzeugenden Emotionen ausspielt. Angst, Leidenschaft, Faszintion, Selbstbewusstein.
Der Film leidet erheblich darunter, dass Nichols keine seiner Figuren irgendwie weiterkommen lässt, und alle dem höheren Anliegen untergeordnet werden – die Faszination für die anarchistische Selbstbestimmung. Schade um die eigentlich allesamt sehr interessanten Figuren, die den Film unglaublich bereichern, aber viel zu kurz kommen. Macht das insgesamt einen schlechten Film? Nein, weil THE BIKERIDERS noch Kameramann und Bildgestalter Adam Stone hat. Und Stone macht für den Film, was Danny Lyon seinerzeit mit den ‚Vandals‘ gemacht hat, er macht eigenwillige Magie sichtbar. Klar strukturierte, schöne Bilder, die durch ihre fantastischen Kompositionen ihren maximalen, emotionalen Effekt erreichen. Sie geben dem Film seine anziehende, weil kohärente Atmosphäre. Stone orientiert sich in vielen Einstellungen ganz offensichtlich an Lyons bekanntesten Motiven. Aber er kopiert die Photos nicht, sondern weiß damit sehr gut eine eigene Stimmung zu schaffen, die den größten Teil von Nichols Inszenierung bestimmt. BIKERIDERS ist wirklich kein besonderes Drama, aber visuell und mit der Strahlkraft seiner Darsteller ist er verdammt schön anzuschauen.
Darsteller: Jodie Comer, Austin Butler, Tom Hardy, Michael Shannon, Mike Faist, Norman Reedus, Boyd Holbrook u.a.
Regie & Drehbuch: Jeff Nichols
nach dem Fotobuch von Danny Lyon
Kamera: Adam Stone
Bildschnitt: Julie Moore
Musik: David Wingo
Produktionsdesign: Chad Keith
USA / 2023
116 Minuten