LA BÊTE
– Bundesstart 10.10.2024
– Release 07.02.2024 (FR)
Sehr einfach hat es einem Filmemacher Betrand Bonello wirklich noch nie gemacht. Zeitgeistig ist er immer, aber manchmal schwer zu greifen. Dennoch können seine bekannteren Filme, wie das Thriller-Drama NOCTURAMA, oder die ausufernde Yves-Biografie SAINT LAURENT, immer noch einen breiteren Publikumkreis ansprechen. Witzig hingegen sind die Reaktionen auf seinen jüngsten Streich THE BEAST, bei denen Alltag-Cineasten jubeln, um sich nicht die Blöße geben zu müssen, während harte Arthouse-Fanatiker ratlos den Kopf schütteln. Auf drei Zeitebenen erzählt Bonello die Geschichte von Gabrielle und Louis, die auf jeder Ebene eine andere Beziehung zueinander pflegen. Sie sind auch jedes Mal eine andere Person. Aber sie erinnern sich immer an ihre vorrangegangene Begegnung.
Es hilft ungemein zu wissen, dass Bonello sein Script sehr frei nach Henry James‘ Novelle „Das Tier im Dschungel“ adaptiert hat. Zwei Menschen warten über Jahre hinweg auf ein schreckliches Ereignis, obgleich keiner von ihnen weiß, um was für eine Ereignis es sich handeln soll. Im Film sind es 136 Jahre, die Gabrielle und Louis warten müssen. Die sehr textlastigen, und spannungsarmen Sequenzen in den Jahren 1910 und 1914 werden gefolgt von einer Psychothriller ähnlichen Episode im Jahr 2014, in dem sich das Warten auf das ‚lauernde Tier aus dem Dschungel‘ eher gemächlich als kathartisch entlädt.
Weil aber Bertrand Bonello ein überaus fleißiger Geschichtenerzähler ist, gibt es eine Rahmenhandlung in einer von künstlicher Intelligenz regierten Gesellschaft im Jahr 2044. Hier ist die Anti-Heldin Gabrielle kurz davor, ihre DNA von den Jahrzehnte umspannenden Erinnerungen reinigen zu lassen. Was sich kompliziert anhört, ist es auch. Aber in erster Linie ist der Filmemacher ein Verehrer von großen und beeindruckenden Einstellungen. Bonellos Gattin und ständige Kamerafrau, Josée Deshaies, gestaltet ihre Bilder auch immer dem Inhalt der Szene angemessen etwas mysteriös. Ausstattung und Kulissenbau lassen sich nicht immer gleich erschließen. Die 1910er Sequenzen sind für das Budget erstaunlich opulent, ohne das Deshais dies arrogant zur Schau stellt.
Über die Sinnhaftigkeit eine anfänglichen Green Screen Episode und ihrer späteren Auflösung lässt sich vortrefflich streiten. Aber die daraus entstehende Spannung ist exemplarisch für den Film im Ganzen. Er ist voller großartiger, optischer Ideen und aufregender Gedanken. Zukunftsangst, Vergangenheitsbewältigung, unerwiderte Liebe, Kunst, Frauenfeindlichkeit, oder auch künstliche Intelligenz. Der Bogen ist weit gespannt, und die Zuschauenden mit diesen Gedanken weitgehend auf sich gestellt. Bertrand Bonello bringt seine Welt außerordentlich gut in Schwung, und sieht aber nur dabei zu, was passiert. Enttäuschend sind lediglich die Darsteller, obwohl die spielerische Bandbreite von Léa Seydoux und vor allem George MacKay weit mehr hergeben würde. Allerdings hat es auch den Anschein, dass der Regisseur seine Hauptdarsteller bewusst dem Konstrukt von visuellen und intellektuellen Ideen unterordnen wollte.
Es ist nicht ohne bittere Ironie, dass Patric Chiha im gleichen Jahr 2023 mit DAS TIER IM DSCHUNGEL, Jenry James‘ Novelle in konkreterer Form realisiert hat. Bei Chihas, wie bei THE BEAST sollte gleichsam Bonellos vertrauter Gaspard Ulliel die Hauptrolle spielen, der aber vor Beginn beider Dreharbeiten verstarb. Die Besetzung von George MacKay darf man nicht dagegen aufwiegen, aber sie hat zu einer sehr interessanten Umsetzung in den Dialogen geführt. Ein weiterer Punkt weswegen bei THE BEAST die Alltag-Cineasten jubeln, um sich nicht die Blöße geben zu müssen, während harte Arthouse-Fanatiker ratlos den Kopf schütteln. Und irgendwo dazwischen gibt es diejenigen, die dieses prall gefüllte Filmabenteuer freudig mit offenen Armen aufnehmen, und bestimmt zu greifen, und befriedigend zu deuten wissen. Und dann wäre da das allerletzte Filmbild, welches man man durchaus auch ernst nehmen sollte.
Darsteller: Léa Seydoux, George MacKay, Guslagie Malanda, Dasha Nekrosova, Martin Scall u.a.
Regie: Bertrand Bonello
Drehbuch: Bertrand Bonello, Guillaume Bréaud, Benjamin Charbit
Nach Motiven von Henry James
Kamera: Josée Deshaies
Bildschnitt: Anita Roth
Musik: Anna Bonello, Betrand Bonello
Produktionsdesign: Katia Wyszkop
Frankreich, Kanada / 2023
126 Minuten