„Meine Vorstellungskraft und meine Tagträume zusammen, weckten meinen Appetit auf die Quelle der Möglichkeiten, die sie mir unerschütterlich versprochen hatten.“
Sidney Poitier wurde am 20. Februar 1927 geboren, und wuchs unter ärmlichen Bedingungen auf der Bahama-Insel Cat Island auf. Aber Armut konnte auf Cat Island nicht mit Elend oder Entbehrung gleichgesetzt werden. Sein Vater war Tomatenfarmer, weswegen Sidney in Miami, Florida, auf die Welt kam, und somit automatisch die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Das hört sich durcheinander und verrückt an, aber Mister Poitier erklärt die ganzen Hintergründe in seinem Buch, und er erzählt wesentlich interessanter. Bis er im Buch zu dem oben einführenden Zitat kommt, hat der jungen Mann bis einen langen und steinigen Weg hinter sich. Was allerdings nach diesem Zitat geschrieben steht, ist Weltgeschichte, aber nicht weniger aufreibend.
Sidney Poitier untertitel sein ‚Bemessen eines Mannes (oder Menschen)‘ als eine ’spirituelle Autobiografie‘. Es ist selten geworden, dass Persönlichkeiten ihre Geschichte, oder ihre Gedanken selbst zu Papier, sprich Textprogramm bringen. Besonders zu empfehlen sind in diesem Sinne auch die starken Autobiografien von Michael J. Fox. Es wird schnell deutlich wie viel anders es sich liest, wenn ein Mann mit der Reife und der Erfahrung eines Sidney Poitier selbst verfasst, anstatt Stichpunkte für einen Ghostwriter zu diktieren. Speziell in diesem Fall ist es sehr wichtig für den Autoren, und wird dabei viel wichtiger für das Erfahren der Lesenden. Für einen notwendigen Feinschliff, wurde Poitier am Ende von seinem Freund Patrick Williams unterstützt.
Es war ein Rat von Regie- und Schauspielkollegen John Cassavetes, der den damals noch jungen Sidney für seine kommende Karriere beeinflusste. Und ein Rat, der sich auch auf dieses wunderbare Buch gelegt hat. Seinerzeit war Sidney an einem Theaterstück verzweifelt. Sidney wollte es dem sehr gut befreundeten Regisseurs des Stückes in allen Belangen Recht machen, anstatt sich auf seine innere Inspiration zu verlassen.
„John Cassavetes – er sagte, „lass mich dir etwas sagen.“ Er sagte, „wir sind gute Freunde, aber tue einem Freund niemals einen künstlerischen Gefallen. Leihe Freunden Geld, sei auf andere Weise für sie da. Aber tue ihnen keine künstlerischen Gefallen, denn es gibt diesen Bereich in deinem Leben, in dem es keinen Raum für Kompromisse gibt“.“
Es ist eine ’spirituelle Autobiografie‘, weil Sidney Poitier nicht zwangsweise über sein Leben und seine Karriere philosophieren wollte, sondern über das Leben als solches. In einem ständigen auf und ab der Gefühle, zwischen den massiven Rückschlägen und unfassbaren glücklichen Zufällen, beschreibt der Schauspieler und Mensch seine Erfahrungen und sein Verständnis von Integrität, Glaube, Vergebung, Verpflichtung. Und den Zustand zwischen zu Tode amüsiert und bedeutsamer Freude. Zwischen Melancholie und Ungewissheit. Und über das Bestehen in einer Welt, die von Weißen regiert wird, selbst wenn man zu den einflussreichsten Schauspielern der Welt gehört. Und nie hat Sidney Poitier dabei jemals an Lebensfreude eingebüßt.
„Sammy Davis Jr., Duke Ellington, Count Basie, Lene Horne, Sidney Poitier – wir waren nicht die Anführer. Wir waren nicht an vorderster Front, wo einem der Schädel eingeschlagen wurde. Unsere Karrieren waren jedoch ein Spiegelbild dessen, was möglich war, WENN man uns Aufmerksamkeit schenkte.“
Natürlich redet Sidney Poitier sehr viel über seine Karriere, aber nicht über die Erfolge, und selten nur einfache, unterhaltsame Anekdoten. Was keineswegs heißen soll, Poitier würde langweilig oder uninteressant erzählen. Ganz im Gegenteil. Aber die Karriere, seine Erfolge, und Fehlschläge sind die Grundlagen seiner Erfahrungen und Lehren für den persönlichen Lebensweg, die er scharfsinnig und tiefgründig beschreibt. Da geht es zum Beispiel nicht um den soziopolitischen Erfolg von Stanley Kramers RAT‘ MAL WER ZUM ESSEN KOMMT. Es geht vielmehr um die Gratwanderung vorrangig weißer Künstler wie Katherine Hepburn und Spencer Tracy, und deren nach wie vor gescholtene Zusammenarbeit mit einem Schwarzen, gerade bei einem sozialkritischem Thema.
„Die Wahrheit ist, dass ein Platz innerhalb des Raumes zwischen den Gegensätzen existiert, und irgendwo darin liegt ein Punkt, an dem das Gleichgewicht gefunden werden kann.“
Der Autobiograf schreibt meist chronologisch, lässt es sich aber auch nicht nehmen, nach Bedarf in der Zeit hin und her zu springen. Denn was Sidney Poitier aber am meisten beschäftigt ist seine Identität, seine Familie, seine Herkunft. Weshalb er auch immer wieder, egal über welchen Punkt in seinem Leben er erzählt, auf seine Mutter und seinen Vater zurückkommt. Was sie ihm beigebracht haben, sie sie ihn geprägt und unterstützt haben. Auch dabei beschreibt er weniger ihren Charakter, als vielmehr deren Weisheit und die geistige Verbindung, die aus dem kleinen barfüßigen Sidney einen ‚Knight of the british Empire‘ werden ließen. Sidney Poitier hatte ein inspiriertes Leben, aus dem ein inspirierendes Buch erwachsen ist. Eine wirklich spirituelle Autobiografie.
„Nun wo ich älter bin, mit weniger Äxten zu schärfen, schätze ich das bestimmte Straßen, die nirgendwo hinzuführen schienen, nicht die Sackgassen waren, die ich zu sehen glaubte. Es waren einfach Fahrbahnmarkierungen mit Warnleuchten, die sagten das persönliches Versagen voraus lag.“
THE MEASURE OF A MAN
ISBN-10: 074340386X
ISBN-13: 978-074340386X
EIN VERMÄCHTNIS
ISBN-10: 3203810255
ISBN-13: 978-3203810256