DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS

Seed Sacred Fig - Copyright ALAMODE FILMVERLEIHDANE-YE ANJIR-E MA‘ABED
a.k.a THE SEED OF THE SACRED FIG
– Bundesstart 26.12.2024
– Release 08.09.2024

Das Reglement der Academy of Motion Picture Arts and Sciences sieht vor, dass ein Film für die International Features nur für jenes Land in das Oscar-Rennen geschickt werden darf, in welchem der Film gefertigt wurde, und in welchem auch die künstlerische Kontrolle lag. Somit geht der iranische Film DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS, des iranischen Filmemachers Mohammad Rasoulof, mit seinem ur-iranischen Thema und ausschließlich iranischen Darstellern, für Deutschland in den Wettbewerb um den Oscar für Best International Feature. Das ist gut für Deutschland, weil Deutschland dank seiner fürchterlichen Mainstream-Produktionen derartige Aushängeschilder dringend notwendig hat. Aber es wäre ein unglaublich starkes, ironisches Signal gewesen, hätte man die Regeln etwas gebeugt, als wäre der Iran selbst der Vertreter dieses Films.

Iman ist verheiratet, hat zwei Töchter, und wird zum Untersuchungsrichter am Teheraner Gericht befördert. Die Beförderung hat mehrere Vorteile. Mehr Gehalt, eine geschützte Wohnung in einem Sicherheitsbereich, und die Mädchen bekommen endlich jede ihr eigenes Zimmer. Bis der Umzug vollzogen wird, bekommt Iman eine Pistole für den persönlichen Schutz. Aber der neue Job fordert auch die Familie, denn Iman ist kaum noch zuhause, weil große Proteste die iranische Hauptstadt überziehen.

Es ist die Zeit, nachdem Jina Mahsa Amini durch die Gewalt von Regierungsbeamten verstarb, weil sie angeblich ihren Hidschab nicht richtig trug. Die Frauen in Teheran beginnen gegen das Regime und die Glaubensvorgaben zu rebellieren. Der männliche Teil der Bevölkerung unterstützt die Proteste, wegen der kaputten Wirtschaft und gegen die Mullahs. Für Iman beginnt eine schwere Zeit, weil gegen jeden verhafteten Demonstranten die Todesstrafe verhängen muss. Doch Iman zweifelt nicht am Gottesstaat, nur seine Töchter beginnen das System zu hinterfragen.

Mohammad Rasoulof war schon immer ein politscher Filmemacher, durch und durch. Gerichte und Gefängnisstrafen sind für den streitbaren Aktivisten nichts Unbekanntes. Mit dem HEILIGEN FEIGENBAUM hat er es wahrscheinlich geschafft, nie mehr in sein Heimatland Iran zurückkehren zu können. Nach der Beendigung der Dreharbeiten floh er in einer 28-tägigen Odyssee aus dem Iran, und stellte den Film in Deutschland fertig. In Abwesenheit wurde Rasoulof in Teheran zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt, und seine in der Heimat gebliebenen Mitstreiter sind seitdem heftigen Repressalien ausgesetzt, inklusive Arbeitsverbot. Dennoch trägt der Film eine gewisse Hoffnung, und lässt die Möglichkeit von Veränderung im theokratischen System erkennen. Auch wenn dieses Geschichte um Angst, Gehorsam und Aufbegehren zuerst alles andere als optimistisch ist.

Seed Sacred Fig 2 - Copyright ALAMODE FILMVERLEIH

Der Film hätte an vielen Orten gedreht werden können, aber in Teheran zu bleiben, und das Projekt dort umzusetzen ist ein wesentlicher Aspekt von Rasoulofs Bestreben nach einer stetigen Auseinandersetzung für mögliche Reformen. Es ist grandios, dass man dem Film nicht ansieht, unter welch restriktiven Bedingungen er gedreht wurde. Man muss im Auge haben, wie unfassbar gefährlich Außenaufnahmen gewesen sein müssen. Erst dann wird einem richtig bewusst, auf was für geniale, inszenatorische Einfälle Rasoulof mit seinem nicht minder engagierten Kameramann Pooyan Aghababaei nutzt, um auch visuell ein großes und starkes Kinoerlebnis zu schaffen, dass nicht improvisiert aussieht.

Auch wenn die Handlung die primäre Stärke des Films ausmacht, ist es das Gesamtbild welches seine mitreißende Intensität ausmacht. Dazu kommt aber auch die Geschichte der Entstehung, welche einen Einfluss auf das starke, öffentliche Interesse nimmt. Rasoulofs Film funktioniert auf vielen Ebenen. Und ganz besonders funktioniert er in seiner Gesamtheit von Idee, über Umsetzung, bis zur Fertigstellung, hin zu den Festivals. Mohammad Rasoulof ist nicht der erste Filmemacher, der unter solchen Bedingungen einen Film gemacht hat. Aber DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS ist eine ungewöhnlich aktuelle Betrachtung. Dafür sorgen schon die beeindruckenden, aber intensiven Social Media Clips der Unruhen, die ab und an sehr explizit werden.

Es ist eine exzellente Entscheidung, die Demonstrationen gar nicht selbst zu inszenieren. Und es gelingt wider Erwarten ausgezeichnet, dass die aufkeimenden Konflikte im geschlossenen Kreis der fiktiven Familie bleiben, während die öffentlichen Zustände auf der Straße auch durch reales Filmmaterial dargestellt sind. Es sind die Töchter Rezvan und Sana, welche über Social Media durch echte, unzensierte Bilder die Demonstrationen und Reaktionen des Staates verfolgen, während Mutter Najmeh den Nachrichten des staatlichen Fernsehens folgt. In der letzten Stunde des sehr langen Films, der aber von der Intensität der Erzählung getragen wird, sinken die restriktiven Strukturen des Landes in die Familie. Die hinterfragenden Rezvan und Sana werden Sinnbilder für die Bestrebungen auf der Straße, und Vater Iman zum Spiegel des theokratischen Regimes. Allerdings hätte dem Film gerade in diesen letzten sechzig Minuten weniger offensichtliche Metaphorik sehr gut getan. Die SAAT DES HEILIEGEN FEIGENBAUMS ist sicherlich kein audiovisuelles Wunderwerk. Aber es ist ein Film mit Relevanz.

Seed Sacred Fig 1 - Copyright ALAMODE FILMVERLEIH

 

Seed Sacred Fig 3 - Copyright NEONDarsteller: Soheila Golestani, Mahsa Rostami, Setareh Maleki, Missagh Zareh, Niousha Akhshi, Reza Akhlaghirad u.a.

Regie & Drehbuch: Mohammad Rasoulof
Kamera: Pooyan Aghababaei
Bildschnitt: Andrew Bird
Musik: Karzan Mahmood
Deutschland, Frankreich / 2024
168 Minuten

Bildrechte: ALAMODE FILMVERLEIH / NEON
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