Saoirse Ronan – THE OUTRUN

Outrun 1 - Copyright STUDIOCANAL– Bundesstart 05.12.2024
– Release 27.09.2024 (IRE)

Zehn Jahre in der Großstadt von London haben Rona nicht gut getan. Die angehende Biologin von den schottischen Orkney Inseln, hat neben dem Studium auch den Alkohol für sich entdeckt. Einen expliziten Anlass für die langsame aber unaufhaltsame Selbstzerstörung können wir nur erahnen. Es scheint auch weniger von Bedeutung. Viel schmerzlicher ist Ronas Erkenntnis, wenn sie später in der Selbsthilfegruppe meint, ohne Alkohol niemals wieder Freude empfinden zu können. Mutter Annie ist streng gläubig, weswegen Rona Abstand sucht, weil sie sich davon bedrängt fühlt. Vater Andrew ist bipolar, und seine einhergehenden Depressionen missversteht Rona als Ablehnung. Aber nach einer in extreme Gewalt ausgearteten Nacht, hat sich Rona in Therapie begeben, und hat seither die Finger vom Alkohol gelassen. Was ihr aber auffallend schwer fällt.

Und das sind auch die wirklich stärksten Momente in Nora Fingscheidts Regie, und in dem scheinbar immer perfekten Spiel von Saoirse Ronan. Diese Momente, in denen man als Zuschauender davon überzeugt ist, Rona würde dem Drang nachgeben. Die aufgereihte Angebot an Spirituosen hinter einer Ladentheke, die Unberechenbarkeit eines One-Night-Stand, oder die unbeobachtete Rona nach einer Feier und halbvollen Biergläsern. Fingscheidt setzt das sehr dezent, eher unscheinbar in Szene, und letztendlich ist es Ronan, die bedacht und doch unglaublich nuanciert die Situation in ihrem Inneren auslotet, aber für das Publikum spürbar wird. Im Roman heißt sie Amy, nach ihrer Autorin. Da ist die Ähnlichkeit von Ronas Namen zum realen Nachnamen der Hauptdarstellerin gewiss kein Zufall. Saoirse Ronan spielt es nicht, sie ist es.

Ronan hat mit Gatten Jack Lowden und Dominic Norris Arcade Pictures gegründet um THE OUTRUN mit zu produzieren. Das Drehbuch wurde von Nora Fingscheidt zusammen mit Vorlagen-Autorin Amy Liptrot verfasst. Die Geschichte wird nicht linear erzählt. Die Handlung bleibt nicht einmal innerhalb der Phasen von ‚mit Alkohol‘ oder ‚ohne‘ chronologisch, was stets die jeweils implizierten Stimmungen einzelner Szene zerreißt. Ein großes Manko des Films, obwohl die Entscheidung künstlerisch nachzuvollziehen ist. Nach dem Entzug geht Rona zurück nach Orkney, die beruhigende Abgeschiedenheit ist allerdings trügerisch. Ihre stillen Selbstreflexionen werden immer brachial von Rückblenden ihrer heftigen Abstürze unterbrochen. Rona bleibt auch in Orkneys behaglicher Ruhe eine Getriebene, was sich auf das Publikum übertragen soll.

Outrun 3 - Copyright STUDIOCANAL

 

THE OUTRUN ist intensiv, zu jeder Zeit. Aber Fingscheidt findet keine klare Linie. Die besinnlich reflektierende Ruhe, ständig unterbrochen vom überreizten Chaos wegen Ronas Alkoholexzessen. Beides für sich ist mitreißend, beeindruckend und auch schmerzlich. Aber die gebotene, unstrukturierte Abfolge wirkt gegen die eigentliche Absicht, die Zuschauenden emotional stärker zu binden. In der Bildgestaltung trifft Yunus Roy Imer einige befremdlich konventionelle Entscheidungen. Die Kamera ist oftmals zu aufdringlich an den Gesichtern, was Nähe suggerieren soll, aber auf der Leinwand eher erschreckt. Aber auch die Banalität der geläufigen Methodik, mit verzerrenden Einstellungen, Jump Cuts, Unschärfen, und Lichtreflexionen den Zustand von Rona zu versinnbildlichen, wirkt gegen die Intensität von Ronans Spiel.

Man kann ohne Übertreubung sagen, dass Saoirse Ronan zu den eindrucksvollsten Darstellerinnen unserer Zeit zählt. Ihretwegen hätte man auf inszenatorische und technische Spielereien verzichten können. Ronan hat sich ihre Rolle zu eigen gemacht, und richtet das in all ihrer zerbrechlichen, ängstlichen, aber auch starken und wütenden Fülle an das Publikum. Nora Fingscheidt hat offensichtlich ein starkes Bedürfnis nach ungewöhnlichen, sehr schweren Themen. SYSTEMSPRENGER und UNFORGIVABLE leben von ihren brillanten Darstellerinnen, in diesem Sinne übertrifft THE OUTRUN jede Erwartung. Die Geschichte ist wirklich nicht originell, der erlösende Verlauf eher gewöhnlich. Es ist die starke Saoirse Ronan und die von ihr bemerkenswert verinnerlichte Rolle, die den Film ausmacht, trägt, und tatsächlich zu einem Muss macht.

Amy Liptrots Roman ist autobiografisch, trotzdem nicht allein auf ihre Sucht bezogen. Die jetzige Journalistin hat ein Buch geschrieben, indem sie Natur und tierisches Verhalten, mit menschlichen Wesensarten und ihrer eigenen Situation gegenüberstellt. Mit Ronas Stimme aus dem Off und teilweise grafischen Einblendungen hat der Film dieses Konzept mit aufgenommen. Es sind für Ronas Geschichte wichtige und stimmige Metaphern über Mensch und Natur, was sich ungemein gut in die Handlung einpasst, und nicht als Gimmick verkommt. Das aufwühlende Drama bekommt hier eine unheimlich wichtige Ebene, die vorerst verborgen bleibt. Aber genau damit gewinnt THE OUTRUN eines der schönsten Enden eines Filmes seit langem.

Outrun 2 - Copyright STUDIOCANAL

 

Darsteller: Saoirse Ronan, Saskia Reeves, Stephen Dillane, Paapa Essiedu u.a.
Regie: Nora Fingscheidt
Drehbuch: Nora Fingscheidt, Amy Liptrot
nach den Memoiren von Amy Liptrot
Kamera: Yunus Roy Imer
Bildschnitt: Stephan Bechinger
Musik: John Gürtler, Jan Miserre
Produktionsdesign: Andy Drummond
Großbritannien, Deutschland / 2024
118 Minuten

Bildrechte: STUDIOCANAL
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