– NETFLIX seit 04.04.2024
Geht man nach dem nicht wirklich belegten, aber gerne geringschätzig dargestellten Stereotyp des Netflix-Binge-Watchers, richtet sich RIPLEY in zwei markanten Punkten gegen sein angedachtes Publikum. Zum einen ist Steven Zaillians Fassung des Patricia Highsmith Klassikers komplett in schwarzweiß. Zum anderen nimmt sich die Serie mit acht Teilen außergewöhnlich viel Zeit. Sonst sind es die rasant inszenierten, mit überzeichneten Spannungsbögen aufgeblasenen Mehrteiler die umgehend den ’nächste Folge‘-Button drücken lassen. Bei RIPLEY sind es wider Erwarten die eingangs als negativ angeführten Argumente, die zum sofortigen Weiterschauen animieren. Das erste von insgesamt fünf Büchern um den Gauner Tom Ripley, beweist sich unter der wortwörtlichen Federführung von Steven Zaillian als zeitloses Meisterwerk. Jede Generation kann ihre zeitgemäße Interpretation dieser Geschichte vertragen. Besonders wenn sie sich von den pragmatischen Unterhaltungsformeln zu lösen versteht.
Zeitlos bedeutet nicht zwangsläufig neuzeitlich, oder etwa aktuell. In dieser Interpretation bleibt die Geschichte in den 1960er verwurzelt, aber mit der Kunstfertigkeit, den technischen Möglichkeiten und dem intellektuellen Zeitgeist der 2020er umgesetzt. Die Geschichte des Trickbetrügers Ripley ist unverändert. Der wird vom New Yorker Schiffsmagnaten Greenleaf nach Atrani, Italien, geschickt, um dessen Sohn ‚Dickie‘ zur Rückkehr nach Amerika zu bewegen. Dickie lebt dort von den Zuwendungen der Familie, ein luxuriöses Leben im Müßiggang. Tom gewinnt schnell das Vertrauen von Dickie, und kommt schnell zu der Entscheidung, selbst in Atrani zu bleiben.
Die Geschichte ist schnell erzählt, die Fülle der Details und Handlungselement keineswegs. Wer mit dem Charakter des Tom Ripley über die Bücher oder vorherigen Adaptionen vertraut ist, wird sich nicht über dessen Verschlagenheit wundern. Er ist ein Mensch der sich nur in der Lüge wohlfühlt, dessen Natur keine Ehrlichkeit zulässt. Später wird er sich in Marge verlieben, sie ist Dickies Freundin. Aber er wird ihr seine Gefühle nie mitteilen können, weil er sonst ehrlich sein müsste. Tom Ripley ist ein extrem komplexer Charakter, der von Andrew Scott mit glühender Leidenschaft verinnerlicht ist. Scott ist mit ALL OF US STRANGERS erst knapp an einem Oscar vorbeigeschrammt.
Es sind die Augen, die bei Scott hauptsächlich spielen. Wie er regungslos Anregungen oder Fragen von anderen aufnimmt, aber seine Augen verraten, wie er sich sein geschicktes Lügenkonstrukt ausdenkt, ausarbeitet, verfeinert, aber auch verinnerlicht. Körperlich wird Tom Ripley nur, wenn seine mörderischen Taten vertuscht werden müssen. Wie Dickie, will auch Tom in Italien Wohlstand im Nichtstun genießen. Ihm fehlen dazu allerdings die Zuwendungen der Greenleaf-Familie, was den Trickser und Täuscher einiges an krimineller Energie abverlangt. Bei RIPLEY geht es selten um die Vorbereitungen der jeweiligen Taten, sondern wie er im Nachhinein damit fertig wird.
Zwei der acht Episoden, beschäftigen sich fast ausschließlich mit Toms Bemühungen, Leichen verschwinden zu lassen. Das ist nicht einfach nur spannend, dass ist nervenzerreißend. Steven Zaillian ist das Genie hinter den Büchern von AMERICAN GANGSTER, AWAKENINGS, oder am bekanntesten, SCHINDLER’S LISTE. Mit seinen vorangegangenen vier Regiearbeiten zeigte er ein weniger glückliches Händchen. Was sich mit RIPLEY grundlegend geändert hat. Das langsame, bedächtige Inszenieren einer vergangenen Kino-Ära, macht sich Zaillian hier zunutze. Wider Erwarten ist es die einzig folgerichtige Erzählform. RIPLEY kann tatsächlich nur so funktionieren.
Man wird Teil der Geschichte. Es ist eine unwirkliche Welt, die Zaillian aufzeigt, alles wirkt freudlos. Außer Tom, der scheint mit sich immer wieder zufrieden zu sein. Aber Glück oder Freude erkennt man bei ihm nur, wenn er seinen eigenen Hals aus der Schlinge ziehen konnte. Dickies ausschweifender Luxus scheint hingegen mehr Bürde als Erfüllung zu sein. Dann schaltet sich Inspektor Ravini aus Rom ein, nachdem es einen Mord gegeben haben muss, aber ohne Beweise oder Leiche. Maurizio Lombardi spielt diesen Ravini, ein Stoiker mit analytischer Kälte, humorlos und unnachgiebig. Mit dieser Figur beißt sich Lombardi beim Publikum fest, was sehr lange nachhält.
Diese Welt des Tom Ripley ist ein visuelles Kunstgebilde. Man verliert man sich darin, wie in einem Bild des Malers Caravaggio. Ripley ist ein Verehrer des Naturalisten Caravaggio, er studiert dessen Bilder voller Ehrfurcht. Aber Ripley nutzt auch die Lichtstimmungen des Malers für seine die eigenen Betrügereien. Das Robert Elswit mit seiner Kamera die besten Bilder auf den Bildschirm bringt, die überhaupt in Schwarzweiß möglich sind, ist maßgebliches Element im Gesamtkonzept. Und das ist so gemeint, wie geschrieben. Jede einzelnen Kameraeinstellung ist ein Bild, welches für sich alleine steht. Selbst kurze Zwischenschnitte oder Gegenschüsse sind perfekt gestaltete Fotografien.
Elswit photographiert eine düstere Welt, die dennoch etwas märchenhaftes besitzt. Der sonnendurchflutete Charme von Dolce Vita weicht einer neutralen Kühle. Die Kontraste sind auf das Maximum aufgedreht. Auf Naheinstellungen wird weitgehend verzichtet, um den Raum offen zu halten. In den Bildern vereinen sich meist zwei Handlungselemente. Nicht nur Aktion der Protagonisten, sondern auch entsprechende Details. Der Raum ist nie bloße Ausstattung. Jede Einstellung ist von Bedeutung, wobei der Charakter der Umgebung oft den Gehalt der Szene spiegelt. Auch wenn jeder Schnitt für sich exakt komponiert ist, sind die Bildfolgen ein harmonisch geschlossener Fluss.
Die atmosphärische Dichte der Bilder ist nicht einfach Erweiterung, sie sind elementarer Bestandteil von Erzählung und Atmosphäre. Und elementarer Grund, welcher die Zuschauenden an den Bildschirm fesselt, ihn hineinzieht. Sich an dieser beispiellosen Bildgestaltung satt zu sehen ist unmöglich. Robert Elswit ist sonst bestechender Naturalist in der Bildgestaltung, was sich schon in der zeitgemäßen schwarzweiß Photographie von GOOD NIGHT, AND GOOD LUCK herausragend wiederspiegelt. In RIPLEY ist es umgekehrt. Die Bilder erschaffen eine ganz eigene Welt, in der Steven Zaillian eine hinlänglich bekannte Geschichte außergewöhnlich spannend und mit vielen neuen Ansätzen, schlichtweg grandios erzählt.
Darsteller: Andrew Scott, Dakota Fanning, Johnny Flynn, Margherita Buy, Maurizio Lombardi, Eliot Sumner, Bokeem Woodbine, Kenneth Lonergan u.a.
Regie & Drehbuch: Steven Zaillian
nach dem Roman von Patricia Highsmith
Kamera: Robert Elswit
Bildschnitt: Joshua Raymond Lee, David O. Rogers, Adriaan van Zyl
Musik: Jeff Russo
Produktionsdesign: David Gropman
USA / 2024
8 Episoden
444 Minuten