Matinee: STIMME AM TELEFON

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THE SLENDER THREAD
– Bundesstart 07.04.1966 – Release 16.12.1965 (US)

Zwei Jahre und vier Filme ist es her, dass Sidney Poitier Filmgeschichte geschrieben hat. Trotz seiner Mitwirkung blieb aber die eigentlich verdiente Aufmerksamkeit für STIMME AM TELEFON aus, dass bemerkenswerte Spielfilmdebüt des bisherigen TV-Regisseurs Sydney Pollack. Poitier hatte sich ohnehin bereits als American Sweetheart soweit etabliert, dass ein weiterer Oscar nur eine konträre Aufmerksamkeit geschürt hätte. Tief im Herzen war Amerika eben noch immer nicht wirklich bereit. Das begründete Image des munteren und passionierten Idealisten muss aber nicht zwingend mit einer Nominierung für irgendwelche Filmpreise verbunden sein, um zu funktionieren. Es muss angemessen und glaubwürdig gespielt sein, um zu überzeugen. Und Sidney Poitier ist hier wirklich sehr überzeugend. Die STIMME AM TELEFON gehört Inga Dyson, und die wird gehört vom schwarzen Psychologiestudenten Alan Newell, der in den Nachtstunden für die Telefonseelsorge einer Klinik in Seattle arbeitet.

Spezialist für TV-Krimis, Stirling Siliphant, hat das Drehbuch verfasst. Zwei Jahre später wird er mit IN DER HITZE DER NACHT selbst Filmgeschichte schreiben, im wahrsten Sinne des Wortes, und sich in den Siebzigern als Koryphäe des Katastrophenfilms manifestieren. Sein Buch basiert auf einem Artikel für das Life Magazin der renommierten Journalistin Shana Alexander. Sydney Pollack versteht es ausgezeichnet, die Struktur des Drehbuchs für einen bis Dato ungewöhnlichen Abfolge umzusetzen. DIE STIMME AM TELEFON ist Melodrama, Psychothriller und analytischer Krimi, in sorgsam voneinander getrennten Ebenen, und stilistisch differenzierten Ausrichtungen.

Slender Thread 1a - Copyright PARAMOUNT PICTURESAlan Newell glaubt im Büro der Seelsorge in Ruhe lernen zu können. Der Anruf eines betrunkenen Friseurs ist harmlos und schnell beendet. Doch dann hat Alan die ruhige und gleichgültig wirkende Inga am Hörer. Sie wolle nur reden, eine Stimme hören, während die Schlaftabletten ihre Wirkung tun. Die gute Schulung sagt Alan, dass ihm höchsten 90 Minuten bleiben. Er muss sie entweder davon überzeugen selbst einen Krankenwagen zu rufen, oder mit der Polizei ausfindig machen. Inga denkt nicht daran ihren Todeswunsch aufzugeben, stattdessen beginnt sie Alan von ihrem Schicksal zu erzählen, wobei allerdings die Tabletten schon langsam, aber merklich Wirkung zeigen. In der Zwischenzeit versucht die Telefongesellschaft die Nummer rückzuverfolgen, während die Polizei am anderen Ende von Alans Leitung zu finden. Doch für Alan wird es immer schwieriger Inga am Reden und damit auch bei Bewusstsein zu halten.

Regisseur Sydney Pollack weiß geschickt die drei Ebenen der Geschichte perfekt ausgewogen zu halten. Jeder Handlungszweig ist so gut austariert, damit der anziehende Spannungsbogen nicht abzureißen droht. In Anwesenheit seines Chefs, versucht Alan schwitzend und sichtlich aufgewühlt am Telefon Ruhe auszustrahlen, und Ingas Vertrauen zu behalten. Ein Arzt hört mit, um anhand von Ingans Herzschlag und Redefluss einen verbleibenden Zeitrahmen einzuschätzen. Auf der anderen Seite zeigt sich das rationale Prozedere der einzelnen Polizeieinheiten, in dem zum ersten Mal ein Telautograph gezeigt wird, der Vorgänger des Fax-Gerätes. In nervenaufreibenden Sequenzen wird der komplexe Vorgang nachvollzogen, von Relais-Station zu Relais-Station einen Telefonanschluss ausfindig zu machen. Und dann ist da natürlich Ingas Geschichte, ein belastendes Geheimnis, und das fatale Zerwürfnis mit ihrem Mann Mark.

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Der Film beleuchtet aber auch sehr eindringlich und authentisch, wie schwierig es für Inga ist, Synonym für unglaublich viele Betroffene, Hilfe zu bekommen. Und wie wenig Aufmerksamkeit jemanden in einer seelischen Notlage tatsächlich zugestanden wird, was letztendlich zu einer fatalen Entscheidung führt. Sydney Pollack beweist sich mit seinem Spielfilmdebüt STIMME AM TELEFON als Regisseur mit ausgezeichnetem Gespür für nuanciertes und facettenreiches Inszenieren. Und er legt hier mit einem durchweg starken Ensemble sein Fundament als Darsteller-Regisseur. Gerade weil sich Pollack eben auf die Stärke seiner Nebendarsteller verlassen kann, kann er auch den Fokus immer auf Bancroft und Poitier, sprich Inga und Alan halten. Anne Bancroft hat ihren Oscar für LICHT IM DUNKEL nur ein Jahr vor Poitier gewonnen. Beide, die keine Szene zusammen im Bild haben, wiederholen nicht unbedingt ihre preisgekrönten Leistungen. Aber letztendlich ist das kein Kriterium für STIMME AM TELEFON. Anne Bancroft und Sidney Poitier glänzen und überzeugen allein mit ihrem beeindruckenden Charisma, und durch die Kunst von Sydney Pollack, eine bewegende Geschichte zeitlos spannend zu erzählen.

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Slender Thread 4 - Copyright PARAMOUNT PICTURESDarsteller: Sidney Poitier, Anne Bancroft, Steven Hill, Telly Savalas, Indus Arthur, Paul Newlan, Dabney Coleman u.a.

Regie: Sydney Pollack
Drehbuch: Stirling Siliphant
nach einem Artikel von Shana Alexander

Kamera: Loyal Griggs
Bildschnitt: Thomas Stanford
Musik: Quincy Jones
Set Decoration: Robert R. Benton, Joseph Kish
Art Direction: Hal Pereira, Jack Poplin
USA / 1965
98 Minuten

Bildrechte: PARAMOUNT PICTURES
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