LOVE LIES BLEEDING

Love Lies Bleeding - Copyright PLAION STUDIOS– Bundesstart 18.07.2024
– Release 08.03.2024 (CND)

Es gibt eine Szene gegen Ende von Rose Glass‘ mitreißend düsterem Drama LOVE LIES BLEEDING, die vollkommen gegen die geerdete Kompromisslosigkeit des bis dahin Gesehenen wirkt. Und erst wenn der Abspann gelaufen ist, wird einem bewußt, dass der ganze Film auf diese Szene hingeführt wird. Es geht um die Größe von Figuren, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne, physisch wie geistig, und existenziell. Louise arbeitet in einem Fitnessstudio, und möchte ihre wahre Liebe finden. Bodybuilderin Jackie ist auf der Durchreise, und möchte sich eine andere Existenz aufbauen. Waffenschieber und Schießstandbesitzer Lou Sr. ist Louises entfremdeter Vater, und er möchte seine Macht erhalten. JJ ist der Mann von Louises Schwester Beth, die er halbtot prügelt, weil er auf verdrehte Weise annimmt auf diese Weise Anerkennung zu finden.

Zu den besten Kleinstadt-Thrillern gehören unbestritten RED ROCK WEST oder ONE FALSE MOVE, die in auch der Zeit verhaftet sind, in der sie gedreht wurden. Jene Ära in der auch LOVE LIES BLEEDING angesiedelt ist. Im Fernsehen sieht man Bilder vom Fall der Berliner Mauer. Ein ganzes Volk, dass aus seiner eingeschränkten Welt ausbrechen will. Aber eines der ersten Bilder in Rose Glass‘ Film ist Louise mit dem Arm in einer verstopften Toilette des Fitnessstudios. Anders als die genannten Vorbilder, spielt LOVE LIES BLEEDING in der Vergangenheit, ist aber aus dem Hier und Jetzt entstanden. Er ist direkter und schneller. Der Arm in der verstopften Toilette, oder die fallende Mauer. Heute wie damals, Welten aus denen man ausbrechen will, und auch muss.

Louise lässt Jackie bei sich wohnen, und sie versorgt sie für einen Bodybuilding-Wettbewerb in Vegas, mit aus dem Studio geklauten Steroiden. Jackie gibt Louise einen Traum vom anderen Leben. Louise gibt Jackie einen bisher ungekannten Halt. Ihr Sex wirkt zuerst animalisch, man spürt aber eine bindende Leidenschaft. Es hat den Anschein, als würde Kristen Stewart von Film zu Film besser und noch vielschichtiger werden. Ihre verletzliche, oft unsichere Louise ist sensationell berührend. Aber noch besser ist Stewart zusammen mit der auf ihre Weise überzeugenden Katy O’Brian. Ohne O’Brians darstellerische Leistungen schmälern zu wollen, ist sie ganz bewusst als Körper zu Louises Geist konzipiert. Wie zu erwarten, eine Liebe der kein Bestand vergönnt ist.

In der optischeb Gestaltung richtet sich die Kamera von Ben Fordesman nach dem Kino einer Zeit, in welcher der Film auch handelt. Klare Farben und klare Bilder, starke Kontraste und mit Ausnahmen, keine manipulativen Spielereien. Mit Ausnahmen. Wie bizarre Nahaufnahmen von angespannten Muskeln und heraustretenden Venen, die Jackies nicht nur körperliche Entwicklung symbolisieren, sondern auch für den Verlauf der Geschichte stehen. Und es gibt Blutrot eingefärbte Rückblicke, die Louises Vergangenheit mit ihrem Vater Lou Sr. beleuchten. Auf letzteres hätte Rose Glass sehr gut verzichten können, weil ihre intensive Inszenierung und die sehr nuancierten Schauspieler ohnehin diese Vergangenheit nicht nur erahnen, sondern bereits spüren lassen.

Love Lies Bleeding 2 - Copyright PLAION STUDIOS

JJ ist genau dieser überhebliche Kleinstadt-Kotzbrocken, der sich nur durch den Schatten seines Schwiegervaters Lou Sr. unantastbar fühlen kann. Doch als er seine Frau Beth, Lous Tochter, ins Krankenhaus prügelt, setzt das eine unkontrollierbare Energie frei, die das ganze Gefüge in der Stadt auseinanderbrechen lässt. Auch wenn Louise mit ihrem Vater gebrochen hat, bleibt die innige Liebe zu ihrer Schwester. Dabei ist der Film weit weniger grafisch explizit als man vermuten will, oder einem angetragen wird. Dennoch ist er unglaublich roh und unbequem brutal. Eine Brutalität die sich aus dem schonungslosen Teufelskreis ergibt, aus welchem sich die Figuren nicht mehr befreien können.

Louise oder Jackie sind keine der typischen, unfreiwilligen Anti-Heldinnen. LOVE LIES BLEEDING ist kein feministischer Befreiungsschlag. Rose Glass ist nicht interessiert an der Frauenrolle, die sich seit dem Ende der Siebzigerjahre bis hin zur tödlichen Mixed-Martial-Arts-Kämpferin von Heute entwickelt hat. Louise und Jackie bleiben verletzliche und keine überlegenen Charaktere, was sie echt und nahbar macht. Was immer geschieht, geschieht unüberlegt. Und Frauen können auf die Konsequenzen ihres Handelns immer nur mit unkontrolliertem Aktionismus reagieren. Rose Glass hat mit Co-Autorin Tofilska die mehr und auch weniger erfolgreichen Vorbilder perfekt verinnerlicht. Aber die Regisseurin hat daraus etwas tatsächlich Eigenständiges entstehen lassen.

Herausgekommen ist ein leichter Fiebertraum. Der Film baut nicht erst Atmosphäre und Spannung auf. Mit einem Arm in einer verstopften Toilette ist er bereits mit seinen ersten Einstellungen mittendrin in einem Mikrokosmos der Hoffnungslosigkeit. Und es sind die unwirklich scheinenden Präsenzen von Kristen Stewart und Katy O’Brian, welche die einnehmende Stimmung des Films prägen. Rose Glass hat nicht gerade einen Instant-Klassiker geschaffen. Aber mit ihrer atemlos dichten Inszenierung, und dem unbeirrten Blick für das Wesentliche, ist LOVE LIES BLEEDING ein lange nachwirkender Film, der viel Gesprächsstoff liefert. Schon allein das Frauen auch wieder einmal schwach sein dürfen, um atemberaubend stark zu werden.

Love Lies Bleeding 1 - Copyright PLAION STUDIOS

 

Darsteller: Katie O’Brien, Kristen Stewart, Dave Franco, Ed Harris, Jena Malone, Anna Baryschnikov u.a.
Regie: Rose Glass
Drehbuch: Ross Glass, Weronika Tofilska
Kamera: Ben Fordesman
Bildschnitt: Mark Towns
Musik: Clint Mansell
Produktionsdesign: Katie Hickman
USA, Großbritannien / 2024
104 Minuten

Bildrechte: PLAION STUDIOS
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