– Release 11.12.2024 (world)
Mehr als 10 Jahre gingen Regisseure, Darsteller, oder Produzenten mit illustren Ideen hausieren, die Comic-Figur Kraven bei unterschiedlichsten Projekten unterzubringen. Als Erzfeind von Spider-Man hat sich das bei entsprechenden Vorhaben förmlich aufgedrängt. Es ist aber letztendlich doch ein Einzelfilm geworden, sonst wäre es gar nicht voran gegangen. Und außerdem hat das bei VENOM auch so gut funktioniert. Bereits 2021 kam J.C Chandor als Regisseur zum Projekt. ALL IS LOST und A MOST VIOLENT YEAR, oder TRIPLE FRONTIER. Chandor erwies sich in all seinen Filmen als Erzähler, der seine Filme aus ihren Genres befreite. Mit seinem Regiedebüt MARGIN CALL hat er sogar die Dynamik der Finanzkrise von 2008 nachvollziehbar gemacht. Eine Comic-Buch-Verfilmung wird da zu einer äußerst spannenden Aussicht. Und das in einem von Sony selbst ernannten ‚Sonys Spider-Man Universe‘ ohne Spider-Man. Mit einem Anti-Helden, dessen einzige Berufung im Comic, die tödliche Jagd auf Spider-Man ist.
Sergei ist der Sohn des russischen Drogen-Barons Nikolai Kravinoff. Dieser liebt die Jagd nur um des Tötens willen, und um Gegnern seine Macht zu demonstrieren. Einen legendären Killerlöwen will Nikolai in Afrika erlegen, um selbst zur Legende zu werden. Der Löwe tötet allerdings Sergei, dabei tropft Blut des angeschossenen Tieres in Sergeis Wunde. Es folgt die unweigerliche Wiederbelebung durch die junge Calypso. Man weiß das, weil Calypso und ihr Wunderserum schon vorher eingeführt wurden. KRAVEN THE HUNTER folgt allen bekannten Blaupausen von Superheldenfilmen.
Der Sohnemann sagt sich vom Vater los, zieht sich in die Wildnis von Russland zurück, nennt sich Kraven, erbarmungslos blutig jagt er Wilderer, und weltweit deren Kunden. Da dürften einigen Fans und Comic-Kennern die Halsschlagadern schwellen, ist der für die Comics gezeichnete Kraven eigentlich alles andere als ein Tierliebhaber. Er zeichnet sich vielmehr als psychopathischer Jäger aus. Genau wie sein Vater, tötet Kraven um des Tötens willen. Nur im Film fällt der Apfel zeitgeistig sehr weit vom Stamm.
Richard Wenk hat diese Geschichte erfunden und in Drehbuchform gebracht, mit Unterstützung vom Autorenduo Art Marcum und Matt Holloway. Die Drehbuch-Vita der drei ist erstaunlich – von IRON MAN, zu EQUALIZER, über UNCHARTED, bis JACK REACHER. Da werden die Abweichungen zwischen Vorlage und Film zu einer sehr interessanten Herausforderung, für Autoren, Regisseur, und vor allem einem geneigten Publikum, welches das Sub-Genre von Comic-Verfilmungen mittlerweile viel kritischer aufnimmt. Aber da ist immer noch Jeffrey McDonald Chandor, ein unheimlich starker Schauspielregisseur. Und an wirklich gutem Schauspiel mangelt es nicht.
Aaron Taylor Johnson beweist sich selbst in der Rolle eines nicht sehr tiefgründigen und eher geradlinigen Kraven erneut als Charakterdarsteller. Bei Taylor-Johnson kann man gleichsam abwägende Ruhe und unberechenbare Energie förmlich spüren. Zusammen mit Fred Hechinger als Dmitri ergibt das ein sehr interessantes und charismatisch passendes Brudergespann. Darstellerisch heben Hechinger und Taylor-Johnson einen Film, bei dem es an anderen Stellen verwehrt bleibt, irgendwie nach oben zu kommen. Ariana DeBose bleibt weit weg von den dynamischen Qualitäten ihres WEST SIDE STORY-Oscars, und Russell Crowe ist noch immer nicht für die Rolle des Bösewichts geschaffen.
Was Crowe ziemlich gut beherrscht, ist die Heldenfigur mit Hang zum unberechenbaren Rowdy. Aber wie eben auch hier in KRAVEN, werden seine Antagonisten-Rollen, immer zu farblosen Stereotypen ohne Tiefgang. Dazu kommt (in deutsch, wie im Original) ein lächerlicher, russischer Akzent dem jeder realistische Bezug fehlt. Wäre das aber KRAVEN THE HUNTERs wirkliches Problem, könnte man trotz Kopfschütteln bequem durchatmen. Die auffallend konstruierten Zufälle für die Wandlung zum Anti-Helden. Die ahnungslose Love-Interest, welche sich als eigene Superheldin herauskristallisiert. Jener unbezwingbar scheinende Bösewicht, dessen Machenschaften die innige Freundschaft der Brüder zerbrechen lässt, und sie zu Erzrivalen macht. Nicht zu vergessen, der reinigende Epilog von ungeklärten Verhältnissen in der Familie. Das sind Standards wie sie im Buche stehen, nämlich im Regelwerk von Ursprungsgeschichten von Comic-Figuren.
Das Regelwerk wüsste Chandor gut zu nutzen und die Standards um einiges interessanter, weil dynamischer zu gestalten. Herausgekommen wäre ein in Form klassischer, aber in Umsetzung überraschend ansprechender Genrebeitrag. So sehen die Szenen mit Kraven im Sprint, schneller als ein Auto, oder im menschlich unmöglichen Parkour-Lauf um und über Hindernisse absolut glaubwürdig und real aus. Das sind visuelle Effekte, die wirklich funktionieren und sogar echt aussehen. Das kann man über den ganzen Rest des Films nicht sagen. Die Trick- und Visuellen Effekte sind sonst dürftig bis schlecht.
Der Angriff des legendären Löwen hat nichts Natürliches, und man erkennt auch noch, dass versucht wurde den schlecht animierten Löwen beim Angriff, mit irrationaler Schnittfolge zu kaschieren. Wirklich lächerlich ist eine Massenflucht von Büffeln, in der sich zu allem Überfluss dann auch noch Kraven und ein Tier gegenüberstehen. Man ist absolut davon überzeugt, der Büffel würde dem Menschen gleich zuzwinkern. Mit sichtbar nachträglich eingefügten CGI-Blutfontänen und -Schusswunden, hat man wahrscheinlich versucht dem Film wenigstens noch ein werbewirksames R-Rating (mildes ab 18) zu geben. Viele Sequenzen sind erschreckend leicht als Green Screen zu erkennen, weil sich Vorder- und Hintergrund nicht stimmig zueinander bewegen. Oder das Compositing ist einfach so schlampig, dass teilweise das Grün noch durchschimmert.
Drei Film reichen aus, um aufzuzeigen, dass die in diesem Film gebotenen Bilder und Einstellungen weit unter dem eigentlichem Niveau von Ben Davis sind – THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, THE ETERNALS, und THE BANSHEES OF INISHERIN. Allerding ist Davis‘ Beitrag nur ein kleines Puzzle-Teil, damit sich KRAVEN THE HUNTER zu einem wirklich schlechten Vertreter in den Universen von DC, Marvel, und Sony zählen darf. Nach den Prognosen, noch vor dem Start, hat Sony mit diesem Film das Ende des ‚Sony’s Spider-Man Universe‘ verkündet. Produzenten hingegen sprechen noch von einer Weiterführung dieser Geschichte. Beides sollte und darf Bauchkneifen verursachen. Kaum ein Film demonstriert unablässig so viel Potential in allen künstlerischen und technischen Bereichen, und kaum ein Film setzt überhaupt nichts davon um, wie J.C. Chandors KRAVEN THE HUNTER.
Darsteller: Aaron Taylor Johnson, Ariana DeBose, Alessandro Nivola, Russell Crowe, Fred Hechinger, Christopher Abbott u.a.
Regie: J.C. Chandor
Drehbuch: Richard Wenk, Art Marcum, Matt Holloway
nach einer Story von Richard Wenk
Kamera: Ben Davis
Bildschnitt: Chris Lebenzon mit Milos Djakovic & Zach Vandelik
Musik: Benjamn Wallfisch mit Evgueni Galperine & Sacha Galperine
Produktionsdesign: Eve Stewart
USA, Island, Kanada, Großbritannien
2024
127 Minuten