BASTARDEN
THE PROMISED LAND
– Bundesstart 06.06.2024
– Release 05.10.2023 (DNK)
Solche Filme machen sie nicht mehr so oft, ist ein gerne missbrauchter Spruch der eigentlich alle vier Wochen durch die Rezensionsseiten schwirrt. Da wird es schwierig, dies adäquat auszudrücken, wenn es einmal tatsächlich und umfänglich zutrifft. Wie bei KING’S LAND. Ein bildgewaltiges Epos mit einer unglaublich vielschichtigen Erzählung, dass im Jahr 1755 spielt. Der verdiente Kapitän Ludvig von Kahlen bietet dem Finanzstab des dänischen Königs an, die bislang wertlose Heide des Jütlandes auf eigene Kosten fruchtbar zu machen. Als Lohn will er lediglich vom König einen Adelstitel und einen Hof mit Bediensteten. Was bisher misslang, könnte Ludvig zu einem lohnenden Geschäft für das Königshaus machen. Ein Erfolg würde steuerzahlende Siedler in die bislang unbewohnte Heide locken. Daher spricht König Frederik V. Ludvig ein Stück Land zu.
Zuerst alleine, später mit geflohenen Leibeigenen, schließlich mit einer Gruppe von reisendem Volk, kommt der stoische, oft kaltherzige Ludvig seinem Ziel langsam nahe. Sein Trick ist eine neuartige, sehr zähe und anspruchslose, aus Deutschland importierte Pflanze, die Kartoffel. Der nächste Nachbar, Frederik Schinkel, sieht mit der Ankunft von Ludvig von Kahlen seine Vormachtstellung als Magistrat gefährdet. Schinkel ist ein rücksichtsloser Rüpel ohne Anstand, der seinem Namen Schinklel ein De davor setzt, nur um adelig zu klingen. Er sieht die Heidelandschaft als Teil seiner Besitzungen. Nachfolgende Siedler von Königsgnaden hingegen würden seine Stellung zunichtemachen. Das macht die Konfrontation mit Kahlen unvermeidlich.
Schon von Beginn an nimmt Nikolaj Arcels großes Drama mit seinen unglaublich vielen Handlungselementen so viel Potential auf, dass man unentwegt Angst hat, der Film würde irgendwann unter seiner eigenen Last zusammenbrechen. Da ist das Szenario einer unmöglichen Mission. Eine Liebesbeziehung die nicht sein darf. Ein Tyrann nach dem Lehrbuch geisteskranker Despoten. Der manipulative Kitsch mit einem elternlosen Kind. Die zuerst pragmatische Beziehung zwischen Held und Heroine. Der Kampf gegen die Adelsherrschaft. Der Kampf gegen die eigenen Verbündeten. Der Kampf gegen die Natur, diese unwirkliche Natur. Arcels langjähriger Bildgestalter Rasmus Videbæk inszeniert die unzähmbare Heide wie eine ebenbürtige Figur mit ganz eigenem Charakter.
Der Regisseur behält beim Erzählen die Ruhe. Keine Szene wirkt überstürzt oder wird nur ungenügend behandelt. Die Inszenierung verzichtet in jeder Form auf aktuelle Schnitt- und Kameratrends. Nicolaj Arcel zieht das Publikum nicht hinterher, sondern führt es sorgsam nebenher. Die wahre Kunst in der Regie zeigt sich, wie jede Sequenz auf ihre größtmögliche Effektivität umgesetzt ist, ohne diese plakativ oder unrealistisch werden zu lassen. Selbst ohne tieferes Wissen über jene Zeit, wird jedes Szenario glaubwürdig und nachvollziehbar. Ludvig von Kahlens unerbittlicher Ehrgeiz. Die begründeten Ängste der neuen Siedler. Das Verhalten seiner Vertrauten. Die Bezwingung der harschen Heidelandschaft. Die Niederträchtigkeit von Schinkel gegenüber Kahlen.
Frederik Schinkel ist eigentlich die althergebrachte Witzfigur, die mit einer Ohrfeige zum Weinen und zur Räson gebracht werden würde. Es ist der Rückhalt des archaischen Pöppels der Aristokratie, der Schinkel so gefährlich macht und wüten lässt. Das versteht der Regisseur sehr eindringlich herauszuarbeiten, und gleichzeitig Ludvigs für jene Zeit angemessene Zurückhaltung verständlich zu machen. Ein klassisches Filmepos besticht durch seine thematische Größe, aber KING’S LAND ist in allen Belangen einfach groß. Deswegen kann durchaus noch einmal wiederholt werden, wie erstaunlich sicher Nicolaj Arcel die Fülle an verschiedenen Aspekten der Geschichte überzeugend, spannend und ohne einen Moment von Schwäche oder Trivialität umzusetzen versteht.
Packend ist tatsächlich die Entwicklungen jeder einzelnen Figur, jede von ihnen wächst mit ihrer Bestimmung, aber auch an ihrer Unzulänglichkeit. Besonders Mads Mikkelsen als Ludvig und Amanda Collin als Ann Barbara fesseln mit ihrem facettenreichen Spiel, dass unglaublich subtil ihre Wandlung von pragmatischen zu emotionalen Partnern vollzieht. Jede gute oder schlechte Begebenheit macht etwas mit ihnen, wirkt sich auf andere aus, beeinflusst den Lauf der Geschichte. Alles greift ineinander, alles wird unzertrennlich verwoben. Inmitten einer gnadenlosen Landschaft als antagonistischer Verbündeter. Rasmus Videbæk filmt die Heide nie als malerische Kulisse, sondern in allen Tages- und Jahreszeiten als faszinierend unverzeihliche Naturgewalt.
Jeder Faktor in der Handlung, bei den Figuren und der technischen, sowie inszenatorischen Umsetzung wächst und entwickelt sich, bis zur einzig richtigen, weil konsequenten Auflösung der Geschichte. Die anfängliche Angst weicht dann doch der Bewunderung, denn der Film bricht eben nicht unter seiner eigenen Last zusammen, sondern wird zu einer erfüllenden, und prall gefüllten Schatztruhe. KING’S LAND ist am Ende ein Gesamtkunstwerk, bei dem man schlichtweg hinzufügen muss, dass sie solche Filme heute nicht mehr so oft machen – und man das auch so meint.
Darsteller: Mads Mikkelsen, Amanda Collin, Simon Bennebjerg, Kristine Kujath Thorp, Gustav Lindh, Melinda Hagberg, Thomas Gabrielsson u.a.
Regie: Nikolaj Arcel
Drehbuch: Nikolaj Arcel, Anders Thomas Jensen
nach dem Buch von Ida Jessen
Kamera: Rasmus Videbæk
Bildschnitt: Olivier Bugge Coutté
Musik: Dan Romer
Produktionsdesign: Jette Lehmann
Dänemark, Schweden, Norwegen, Deutschland
2023
127 Minuten