– Bundesstart 18.07.2024
– Release 19.01.2024 (US)
In ZEIT DER ZÄRTLICHKEIT blickt Jack Nicholson als alternder Astronaut in den Nachthimmel und sinniert, warum sich die Jungs (Astronauten) nie zusammengesetzt haben, um darüber zu reden wie atemberaubend lebensverändernd es da oben war. Als Zuschauer ist man verwundert, weil man doch annimmt, Astronauten würden nach ihren Flügen nie über etwas anderes mehr reden. Hier in diesem Film wird lediglich klar, worüber absolut nicht geredet wird: Politik. Wie sonst würde die Zeit auf einer Internationale Raumstation sonst zu bewältigen sein. Eine der ersten Lektionen die Astronauten-Nachwuchs Dr. Kira Foster an Bord lernt. Die temperamentvolle Urgewalt Ariana DeBose spielt diese Dr. Foster, aber ungewohnt zurückhaltend, bescheiden und lernbegierig. Wir wissen sofort, dass sie unsere Heldin ist. Auf sie werden wir uns verlassen können.
Nach aufsehenerregenden Dokumentationen und starken Dramen ist es nachvollziehbar, das Filmemacherin Gabriela Cowperthwaite etwas anderes, etwas neues machen wollte. Und I.S.S. ist wirklich ganz anders. Der Film hat alles, was ein mit Qualitäten bestückter Thriller braucht, um seiner Bestimmung wirkungsvoll nachzukommen. Eine unheilvolle Ausgangssituation. Eine ausweglose Umgebung. Und starke Schauspieler die ihre Figuren in einer unwahrscheinlichen Situation mit Glaubwürdigkeit versehen. Eigentlich hat I.S.S. alles, scheitert jedoch an inhaltlichen Schwächen und zweifelhafter Umsetzung.
Drei Russen und drei Amerikaner, die sich nach abschätzender Annäherung sehr gut verstehen, diskutieren, lachen, und trinken. Aber Politik wird nicht erwähnt. Bis beide Parteien von ihrer jeweiligen Regierung eine eigentlich streng geheime Nachricht erhalten. Ein Krieg wäre ausgebrochen, und die Kontrolle über die Raumstation muss übernommen werden. Um jeden Preis. Der Thriller kann beginnen. Und viel mehr ist manchmal gar nicht notwendig, um Spannung und Nervenkitzel effektiv zu gestalten. Im Independence Kino wird das mit ungewöhnlichen Ideen immer wieder unter Beweis gestellt.
Mit nur 13 Mio. Dollar zählt I.S.S. durchaus zum Independence Kino. Allerdings erweist der sich weniger originell und kaum spannend, weil Cowperthwaite ihren Film unbedingt wie großes Kino aussehen lassen will. Aber dafür sind die Visuellen Effekt zu dürftig, und die Schwerelosigkeit meist unbefriedigend umgesetzt. Meistens wechseln sich innerhalb einer Szenenfolge Bilder erstklassiger Gravitationslosigkeit mit unverhohlen sichtbarer Schwerkraft ab. Die Illusion zerstört sich im Schnitt immer wieder selbst. Besonders unangenehm wird es bei einem Faustkampf zwischen zwei Darstellern.
In Schwerelosigkeit ist ein Faustkampf nicht möglich, was die Regisseurin vergeblich bemüht auch so umsetzen möchte, diese Aufnahmen aber in der Schwerkraft drehen musste. Allerdings sind es nicht die Defizite in den Effekten, an die der vermeintliche Thriller einen möglichen Erfolg verliert. Es sind die grandiosen Schwächen in Inhalt und Struktur. Wenn am Anfang gesagt wird die Russen klopfen immer dreimal, weiß man, dass diese Information später wichtig sein wird. Wenn konkret das Summen der Filteranlagen erklärt wird, weiß man, dass es später eine signifikante Rolle spielen wird.
Die Intrigen und der Kampf zwischen den zwei Nationen um die Raumstation haben begonnen, und der Film stolpert von einem vorhersehbaren Handlungspunkt zum nächsten. Die Darsteller geben ihr Bestes, müssen sich aber dem stark konstruierten Gerüst von Widrigkeiten und Wendungen ergeben. Es wäre wesentlich besser gewesen, hätte sich Gabriela Cowperthwaite besonnen, und bei der Umsetzung dieser Geschichte auf ihre Stärke, die inszenatorische Form ihrer packenden Dokus (BLACKFISH, THE GRAB) zurückgegriffen. Der Film hat Momente, aber er kann sie nicht halten.
Am Ende fällt hier alles wieder auf Jack Nicholson zurück. Hier reden sie tatsächlich darüber, wie einzigartig und atemberaubend es da oben ist. Die goldene Regel an Bord ist der Verzicht auf Politik. Die I.S.S. versteht sich als die letzte Bastion des Friedens. Lippenbekenntnisse, welche die Handlung eigentlich sofort im Keim ersticken müssten. Warum sollte irgendjemand irgendein Interesse haben, auf eine Erde zurückzukehren, die gut sichtbar zur Hälfte in flammendem Rot von nuklearen Explosionen steht. Bei allen guten Absichten – am Ende ergibt das Narrativ absolut keinen Sinn.
Darsteller: Ariana DeBose, Chris Messina, Pilou Asbaek, John GallagherJr., Masha Mashkova, Costa Ronin
Regie: Gabriela Cowperthwaite
Drehbuch: Nick Shafir
Kamera: Nick Remy Matthews
Bildschnitt: Richard Mettler, Colin Patton
Musik: Anne Nikitin
Produktionsdesign: Geoff Wallace
USA / 2023
95 Minuten