HORIZON: AN AMERICAN SAGA
CHAPTER 1
– Bundesstart 22.08.2024
– Release 26.07.2024 (ICE)
In jeder zweiten Szene von HORIZON 1 kann man den realistischen, dennoch fast poetischen Geist von Kevin Costners DER MIT DEM WOLF TANZT spüren. Die Menschen, das Leben, die Gefühle, und grenzlose Landschaften. In jeder zweiten Szene. Das Herzensprojekt des Autors, Regisseur, Produzenten und Darsteller nimmt langsam Gestalt an. Der Kampf um den mittleren Westen eines Landes, dass von seinen Siedlern noch gar nicht verstanden wird. Zwischen der ersten Idee bis zu diesem ersten Teil der AMERICAN SAGA gab es den WOLF und den überragenden, aber kaum wahrgenommenen OPEN RANGE. Costner hat im gefühlten Alleingang das totgesagte Westerngenre nicht nur zu neuem Leben erweckt, sondern auch mit Bedeutung gefüllt. Umso auffälliger und eindringlicher sind die Ambitionen im ersten, der auf vier Teile ausgelegten Saga. HORIZON 1 strotzt vor allem was Western ausmacht, was den Filmemacher bewegt, und was das Publikum von ihm erwartet.
Aber HORIZON stolpert auch immer wieder über seine Ambitionen und der Fülle von Geschichten. Da ist Frances Kittredge, deren Mann und Sohn in der Siedlung Horizon bei einem Apachen-Überfall ums Leben kommen, und sich mit Tochter Lizzie der Kavallerie in Camp Gallant anvertraut. Dann gibt es Ellen, die in der Wildnis von Montana Familienvater Sykes erschießt, und mit ihrem Sohn nach Wyoming flüchtet, verfolgt von Mitgliedern der rachsüchtigen Familie. Währenddessen bringt Matthew Van Weyden einen Trek von naiven, ahnungslosen Siedlern über den Santa Fe Trail Richtung Horizon. Dann kommt Pferdehändler Hayes ins Spiel, der sich über das Schäferstündchen hinaus, mit der Hure Marigold einlässt. Aber Marigold lebt mit der flüchtigen Ellen zusammen. Ab hier beginnen dann die einzelnen Schicksale ineinander zu greifen.
Es sind weniger Geschichten als Expositionen die Costner präsentiert. Figuren werden vorgestellt, und ihrem Platz im bisher unbekannten, großen Ganzen zugewissen. Viele kommen hinzu, manche verschwinden vorerst auch wieder unvermittelt. Und der Regisseur nimmt sich Zeit dafür, was meist angenehm ist, aber auch herausfordernd sein kann. Mit Sam Worthington exzellent besetzt, gibt es in Camp Gallant noch Lieutenant Trent Gephardt, der sich vorsichtig als Hauptfigur etabliert. Sein Interesse fällt auf Sienna Miller, die als Frances Kittredge bereits zu Anfang mit Tochter Lizzie in Camp Gallant Zuflucht findet. Es gibt noch viel mehr bekannte Namen zu entdecken, die allerdings kaum etwas zu tun bekommen. Doch man kann sich sicher sein, dass bei vier geplanten Teilen, für deren Figuren noch Größeres vorbereitet sein wird.
Das eher gemäßigte Erzähltempo erfüllt durchaus seinen Zwecke, wenn man sich besser mit den differenzierten Figuren und damaligen soziopolitischen Verhältnissen vertraut machen kann. Schließlich ist der Western im Allgemeinen noch immer nicht ganz im realistischen Heute angekommen, und dem entgegen zu wirken ist schließlich ein grundlegendes Anliegen des Regisseurs. Costner gelingt es ausgezeichnet in jeder Sequenz eine unterschwellige, immer leicht ansteigende Spannung aufzubauen, weil schließlich auch alles möglich ist. Wie die Konfrontation zwischen dem an Marigold interessierten Hayes und einem Schergen der Sykes Familie, der eigentlich hinter der flüchtigen Ellen her ist. Hier offenbaren sich auch die Schwächen in Costners Inszenierung. Die Gewalt ist mitunter explizit, aber nur selten wirklich emotional mitreißend.
Der Brutalität der Siedlern untereinander und gegen die Indigenen fehlt meist der Bezug, oder die Bindung des Zuschauenden zu den Figuren. Umgekehrt ist es bei den Ureinwohnern, denen Costner angesichts seiner filmischen Vergangenheit ungewöhnlich wenig Raum und charakterliche Tiefe einräumt. Das anfängliche Massaker der Indigenen an den Siedlern, ist spektakulär gefilmt, steht aber ohne befriedigenden Ausgleich von Gerechtigkeit ziemlich offen. Ähnlich dem spannenden Aufbau des Duells zwischen Hayes und Caleb Sykes, dass emotional unzureichend endet. Jamie Campbell Bower spielt Caleb auch als Stereotyp des bösen Western-Antagonisten, der nur schlecht ist, um den Helden einen Gegner zu liefern. Im ersten Teil von HORIZON sind es lediglich die Hauptfiguren denen eine greifbare Motivation mit substanzieller Tiefe vergönnt ist.
Auf der indigenen Seite stehen sich Owen Crow Shoe und Gregory Cruz als Pionsenay und Tuayeseh gegenüber. Ein heißspornig zorniger Apache, der die Siedler mit aller Macht und demnach auch mit dem Angriff zu Anfang vom Land vertreiben will, und ein zur Mäßigung mahnender Stammesältester, der die Zeichen und den Punkt ohne Wiederkehr längst erkannt hat. Wie man sich vorstellen kann, will Kevin Costner auch hier das Unrecht an den Ureinwohnern voranstellen. Aber bisher bleiben die Apachen in Teil Eins nur in Schwarzweiß gezeichnete Blaupausen. Ebenso wenig plausibel ist die Entscheidung, im Bildformat 1,85:1 zu drehen. Michael Muro hat sich in seiner bisherigen Karriere noch nicht als begnadeter Gestalter von großen oder großartigen Bildern vorgestellt. Und leider hat er dazu auch bei HORIZON die Chance dafür vertan.
Es gibt Einstellungen von epischen, und sehr beeindruckenden Ausmaßen. Aber denen stehen auch Aufnahmen in der Qualität von TV-Produktionen gegenüber. Und an keinem Punkt schafft es Muro, diese markanten Unterschiede in den Bildern zu einem atmosphärischen Ganzen zu bringen. Die grandiosen Weiten und beindruckenden Landschaftsbilder werden nicht zum ebenbürdigen, auch für sich stehenden Erzähler. Das würde man aber erwarten, wenn man sich Kevin Costners Regie-Debüt in Erinnerung ruft. In diesem Sinne überrascht auch John Debneys Soundtrack, der fast schon genial die großen Western-Scores in erster Linie von Elmer Bernstein, aber auch Jerome Moross und Alfred Newman zitiert. Debneys losgelösten, oft aufpeitschenden Klänge unterminieren aber immer wieder den finsteren Charakter mancher Sequenzen.
Kevin Costner hat mit dem Beginn seiner AMERICAN SAGA eine Film gemacht der Vergleiche zu Ford, Hathaway und Marshalls grandiosen Cinerama-Klassiker DAS WAR DER WILDE WESTEN nicht scheuen braucht. Außer im Bezug auf dessen virtuose Optik. Allerdings war DAS WAR DER WILDE WESTEN auch ein Kind seiner Zeit, als der amerikanische Pioniergeist noch eine politisch inkorrekte Legitimierung besaß. Manchmal vergisst Costner reflektierende Bezüge zu den düsteren Auswirkungen einer oftmals fälschlich bejubelten Epoche, die im Grunde noch immer anhält. Zu sehr ist der Regisseur mit Co-Autor Jon Baird beschäftigt, alle Figuren und Handlungsebenen in ihrer Exposition dennoch eine ganzheitliche Struktur zu geben. Zum Glück schafft es die Inszenierung einen Soap-Opera ähnlichen Charakter zu vermeiden.
Erst mit einem aufwühlend spannenden Showdown im letzten Abschnitt festigt Costner unmissverständlich seinen unverklärten Blick auf die Historie. Es gibt im Kino keinen Platz mehr für den weißgewaschenen Helden-Western der Fünfziger- und Sechzigerjahre. In einem erstklassig montierten Übergang wechselt CHAPTER 1 am Ende in eine vierminütige Passage mit Szenen aus dem kommenden CHAPTER 2. Dieser unglaublich dynamische Ausblick lässt unverzüglich alle Zweifel oder Vorbehalte verschwinden, die man während dieser dreistündigen Einführung aufgebaut haben könnte. Letztendlich will man ja auch Kevin Costners Epos ins Herz schließen. Irgendwie will man nichts anderes akzeptieren, als einen weiteren Meilenstein des ambitionierten Filmemachers. Auch wenn sein Film immer wieder leicht danebenschießt. Man will es.
Darsteller: Kevin Costner, Sienna Miller, Sam Worthington, Jena Malone, Owen Crow Shoe, Tatanka Means, Giovanni Ribisi, Danny Huston, Tom Payne, Abby Lee u.a.
Regie: Kevin Costner
Drehbuch: Kevin Costner, Jon Baird
Kamera: J. Michael Muro
Bildschnitt: Miklos Wright
Musik: John Debney
Produktionsdesign: Derek R. Hill
Kostüme: Lisa Lovaas
USA / 2024
181 Minuten