– Bundesstart 26.12.2024
– Release 01.11.2024 (UK)
Der Trailer von HERETIC ist ein überraschendes Beispiel für eine Vorschau, bei der man nur glaubt, schon im Voraus den Verlauf eines Films zu erfahren. Man glaubt. Der Glaube ist auch die grundlegende Prämisse von Scott Beck und Bryan Woods‘ Thriller, der sich unglaublich geschickt zwischen ausweglosem Terror und schmerzlichem Psychogram bewegt. Die unzertrennlichen Beck und Wood zeichnen das Schicksal der Schwestern Paxton und Barnes der ‚Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage‘, die an der Tür des sehr zuvorkommenden Mister Reed klingeln. Es ist keine Voraussetzung zu wissen, aber es hat durchaus etwas für sich, dass Cloe East und Sophie Thatcher, Darstellerinnen von Paxton und Barnes, im Glauben der Mormonen erzogen wurden. Ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Authentizität ihrer Rollen. Was sich besonders in der Eröffnung bewährt, in der die Glaubensschwestern vorgestellt werden. Ihre zwischen unfreiwilliger Komik und peinlicher Berührung schwankende Diskussion über Sex ist schlichtweg genial.
Mister Reed hat sich aufgrund eines Flugblattes bei der Kirche gemeldet, dass er mehr über Jesus erfahren möchte. Die Schwestern kämen im richtigen Moment, denn die Frau wäre gerade in der Küche um den Kuchen aus dem Ofen zu hohlen. Ohne die Anwesenheit einer Frau dürften Paxton und Barnes gar nicht allein mit einem Mann sein. Das Regie-Duo lässt sich gar nicht viel Zeit, um klar zu machen, dass den Schwestern mit Mister Reed kein gewöhnlicher Interessierter gegenüber sitzt. Aber die Regie überstürzt auch nichts. Ungewöhnlich für das aktuelle Kino, ist der perfekte Spannungsaufbau, der sich ohne Atmen zu holen, von vibrierender Ungemütlichkeit zu fiebriger Intensität steigert.
Noch viel ungewöhnlicher ist, dass HERETIC diese mitreißende Spannung auch bis zum Schluss hält. Das Autoren- und Regie-Duo Scott Beck und Bryan Woods, die ausschließlich zusammenarbeiten, haben den genialen A QUIET DAY geschrieben, und das unsägliche Adam Driver Vehikel 65 verfasst und inszeniert. Ihre künstlerische Spannweite ist also wirklich immens. Das HERETIC qualitativ in Richtung A QUIET DAY geht, sollte alle Interessierten aufatmen lassen. Auch wenn er inhaltlich ganz andere Wege geht.
Weiter auf den Handlungsverlauf einzugehen, würde dem horrormäßigen Vergnügen nur schaden. Denn die Macher wissen wovon sie schreiben und ihre Figuren reden lassen, wenn sie mit den Themen Glauben, Religion und göttlicher Fügung unheilvolles Ping Pong spielen. Es ist eine erschreckende Freude, wie sie argumentativ jedem eingeschworenen Atheisten immer wieder in die Hände spielen, nur um diese Argumente urplötzlich mit Gottesglauben gegen sich selbst zu richten. Das ist aber kein lockerer Schlagabtausch, denn Beck und Woods machen unmissverständlich klar, dass die Fragen um Tod und Wiederauferstehung nicht nur theoretisch sind. Alles ist möglich, und Unerwartetes wird auch passieren. Die Grenzen zwischen dem Übernatürlichen und Realität werden fließend. Aber HERETIC ist kein paranormales Horrorspektakel.
Für eine wirklich stimmige Atmosphäre sorgen die monochromatischen Bilder von OLDBOY-Bildgestalter Chung Chung-hoon. Für die richtige Stimmung sorgt Hugh Grant. Der, man mag es kaum so trivial ausdrücken, nicht besser besetzt sein könnte. Grant hat sich schon öfter als Antagonist präsentiert, mehr oder weniger erfolgreich, weil ihm selbst mit 64 Jahren noch das Image und Auftreten des unsicheren Sunnyboys im Weg steht. Ein Attribut das hier absolut im Sinne seines bösartigen, verstörten Charakters wirkt. Hugh Grant ist als Mister Reed einfach Hugh Grant, und das garantiert Gänsehaut.
In Sophie Thatcher und Cloe East findet Grant ebenbürtige Gegner, die sich allerdings nicht so elegant aus der Komfortzone von sicheren Rollen für junge Erwachsene schälen können. Auch wenn sie ihre Figuren überzeugend ausfüllen, gelingt ihnen keine überraschende Charakter-Entwicklung. Dafür schafft es Chung Chung-hoon immer wieder in den Bildern eine herrliche Balance zwischen Close-ups und Raumtotalen. Zwischen der wachsenden Panik in den Gesichtern und räumlichen Ausweglosigkeit. Beck und Woods können in der atmosphärischen Dichte ihrer Inszenierung auf hektische Schnittfolgen, und sogar auf Jump Scares verzichten. Auch wenn sie hier keinen Instant Klassiker geschaffen haben, gelingt ihnen ein ungewöhnlich eigenständiger Film.
Und wenn sich HERETIC an Horror- und Gruselklischees bedient, versteht er es wunderbar damit zu spielen. Das unzertrennliche Filmemacher-Duo wollte in erster Linie einen ungewöhnlichen, aber wirkungsvollen Horrorfilm machen, was ihnen zweifelsfrei gelungen ist. Und nur zu Anfang etwas unscheinbar, gelingt ihnen dann doch die intelligenteste Auseinandersetzung über theologische Grundprinzipien und religiöse Kontroversen die der Mainstream in den letzten Jahren auf die Leinwand brachte.
Darsteller: Hugh Grant, Sophie Thatcher, Chloe East, Topher Grace und Elle Young u.a.
Regie & Drehbuch: Scott Beck & Bryan Woods
Kamera: Chung Chung-hoon
Bildschnitt: Justin Li
Musik: Chris Bacon
Produktionsdesign: Philip Messina
Kanada, USA / 2024
111 Minuten