HAROLD UND DIE ZAUBERKREIDE

Harold Crayon - Copyright SONY PICTURESHAROLD AND THE PURPLE CRAYON
– Bundesstart 22.08.2024
– Release 31.07.2024 (UK)

Das Buch von Crockett Johnson ist fast siebzig Jahre alt. Es ist ein Kinderbuchklassiker, zumindest im englischsprachigen Raum, der bis 2020 neun Bücher nach sich zog. Es ist eines der ganz seltenen Bücher für Kinder, das auch von Erwachsenen zur eigenen Unterhaltung sehr geschätzt wird. Johnson hat seine sehr einfach wirkende Geschichte sehr einfach mit klaren Linien gezeichnet. Was einfach aussieht, ist im Fall von ‚Harold und die Zauberkreide‘ alles andere als oberflächlich oder naiv. Eine filmische Adaption ist daher eine Herausforderung. Aber wie anspruchsvoll Verfilmungen sein können, für das Zielpublikum, aber auch für deren Eltern, zeigt Spike Jonzes geniale Adaption von Maurice Sendaks ‚Wo die wilden Kerle wohnen‘. Kinderbücher sind nicht unbedingt Kinderkram. Zeit für Carlos Saldanhas HAROLD UND DIE ZAUBERKREIDE.

Harold ist ein kleiner Junge, mit einer lila Wachsmalkreide. Alles was er malt, wird Wirklichkeit. Er ist alleine, also malt er sich die Freunde Moose und Porcupine, einen Elch und ein Stachelschwein. Der Film beginnt auch als Animation, selbstverständlich exakt nach den Motiven aus dem ersten Buch, mit einfachen, klaren, und lila Linien auf weißem Grund. Erzähler ist der ‚alte Mann‘. Es geht darum, dass Harold seine Fantasie und Vorstellungskraft nutzt, um nicht mehr allein zu sein, Abenteuer zu bestehen, die Welt zu begreifen, und Geborgenheit in einem Zuhause zu finden.

So geht die Zeit dahin, und Harold hat eine wundervolle, lilafarbene Welt erschaffen. Doch der ‚alte Mann‘ hat aufgehört zu sprechen, für Harold wie für das Publikum. Was mag nur passiert sein? Moose und Porcupine raten panisch davor ab, doch Harold malt eine Tür auf die er ‚Reale Welt‘ schreibt, und öffnet sie um dahinter den ‚alten Mann‘ zu finden. Das wäre ein wundervoller Abschluss, mit einem wundervollen offenen Ende, dem atemberaubende Abenteuer folgen könnten. Es bliebe der Fantasie und der Vorstellungskraft des Publikums überlassen. Ganz im Sinne des Erfinders Crockett Johnson, und ganz im Sinne eines Harolds. Doch zu diesem Zeitpunkt sind gerade einmal fünf Minuten vergangen. Mit einer ungewöhnlichen Laufzeit von nur 89 Minuten, würden noch 84 Minuten bleiben. Aber selbst die werden unerträglich lang.

Von der Annimationsebene wechselt HAROLD zur Live-Action. Harold wird zu Zachary Levi, und aus unerfindlichen Gründen werden der Elch zu Lil Rel Howery und Stachelschwein zu Tanya Reynolds. Warum weiß keiner, es lässt sich auch schwer darüber spekulieren. Bei Stress verwandelt sich Howery immer wieder einmal ganz kurz in einen Elch, auch ein Phänomen das nicht geklärt wird. Vielleicht soll es witzig sein. Natürlich soll es witzig sein, was aber noch immer nicht klar macht, warum Elch und Stachelschwein überhaupt eine menschliche Gestalt annehmen. Aber wenn man erst einmal anfängt das Drehbuch zu hinterfragen, wird es sehr schwer damit aufzuhören.

Harold Crayon 2 - Copyright 2024 CTMG

Carlos Saldanha gibt sich sehr viel Mühe, dem Film Tempo zu geben und ohne Leerlauf voranzutreiben. Was ihm aus inszenatorischer Sicht sogar hervorragend gelingt. Jede Szene trifft genau die beabsichtigte Note. Allerdings wäre es von Vorteil gewesen, auch die Darsteller passend einzubeziehen. Mit seiner unschuldigen Begeisterung könnte Zachary Levi, ohne stilistische etwas zu verändern, genauso gut aus dem ersten SHAZAM herauskopiert worden sein. Geradezu unvermittelt spielt die ewig jugendliche Zooey Deschanel plötzlich eine Mutterrolle, und wird damit vollkommen allein gelassen. Dabei hilft es nicht, dass wenigstens die technischen Aspekte tadellos sind.

Zumindest bieten Kamera und Schnitt ein makelloses, optisches Vergnügen. Gabriel Beristain, Mark Helfrich und Tia Nolan sind alte Hasen/in bei großen Mainstream Produktionen. Und so sieht HAROLD dann auch aus, ohne spielerische Einfälle oder raffinierte Erweiterungen. Die Visual Effects sind großartig. Alfonso Salazar und Carol Uraneck haben die animierten, dem Buch entnommenen Sequenzen wirklich tadellos umgesetzt. Aber an- und aufgefüllt ist der ganze Film mit unheimlich ausufernden Bombast und überzeichneter Action, die keinerlei Fantasie zulassen.

HAROLD UND DIE ZAUBERKREIDE geht absolut, und mit jeder Filmminute mehr, an der Absicht und dem Charme der Buchvorlage vorbei. Es bleibt kein bisschen Raum für Fantasie und Vorstellungskraft, sondern alles wird mit inszenatorischem Nachdruck vorgegeben. Und das ist HAROLDS schlimmstes Vergehen. Erwachsene Menschen geben vor einen Film zu machen, den man auch aus der Sicht von Kindern betrachten muss. Wobei diesen Kindern ein Produkt vorgesetzt wird, welches sie zu Konsumenten degradiert, die nicht ernstgenommen werden. Schlimmer noch, wird hier exzellent propagiert, dass es für Kinder durchaus akzeptabel ist, sich der alleinerziehenden Mutter vehement zu widersetzen. Und wie großartig es sein muss, wildfremde und nach außen hin scheinbar verrückte Männer im eigenen Heim übernachten zu lassen.

HAROLD UND DIE ZAUBERKREIDE ist mit dieser Adaption in Ton und Aussage das genaue Gegenteil von dem was Crockett Johnson mit seinen Büchern auf inspirierende Weise vermitteln wollte. Übrig bleibt eines dieser auf Effekte ausgerichtetes Spektakel, die alle zwei Wochen in den Kinos anlaufen, um für Eltern eine gefahrlose Kinderbespaßung bereit zu halten. Das Beste was man aus Carlos Saldanhas Film mitnimmt, ist seine temporeiche Inszenierung, die filmtechnisch kaum Wünsche offen lässt. Aber inhaltlich ist er erschreckend eindimensional. Eben nicht so dreidimensional tiefgründig wie die zweidimensionalen Zeichnung von Crockett Johnson.

Harold Crayon 1 - Copyright 2024 CTMG

 

Darsteller: Zachary Levi, Lil Rel Howery, Tanya Reynolds, Zooey Deschanel, Benjamin Bottani u.a.

Regie: Carlos Saldanha
Drehbuch: David Guion, Michael Handelman
Nach dem Buch von Crockett Johnson
Kamera: Gabriel Beristain
Bildschnitt: Mark Helfrich, Tia Nolan
Musik: Batu Sener
Produktionsdesign: Shepherd Frankel
USA / 2024
89 Minuten

Bildrechte: SONY PICTURES / CTMG
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