GOLDA
– Bundesstart 30.05.2024
– Release 24.08.2023 (ISR)
Rezensiert nach der britischen DVD-Fassung
Jom-Kippur-Krieg. Israels Ministerpräsidentin Golda Meir empfängt in ihrer Privatwohnung U.S.-Staatssekretär Henry Kissinger. Beide sind unter sich, es gibt hausgemachte Borschtsch. Meir serviert, obwohl Kissinger immer wieder ablehnt, weil er schon gegessen hat. Sie bittet den Freund um Unterstützung im Krieg gegen Ägypten und Syrien. Kissinger möchte, kann aber wegen der Politik gegenüber den ölfördernden Ländern nichts in Aussicht stellen, und betont bedauernd, „ich bin zuerst Amerikaner, dann Staatssekretär, und dann Jude“. Worauf sie verschmitzt lächelt, „du vergisst, dass wir in Israel von rechts nach links lesen.“ Eine eindringliche Sequenz, bei der man Golda Meir nahe kommt, und den Mensch hinter der Politikerin sieht. Etwas, dass nur in ganz wenigen Momenten in diesem Film passiert. Obwohl der personifizierte Filmtitel annehmen lässt, ein tiefergehendes Portrait erwarten zu dürfen.
Der israelische Regisseur Guy Nattiv, Oscarpreisträger für den Kurzfilm SKIN, will in seinem Moment-Portrait der eigentlich besten Form von Biografien folgen. Ein definierender Moment im Leben einer Persönlichkeit, in dem sein oder ihr Charakter beleuchtet und auf den Prüfstand gestellt wird. Helen Mirren ist dabei die Vertreterin des bislang besten Films dieses Sub-Genres, nämlich in Stephen Frears THE QUEEN. Mit noch viel mehr Make-up und körperlichen Strapazen ist sie nun Golda Meir. Und es überrascht nicht, wie unglaublich faszinierend es ist, diese Künstlerin in ihrer Rolle zu beobachten. Aber der Film erschöpft sich auch schon damit, dass Maskendesign von Suzie Battersby und Karen Hartley zu präsentieren, und Mirren darin einfach überzeugend aussehen zu lassen. Doch als Portrait dieser Frau, ist GOLDA unzureichend.
Nicholas Martin hat das Drehbuch geschrieben, dass sich nicht entscheiden kann, ob es Biografie oder Geschichtsfilm sein will. Die Kriegshandlungen finden in einer dunklen Kommandozentrale statt. Es wird viel geredet über das was gerade passiert. Manchmal hört man auch den dramatischen Funkverkehr von den Frontlinien, mit den letzten Worten sterbender Soldaten. Ansonsten ist es ziemlich anstrengend den Kampfverläufen zu folgen, Strategien zu verstehen, oder Auswirkungen zu begreifen. Es wird eben viel geredet, aber es wird kaum etwas zur unterstützenden Orientierung gezeigt. Nur einmal fliegt Verteidigungsminister Mosche Dajan über das Schlachtfeld in den Golanhöhen, wobei mit wenigen Bildtotalen der Wahnsinn der Kampfhandlungen deutlich wird. Aber ein wirkliches Verständnis für die Bedeutung des Krieges weckt das nicht.
Vielleicht kann man die Person gar nicht von ihrem Amt, ihrer Leidenschaft, ihrem Erbe trennen. Wenn sie sich an das Schicksal einer ihrer Sekretärinnen erinnert, diese später dann in beileidlicher Bekundung umarmt, ist das die Golda Meir mit Gefühl und Hingabe, die uns der Film immer und immer wieder vorenthält. Guy Nattiv ist viel mehr darauf bedacht, die Ministerpräsidentin auch wirklich in jeder Einstellung rauchend zu zeigen. Meir war als Kettenraucherin bekannt, aber hier ist es inszeniert wie eine lustig gemeinte Farce, wenn sie selbst während der Strahlentherapie gegen ihre Krebserkrankung Zigaretten anzündet. Vielleicht hätte dieser Film als mehrteiliger Fernsehfilm besser funktioniert, für den man jeden Aspekt dieses Krieges intensiver und ausführlicher behandeln könnte. Was vieles verständlicher und interessanter gemacht hätte.
So mäandert Nattiv zwischen seinen Handlungselementen, ohne diese Elemente entweder stimmig zusammenzubringen, oder die einzelnen Teilen vernünftig für sich zu erzählen. Man erkennt die viele gute Ansätze, die einen stimmungsvollen und dem Thema angemessenen Film gemacht hätten. Doch dazu wäre ein fokussierteres Gesamtkonzept notwendig gewesen. Und fast schon selbstverständlich, ist es die fabelhafte Helen Mirren, die GOLDA wenigstens nicht langweilig werden lässt. Jasper Wolf an der Kamera, nutzt jede Gelegenheit für Close-ups von Mirren, um die Perfektion von Maske und Make-up zu unterstreichen. Ansonsten bemüht sich Wolf sehr erfolgreich, mit vielen verfolgenden oder parallelen Kamerafahrten dem Film eine ansprechende Dynamik zu geben. Es ist nicht so, dass GOLDAs Bemühungen um fundamentale Ereignisse in der Geschichte umsonst wären. Es gelingt Guy Nattiv nur nicht auf angemessene Weise.
Eigentlich muss man an dieser Stelle noch die Leistung von Rami Heuberger als Mosche Dajan hervorheben. Es ist ein Dajan, den Heuberger mit all den Macken, Ängsten, aber auch Stärken des Verteidigungsministers spielt, wie es in den Geschichtseinträgen geschrieben steht. Im Film erklärt sich das seltsam anmutende Verhalten von Dajan leider nicht.
Darsteller: Helen Mirren, Camille Cottin, Rami Heuberger, Rotem Keinan, Lior Ashkenazi, Sominic Mafham, Dvir Benedek und Liev Schreiber u.a.
Regie: Guy Nattiv
Drehbuch: Nicholas Martin
Kamera: Jasper Wolf
Bildschnitt: Arik Lahav-Leibovich
Musik: Dascha Dauenhauer
Produktionsdesign: Arad Sawat
Großbritannien, USA / 2023
100 Minuten