FREUD’S LAST SESSION
– Bundesstart 19.12.2024
– Release 18.04.2024 (AUS)
Am 25. Februar 1964 trafen sich Cassius Clay, Malcolm X, Jim Brown und Sam Cooke in einem Motelzimmer in Miami. Das ist erwiesener Fakt. Was die Ikonen der Schwarzenbewegung allerdings in jener Nacht zu bereden hatten, ist noch immer ein Mysterium. Für Autor Kemp Powers war es aber Anlass, daraus ein spekulatives, dennoch sehr interessantes, weil nachvollziehbares Gedankenspiel zu entwickeln. Es wurde von Regina King unter dem gleichnamigen Titel ONE NIGHT IN MIAMI sehr erfolgreich verfilmt. Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939, kurz vor seinem Ableben, empfing Psychoanalytiker Sigmund Freud in seinem Anwesen in London einen Professor aus Oxford. Auch das ist nachweislicher Fakt. Wer dieser Professor war, konnte nie geklärt werden. Für Bühnenautor Mark St. Germain Anlass zu einem raffinierten Gedankenspiel, wäre dieser Oxford Professor Schriftsteller C.S. Lewis gewesen.
Freud schwankt zwischen rasendem Schmerz, den ihm sein Mundhöhlenkarzinom verursacht, und der ständigen Einnahme von Morphium. Seinen eigenen Forschungen, und von ihm selbst zu Dogmen erhobenen Ergebnissen folgend, trägt Freud stolz seinen Atheismus vor sich her. Schon aus Prinzip will er an diesem Tag die Diskussion mit dem gläubigen Christen und autodidaktischen Theologen Lewis nicht verschieben. Und Anthony Hopkins geht mit fast schon abstoßender Überheblichkeit in diese Begegnung. Hopkins Spiel lässt keinen Zweifel, dass Freud sein atheistisches Weltbild für wahrhaftig hält. Nur das Publikum sieht ihn ständig mit Verwirrung kämpfen, verursacht durch Schmerz und Medikation. Für seinen Kontrahenten verkehrt Hopkins grandioses Spiel die eigentliche Unsicherheit von Freud, als anmaßende Selbstsicherheit.
Der anfangs ahnungslose Lewis sieht sich zuerst heftigen, verbalen Attacken ausgesetzt. Was einen zurückhaltenden, aber charismatisch ausgeprägten Darsteller wie Matthew Goode für diese Rolle geradezu prädestiniert. Goode verfehlt eine physische Ähnlichkeit mit C.S. Lewis, was aber für das Wesen der Geschichte vollkommen irrelevant ist. Mit seiner ruhigen, aber stets klaren und bestimmten Ausdrucksweise, ist der dargestellte Lewis ein perfekter Gegenpol zu dem nur anfänglich dominant wirkenden Freud. Mit wachsamen Blick und leichter Süffisanz widerlegt Matthew Goode die provokanten Ausführungen von Freud, um Lewis‘ christlichen Glauben zu untermauern.
Wenn zwei der eindrucksvollsten Darsteller aus zwei Generationen, als zwei in ihren jeweiligen Fächern einflussreichsten Koryphäen unseres Jahrhunderts aufeinandertreffen, dann will man das sehen. Kurz und knapp. Und Filmemacher Matthew Brown hält in weiten Teilen auch, was diese Prämisse verspricht. Kameramann Ben Smithard hat Anthony Hopkins schon bei THE FATHER durch die Niederungen von Demenz geführt. Auch hier wird Smithard mit der Optik zu einem Erzähler. Je nach Gefühlslage, versteht er mit statischen Einstellungen oder bewegten Bildern den philosophischen Kampf zwischen Atheismus und christlichen Glauben emotional zu unterstreichen. An dieser Stelle weiter auf die komplexen Ansichten beider Parteien einzugehen wäre nicht dienlich.
Dem Film gelingt nahezu perfekt, die Weltanschauungen beider Größen vorurteilsfrei zu vermitteln. Allein wie Hopkins mit seiner Zigarre zwischen den Fingern, genüsslich den Akt des Rauchens sexualisiert, ist schlichtweg Leinwandgold. Matthew Browns Inszenierung hat lediglich einen ganz großen Nachteil. Mit der Beziehung zwischen Freuds Tochter Anna und der Kinderpsychoanalytikerin Dorothy Burlingham, öffnet der Film eine Nebenhandlung, die durchaus ungewöhnlich und interessant ist. Doch dieser Zweig reißt auch immer wieder aus dem Fluss des wesentlich spannenderen Duells der intellektuellen Geistesgrößen Freud und Lewis. Selbst wenn im späteren Verlauf die „Bindungstörung“ zwischen Vater und Tochter essenzielles Thema wird. Zumindest erweist sich die sehr facettenreiche Liv Lisa Fries als überzeugende Anna.
Zusätzlich bemüht die Handlung noch erklärende Rückblenden. Zum Beispiel, um die durch Fliegeralarm ausgelösten Angstzustände von Lewis zu vertiefen, oder Annas Hintergrund in Wien weiter auszubauen. Wegen der deutschen Angriffe werden Kinder aufs Land evakuiert. Diese Szene am Bahnhof ist für Lewis nicht man annehmen könnte, die Eingebung für die ‚Narnia Chroniken‘. Es wird seine Motivation, selbst Kinder aus der Stadt bei sich aufzunehmen, und erst diese geben ihm viel später die Idee für das erste Buch. Dennoch will der Regisseur mit einigen seiner Bilder eine inspirierende Verbindung zu Lewis bekanntester Buchreihe assoziieren.
Das ist alles gut umgesetzt und fügt sich genauso gut ein, stört allerdings auch die Spannung in der eigentlichen, ideologischen Auseinandersetzung. Und für die sind Matthew Goode und Anthony Hopkins wie geschaffen. Jedem geschliffenen Schlagabtausch folgen raffinierte Ausführungen. Hopkins und Goode hauen sich mit herrlicher Selbstsicherheit ihre fundierten Argumente um die Ohren, wie man es fast nicht besser erhoffen kann. Für Beobachter wird es Lehrstunde und intellektuelle Herausforderung gleichermaßen. Und am Ende gewinnen beide, was den üblichen Regeln einer historischen Fiktion nachkommt. Das Gedankenspiel um den unbekannten Besucher wird zu einem plausiblen Ereignis. Genau so hätte es auch passiert sein müssen.
Darsteller: Anthony Hopkins, Matthew Goode, Liv Lisa Fries, Jodie Balfour, Jeremy Northam, Orla Brady u.a.
Regie: Matthew Brown
Drehbuch: Matthew Brown, Mark St. Germain
nach dem Bühnenstück von Mark St. Germain
Kamera: Ben Smithard
Bildschnitt: Paul Tothill
Musik: Coby Brown
Produktionsdesign: Luciana Arrighi
Irland, Großbritannien, USA / 2023
110 Minuten