FALLOUT – Episoden 1 & 2

Fallout 1 - Copyright AMAZON CONTENT SERVICES– 10.04.2024 bei PRIME VIDEO

4 Spiele in der Hauptserie (Teil 5 ist auf dem Weg) und 7 Spin-Offs hat die Videospiel-Reihe ‚Fallout‘ bereits generiert. Da haben Geneva Robertson-Dworet und Graham Wagner genau gewusst, wie sensibel eine Filmadaption behandelt werden muss. Die Produzenten und Drehbuchschreiber haben ihre Serie zeitlich nach den Ereignissen in den Videospielen verwurzelt. Damit kommen sie dem gegebenen Kanon nicht in die Quere, und verärgern somit auch nur die borniertesten unter den treuen Gamern. Ausführende Firma ist Bethesda Game Studios selbst. Des Weiteren beteiligte sich Jonathan Nolan, der dann auch gleich als Regisseur der ersten drei Episoden Ästhetik und Atmosphäre vorgibt. Nolan hat bereits mit PEOPLE OF INTEREST und WESTWORLD die besten Science Fiction Dramen fürs Fernsehen produziert und gedreht. Und der skurrile Mix von Science Fiction und Western von WESTWORLD ist dem von FALLOUT auch irgendwie ähnlich. Darüber hinaus ist FALLOUT aber auch noch umwerfend witzig.

Durch das massive Überangebot sind die Zeiten längst vorbei, in denen man einer Serie ein paar Folgen oder sogar eine ganze erste Staffel gönnte, um sich zu finden. Die besten Serien unserer Tage, wie MAD MEN, WALKING DEAD oder BREAKING BAD, haben mit der ersten Episode den Ton für die gesamte Laufzeit definiert. Und FALLOUT ist mit den ersten beiden Folgen eindeutig Anwärter hier mitzuziehen. Das apokalyptische End-Zeit-Szenario besticht durch ein geniales Set-Design mit atemberaubender Ausstattung, und überzeugt mit einer Geschichte in der alles und zu jeder Zeit passieren kann.

Fallout 3 - Copyright AMAZON CONTENT SERVICES

Im Jahr 2296 muss die junge Lucy MacLean die heile und intakte Welt des Atombunkers Vault 33 verlassen, um in der gesetzlosen Welt an der zerstörten Oberfläche ihren entführten Vater wiederzufinden. Im Jahr 2077 hat der ‚große Krieg‘ die Menschheit in die Knie gezwungen. In diversen Bunkern, noch ist die Anzahl unbestimmt, harren jeweils eine übersichtliche Gruppe an Menschen seit dreihundert Jahren aus, gebunden an eine unveränderte Technologie aus den 1960ern. Das schlimmste Verbrechen in Vault 33, so Hauptfigur Lucy, ist zu vergessen, jemanden einen guten Tag zu wünschen.

An der Oberfläche herrschen für Lucy vollkommen unbekannte Zustände. Anarchie und die blanke Macht des Stärkeren. Da ist sie mit ihrer anerzogenen und nicht wegzudenkenden Freundlichkeit irgendwie überfordert. Kleines Highlight ist demnach in der zweiten Episode auch, wenn Lucy das erste mal flucht. Dann ist da noch der ehemalige Schauspieler Cooper Howard, der beim ‚großen Krieg‘ zum Ghoul wurde, und auf Kopfgeldjagd ist. Und schließlich der Knappe Maximus, der im modernen Ritterorden der ’stählernen Bruderschaft‘ seine Bestimmung sucht, aber woanders findet.

Es ist eine sehr komplexe Weltordnung, wenn man die Spiele nicht kennt. Sie erschließt sich nach und nach auf sehr spannende Weise. Und auch auf sehr lustige Art. Die Macher nutzen die Form der Serie sehr geschickt, um einen durch das Aufeinanderprallen von Bunker und Ödland die unterschiedlichen Zivilisationen verständlich zu machen. Das sich die Wege der zentralen Figuren kreuzen werden, steht außer Frage. Aber wie Autoren und Regie das umsetzen, macht die sofortige Faszination für FALLOUT aus. Denn im Rahmen der inneren Logik, ist jedes Handlungselement schlüssig und glaubwürdig.

Fallout 4 - Copyright AMAZON CONTENT SERVICES

Nolan inszeniert mit scharfen Blick für die passende Stimmung jeder Szene. Die Figuren stehen immer im Vordergrund, direkt gefolgt von der präzisen, dramaturgischen Gewichtung im Handlungsverlauf. FALLOUT geizt nicht an sehr blutigen Szenen, und glänzt mit sehr viel schwarzem, aber auch trefflich hintersinnigem Humor. Manchmal fällt auch beides zusammen. Manchmal mischt sich auch beides in dramatische Szenen. Doch nie geschieht etwas aus Selbstzweck. Jeder Moment ergibt sich stimmig aus der clever verschachtelten Handlungsstruktur, und den Unmengen raffinierter Details.

Durch die sensible Inszenierung der differenzierten Stimmungen, erreicht auch jede Szene ihre emotional angedachte Wirkung. Nach einem gelungenen Schenkelklopfer, kann die Szene auch schlagartig ins hochdramatische umschalten, was dann aber auch funktioniert. Solche radikalen, aber notwendigen Wechsel werden allerdings erst durch greifbare Figuren möglich. Lucy und Maximus sind echte und schlüssige Charaktere, in denen man sich wiederfinden kann, und um die man sich sorgt. Sie sind keine Heldenfiguren, sondern Opfer ihrer Zeit, und den gnadenlos derben Verhältnissen in denen sie leben.

Ella Purnell spielt ihre gut behütete Lucy mit ansteckender Energie, und einem herrlichen Temperament zwischen Sex-Appeal und Kampfmaschine. Mit grenzenloser Naivität will sie ihren Vater im Ödland finden, und gerade ihre unbeholfene Wesensart rettet sie aus den unwirklichsten Situationen. Maximus ist kein wirklicher Feigling, und Aaron Moten lässt einen die Widersprüchlichkeit in der Figur immer wieder sehr nahe gehen. Mit ausdrucksstarker Zurückhaltung überzeugt Moten zwischen falschem Ehrgeiz und trotzigem Unvermögen, was oft an einen jungen Denzel Washington erinnert. 

Fallout 5 - Copyright AMAZON CONTENT SERVICES

Eine traurige Entscheidung in der Besetzung zeigt sich mit Walton Goggins als Ghoul, dem Kopfgeldjäger. Das klassische Stereotyp einer Western-Figur und gleichzeitig noch ein Filmstar, müsste eigentlich von einem Darsteller mit stärkerem Charisma besetzt sein. In Anbetracht der überzeugenden Gegenspieler, wäre gerade für einen Ghoul mit viel Latex um den Kopf, ein Mime mit physischem Potential von Vorteil gewesen. Umso erfreulicher ist der Rest des Ensemble zu verfolgen, welches der Geschichte angemessen perfekt nach Typus besetzt ist, und die emotionale Bindung an FALLOUT sehr hoch hält.

Zu den ungewöhnlich vielen gelungenen Elementen dieser Serie, neben Darsteller, Handlung, Musikauswahl, Inszenierung, Tempo, Blutgehalt, Humor und Emotionen, zählt natürlich die aberwitzige Ausstattung nach den 1960er Jahren. Fischgräten-Tapete, Röhrenfernseher, jedes grafische Design, grüner Computerbildschirm, Bakelit-Bedienfelder, Cinerama-Filmprojektion. Die Teams um Produktionsdesigner Howard Cummings (WESTWORLD oder THE KNICK) haben mit der Verschmelzung des futuristischen Set-Designs einen gesamtheitlichen Augenschmaus gezaubert.

Es ist sehr schwer etwas zu finden, dass mit FALLOUT nicht stimmt. Es würde aber unendlich viel Zeit in Anspruch nehmen, alles aufzuzählen, was FALLOUT so gut, aber auch anders macht. Hier werden Hasenfüße zu Helden, und Tote zum Leben erweckt. Das vormals Gute wird hier zum Bösen, und ein Atomkrieg ist schnell einmal selbst gebastelt. Kaum etwas ist wie es scheint, aber das Schlimmste ist, zu vergessen jemanden einen guten Tag zu wünschen. FALLOUT ist definitiv ein Anwärter für die Reihe seltener Serien, welche die überragende Qualität der ersten Folge über die gesamte Staffel halten.

Fallout 2 - Copyright AMAZON CONTENT SERVICES

 

Darsteller: Ella Purnell, Aaron Moten, Kyle MacLachlan, Moisés Arias, Michael Emerson, Lana 5, Sarita Choudhury, Xelia Mendes-Jones, Walton Goggins, Zach Cherry u.a.

THE END – 1. Episode – 74 Minuten
THE TARGET – 2. Episode – 65 Minuten
Regie: Jonathan Nolan
Drehbuch: Geneva Robertson-Dworet, Graham Wagner, Chaz Hawkins
Kamera: Stuart Dryburgh
Bildschnitt: Ali Compericho

Serienschöpfer: Geneva Robertson-Dworet, Graham Wagner
Regie: Jonathan Nolan, Clare Kilner, Frederick E.O. Toye, Daniel Gray Longino, Wayne Yip
Drehbuch: Geneva Robertson-Dworet, Graham Wagner, Chaz Hawkins, Karey Dornetto, Kieran Fitzgerald, Carson Mell, Gursimran Sandhu
Kamera: Stuart Dryburgh, Theodore Maniaci, Alejandro Martínez, Dan Stoloff
Bildschnitt: Ali Compericho, Daniel Raj Koobir, Yoni Reiss

Musik: Ramin Djawadi
Produktionsdesign: Howard Cummings
USA / 2024
8 Episoden
gesamt 473 Minuten

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