– Bundesstart 07.03.2024
– Release 22.02.2024 (AUS)
DRIVE-AWAY DOLLS ist einer jener Filme, die ihre Vorbilder sehr genau studiert haben, und auch als Epigonen eben dieser erkannt werden möchten. Ein Hauch FARGO, ein bisschen THE BIG LEBOWSKI, und auch NO COUNTRY FOR OLD MAN ist zu erkennen. Filme der Coen Brüder eben. Eigentlich ist DRIVE-AWAY DOLLS auch ein Coen Film, nur fehlt einer der Brüder. Leider merkt man das dem Film auch an. Während Ethan einen Ausflug ins Theater wagte, hat Joel mit TRAGEDY OF MACBETH seinen ersten Solo-Film gemacht. Kommerziell zum Streaming verdammt, künstlerisch in allen Belangen überwältigend. Und bevor sich die Brüder zu ihrem ersten Horrorfilm wieder zusammentun, legt Ethan mit einem filmischen Solo in Gestalt einer Lesben-Trilogie nach. Das liest sich despektierlich an, aber so offensiv wie Ethan Coen dieses Thema mit Ehefrau Tricia Cooke umsetzt, ist das noch sehr respektvoll zurückhaltend umschrieben.
Ganz nach dem gewohnten Instinkt, hätte Ethan mit Margaret Qualley und Geraldine Viswanathan keine besseren Protagonistinnen für diesen Road-Trip finden können. Die sexhungrige Jamie (Qualley) wird wiederholt beim fremdgehen erwischt. Ihre Beziehung Sukie, eine hysterische Polizistin mit Aggressionsproblemen, setzt sie endgültig vor die Tür. Beanie Feldstein spielt Sukie, und es ist ein schweres Versäumnis der Co-Autoren Coen und Cooke, die Figur der Sukie nur sporadisch erscheinen zu lassen. Feldstein hätte mit ihrer trockenen und resoluten Art den satirischen Ton um einiges angehoben.
Jamies beste, sexuell asketische Freundin Marian (Viswanathan) wollte eigentlich alleine ihre Tante in Tallahessee besuchen. Ohnehin alleine, schließt sich Jamie der Reise an. Von einer dubiosen Firma nehmen sie einen sogenannten Drive-Away, ein Wagen der überführt werden soll. Und wie nicht anders zu erwarten, werden die beiden verwechselt, bekommen das falsche Auto mit heikler Fracht, werden von skurrilen Gangstern verfolgt, und bekommen kaum etwas davon mit. Inhaltlich gäbe das sehr viel her, was man in vorherigen Werken sehen konnte, bleibt hier aber dünn. Ein mysteriöser Prolog, und ein paar nette Zufälle für das Verwechslungsspiel, aber sonst ungewohnt geradlinig.
Was an absurden Einfällen fehlt – BIG LEBOWSKI wäre guter Pate – können Qualley und Viwanathan gut, aber nicht alleine auffangen. Beide gestalten das beste-Freundin-Szenario sehr homogen und absolut glaubhaft. Sollte einen ein wiederholtender Kinobesuch locken, dann hauptsächlich wegen ihrer unglaublich exzellent ausgespielten Ping-Pong-Dialoge. Jamie ist die offene Draufgängerin, die an jeder Ecke ein Sex-Abenteuer sucht. Marian ist die gefasste Spießerin, die gerne Henry James liest, und ihre homosexuelle Libido lieber ignoriert. Ihre gegensätzlichen Charaktere greifen absolut stimmig ineinander. Gelungen Selbstreferenzen nutzt der Regisseur beim Gangster-Duo Flint und Arliss, umwerfend von C.J. Wilson und Joey Slotnick umgesetzt. Wie bei FARGOs Steve Buscemi und Peter Stormare, ergänzen sich Wilson und Slotnick in ihren stark gegensätzlichen Zügen, und sie bilden gleichzeitig ein raffiniert konstruiertes Pendant zu Jamie und Marians Partnerschaft. DRIVE-AWAY DOLLS macht richtig Laune und unterhält prächtig mit seinen ausgezeichneten Darstellern und ihren erfrischenden Figuren. Zu kurz kommen aber diese unerwarteten Momente mit absurder Situationskomik.
Ethan überrascht durchaus mit kuriosen Szene, die sind allerdings eher rar und weniger Coen-typisch. Die sexuellen Abenteuer lenken immer wieder von der Jagd auf den berühmt berüchtigten Koffer ab. Dazwischen werden immer wieder psychedelische Sequenzen eingeschoben, die einzelne Sequenzen trennen oder verbinden sollen. Ihr Sinn erschließt sich nicht wirklich, und nebenher kann man dabei auch leicht Miley Cyrus‘ Cameo als ikonische Künstlerin verpassen. Matt Damons Kurzauftritt als konservativen Senator verpasst man hingegen nicht, nur das weder die Geschichte, noch der Regisseur etwas mit ihm anzufangen wissen. Obwohl Damons Figur (oder eines seiner Körperteile) treibende Kraft der Geschichte ist. Und in dieser Geschichte will DRIVE-AWAY DOLLS immer wieder verrückt sein, was aber nur teilweise gelingt. Es fehlt diese unberechenbare Dynamik durch die unkonventionell freie Erzählstruktur, welche Ethan mit Joel sonst auf das Publikum loslässt. Sei es in ihren Komödien, Musicals, oder Dramen.
Warum sich die Geschichte so sehr auf den gleichgeschlechtlichen Sex konzentriert, diesen dann aber so distanziert und wenig originell abhandelt, bleibt ein Rätsel. Die Kamera von Ari Wegner trägt wenig zur der merklich angedachten, aber dann doch weniger dynamischen Stimmung bei. Kameramann Roger Deakins war immer wie der dritte Bruder in den Coen-Werken. Auf paradoxe Weise gab seine ungewöhnlich kuriose Bildsprache bisher immer die Wahrnehmung des Protagonisten und gleichzeitig die Sicht des Publikums wieder. Ari Wegner hingegen, die grandiose Bildgestalterin von POWER OF THE DOG, EILEEN oder THE WONDER, erlaubt sich nur wenig an ausgefallenen Stilmitteln, um all die satirischen, bizarren, aber auch ruhigen und Figuren zeichnenden Elemente der Erzählung zu unterstreichen. Und gleichsam zu erhöhen.
Was Fragen aufwirft, sind die historischen Referenzen. Angesiedelt 1999, die Y2k-Panik, die ausklingende Clinton-Ära, oder Massachusetts als erster Staat, der die gleichgeschlechtliche Ehe erlauben wird. Das wären eigentlich Ereignisse, die sich wesentlich stärker in der Erzählung reflektieren sollten. Aber warum auch immer, verzichten die Autoren darauf, was zugunsten einer ungewöhnlich straffen Laufzeit von nur 84 Minuten führt. Aber DRIVE-AWAY DOLLS kann nicht verleugnen, absolut und unmissverständlich ein Coen-Film, aber eben leider nur ein Halber.
Darsteller: Margaret Qualley, Geraldine Viswanathan, Joey Slotnick, C.J. Wilson, Colman Domingo, Beanie Feldstein, Bill Camp, Matt Damon, Pedro Pascal und Miley Cyrus u.a.
Regie: Ethan Coen
Drehbuch: Ethan Coen, Tricia Cooke
Kamera: Ari Wegner
Bildschnitt: Tricia Cooke
Musik: Carter Burwell
Produktionsdesign: Yong Ok Lee
Großbritannien, USA / 2023
84 Minuten