– Bundesstart 21.03.2024
– Release 10.11.2023 (GB)
Für Freunde der analytischen Psychologie muss es ein Fest der Sinne sein, wie DREAM SCENARIO mit dem Konzept des kollektiven Unbewussten von Psychiater C.G. Jung spielt. Und für Freunde des Ausnahmedarstellers Nicholas Cage muss es ein wahres Vergnügen sein, wie DREAM SCENARIO ihn als einen der ungewöhnlichsten Schauspieler bestätigt. Aber wie das kollektive Unterbewusste nach über hundert Jahren noch immer starke Kontroversen auslöst, findet Nicholas Cage nach über hundert Filmen noch immer nicht wirklich den stärksten Zuspruch in der Industrie. Sein Paul Matthews, der unscheinbare und spießige Professor mit Festanstellung, wird nach Cages vielen Selbstdemontagen wieder einiges in der der allgemeinen Wahrnehmung über ihn ins Positive rücken. Ob das dann irgendwie mit Jungs Konzept einhergeht, kann an dieser Stelle nicht wirklich beantwortet werden.
Erst ist es seine Tochter. Später eine ehemalige Schulfreundin. Dann seine ganze Klasse, die ihn wider der Gewohnheit mit enthusiastischer Hingabe empfängt. Der langweilige Paul Matthews erscheint ihnen, und später noch Millionen anderen, als teilnahmsloser, dafür markanter Beobachter in ihren Träumen. Er wird zu einem unerklärlichen, weltweiten Phänomen. Während Fremde ihn als Sensation feiern, beginnt Paul an seiner Untätigkeit in den jeweiligen Traumszenarien zu verzweifeln. Warum kommt er niemanden in seinen Alpträumen zur Hilfe, und wird dennoch wie ein Held verehrt?
Nach und nach entwickelt sich der Film zu einer sehr cleveren Parabel auf unsere Social-Media-Kultur. Diese gelingt deswegen so hervorragend, und macht zuerst soviel Spaß, weil Autor und Regisseur Kristoffer Borgli die Ansätze von Parabel oder Gesellschaftskritik kein bisschen vor sich herschiebt. Weder winkt er mit dem großen Zaunpfahl, noch erhebt er einen Finger. Borgli fokussiert seine Geschichte ganz auf die tragische Figur Paul, dem durch seine steigenden Selbstzweifel auch die eigene Familie zu entgleiten droht. Die raffinierte Erzählung eröffnet im Verlauf immer mehr Interpretationsebenen.
Aber Borgli weigert sich jeden Ansatz von Metapher oder Allegorie in irgend einer Form vorzugeben, sondern sollen beim Publikum erst durch eine innere Auseinandersetzung entstehen. Das Ergebnis auf der Leinwand und in den Köpfen der Zuschauenden ist meist skurril, sehr lustig, äußerst spannend, und immer herausfordernd. Spätestens wenn sich die Geschichte in der zweiten Hälfte dreht, fällt der lustige Part schnell auseinander, da fällt auch Paul Matthews ganzes Leben auseinander. Dafür steigt die Spannungskurve. Es beginnt ein nicht zu beherrschender Alptraum für beide Seiten von der Leinwand.
Und dieser Alptraum steht und fällt mit Nicholas Cage, auch wenn Kristoffer Borgli sein Geisteskind in der Gesamtheit der Inszenierung perfekt umsetzt. Von Tempo, über Bildgestaltung, hin zur Schauspielführung. DREAM SCENARIO sollte man wegen seiner überaus innovativen Geschichte und ebenso originellen Umsetzung sehen. Aber das dies so ausgezeichnet zusammenhält, ist dem eigentlich auffälligsten Mann im Showbusiness zu verdanken, der den unauffälligsten und uninteressantesten Jedermann in einer unglaublich konsequenten Geradlinigkeit spielt, die schlichtweg den Atem raubt.
Wenn von Karriere definierenden Rollen gesprochen wird, sollte Paul Matthews den Weg von Nicholas Cage neu ausrichten. Eigentlich werden die einfachen Filmgeschichten von den extrovertierten Zügen des Mimen überfrachtet. Der vor Skurrilität schreienden Prämisse von DREAM SCENARIO, gibt Cage in seiner extrem zurückgefahrenen Darstellung eine vollkommen reale Erscheinung. Da denkt man an die bemerkenswerten Zeiten, als Nicholas Cage in der Rolle des Charlie Kaufman in ADAPTION noch Preise gewann. Der echte Kaufman war auch der Autor von BEING JOHN MALKOVICH.
DREAM SCENARIO ist ein Film welcher der bizarren Art von BEING JOHN MALKOVICH nicht unähnlich ist. Vielleicht könnt man C.G. Jung zu Rate ziehen, ob sich hier ein Kreis schließt. DREAM SCENARIO ist jedenfalls der erste englischsprachige Film des norwegischen Filmemachers Kristoffer Borgli. Die eigenwillige Atmosphäre skandinavischer Filme ist aber vollständig erhalten. Farce, Komödie, Tragödie, und Alptraum. Eine seltsam stimmige Mixtur, die von MIDSOMMARs Ari Aster sein könnte, der tatsächlich auch mitproduziert hat. Aber Kristoffer Borgli hat bereits mit SICK OF MYSELF gezeigt, dass er innerhalb dieser verqueren Genre-Mischung seine eigene Sprache gefunden hat. Doch die fruchtbare Zusammenarbeit bei DREAM SCENARIO weckt freudige Erwartungen für weitere Kooperationen.
Darsteller: Nicholas Cage, Julianne Nicholson, Michael Cera, Tim Meadows, Lily Bird, Jessica Clement u.a.
Regie, Drehbuch, Bildschnitt: Kristoffer Borgli
Kamera: Benjamin Loeb
Musik: Owen Pallett
Produktionsdesign: Zosia Mackenzie
USA / 2023
102 Minuten