Dieser Film war ein Beitrag des Fantasy Filmfest 2024, in OmeU
TWILIGHT OF THE WARRIORS: WALLED IN
JIU LONG CHENG ZHAI – WEI CHENG
– Bundesstart 28.11.2024
– Release 01.05.2024 (Hongkong)
Um sich ein besseres Leben aufbauen zu können, will sich Chan Lok-kwan von Triaden-Boss Mr. Big einen gefälschten Ausweis besorgen, wird aber um sein hart Erspartes betrogen, klaut im Zorn einen Sack voll Drogen, wird von Bigs Handlangern gejagt, kann sich aber in die Kowloon Walled City retten. Schon seit den 2000ern warten begierige Fans darauf, dass Chan Lok-kwan endlich nach Kowloon Walled City kommt. Seit Yu-Yi den Roman ‚City of Darkness‘ geschrieben, und Andy Seto eine Graphic Novel daraus gemacht hat. Es war als bahnbrechendes Filmprojekt angelegt, mit allen, wirklich allen namhaften Stars des Hongkong-Kinos, und sehr bekannten Gastauftritten aus dem westlichen Kino. Das Aushangplakat gab es schon, und wer sucht, wird schnell fündig. Doch das Projekt verschwand in der berüchtigten Development Hell, mit immer wieder kurzfristigen Ausbruchsversuchen. Aber irgendwann musste es auch mal gut sein, die CITY OF DARKNESS zeigt auf der großen Leinwand endlich ihr finsteres, aber auch großartiges Gesicht.
Auf der Größe von vier Fußballfeldern lebten in Kowloon Walled City rund 33.000 Menschen. Das ab 1945 unkontrolliert gewachsene und 1992 komplett abgerissene Ghetto in Hongkong, war seinerzeit das am dichtesten besiedelte und unsicherste Gebiet der Welt. Aber die Walled City hatte auch eine ungewöhnlich niedrige Kriminalitätsrate. Und das ist letztendlich auch der Aufhänger für die Geschichte, denn innerhalb der bis zu 14 Stockwerke hohen Ansammlung von Wohnfläche sorgt Triaden-Boss Cyclone für Ordnung. Wer arbeitet und die Ordnung respektiert, um den wird sich gekümmert. Und wer es nicht respektiert, um den wird sich auf andere Weise gekümmert.
Lok-kwan bleibt von Mr. Bigs vollstreckenden Häschern erst einmal verschont, weil dieser vorerst noch Cyclones Hoheitsgebiet respektiert. Obwohl anders im Plan, findet Lok-kwan Freunde, ordentlich Arbeit, und schließlich den Entschluss in Kowloon Walled City zu bleiben. Sehr zur Freude der Actionfreunde und Filmenthusiasten. Denn das gesamte Produktionsdesign um Mak Kwok-keung darf sich rühmen, die Walled City originalgetreu nachgebaut zu haben. Und was da den Sinnen geboten wird ist atemberaubend, aber auch immer wieder unwirklich. Doch Zeitdokumente bestätigen die Authentizität.
Ein undurchschaubares Gewirr an tiefhängenden Kabeln und freilaufenden Rohren, Escher-mäßig ineinander verschachtelte Wohnungen und Treppenaufgänge, überlappende Vordächer zwischen den mannsbreiten Abständen der Außenwände. Und in dem was man normalerweise nicht einmal Gassen nennen würde, tummeln sich Unmengen von Bewohnern. Und in dieser erdrückenden Welt bewegt sich die Kamera von Cheng Siu-keung als würde es keine Schwerkraft mehr geben. Schließlich ist CITY OF DARKNESS in erster Linie ein Martial-Arts-Dauerfeuer, und dabei verliert Cheng nie das wesentliche Augenmerk für die natürliche Enge der räumlichen Begebenheiten. Die besten Zweikämpfe finden auch in extrem schmalen Gängen und Balkonen statt.
Was dann auch die zweite, unglaublich scheinende Komponente bildet – Kenji Tanigakis Stunt- und Kampf-Choreografie. In engster Umgebung macht Chengs Kamera die Räume weit, und Tanigaki lässt seine Darsteller atemstockende Stunts in Kampfkunst vollbringen, die jedem physikalischem Verständnis trotzen. Wobei die dritte Komponente den eigentlichen Fluss und die mitreißende Ästhetik der Akrobatik erst verfeinert, und das ist die dynamische, aber stets übersichtliche Montage von Cheung Ka-fai. Kein Schlag, kein Stich, kein optisches Detail bleibt dem Auge der Betrachtenden verborgen.
Die entscheidende, aber nicht letzte der unglaublich stimmigen Komponenten, ist die mit dramaturgischer Raffinesse auf den Punkt gebrachte Inszenierung von Soi Cheang. Der Regisseur von MONKEY KING (von Kritikern gescholten, von Fan-Boys verehrt), weiß perfekt das aufpeitschende Action-Spektakel mit der großen Tragödie in Einklang zu bringen. Denn das Hongkong-Kino war schon immer das Kino der drastisch überzogenen Leidenschaften, in allen Belangen. Cheang ist maßgeblich von den Siebzigerjahre Eastern der Shaw Brothers inspiriert, inklusive Drahtseil-Unterstützung und berüchtigten alles-kann-Waffe-sein Kämpfen. Dazu gehören aber auch exaltierte Dialoge und die klassischen Rollen von Außenseiter, Vaterfigur, und bösen Gegenspielern. Cheang setzt diese Reminiszenz in eine urbane Dystopie des ansprechenden, modernen Kinos.
Worauf CITY OF DARKNESS erstaunlicherweise verzichtet, und das ist eine Wohltat, sind die mittlerweile gerne bemühten Gewaltexzesse, a la PROJECT WOLF HUNTING. Der Film ist hart und nicht ohne Brutalität, aber er braucht keine Blutfontänen oder zerfetzte Körperteile. Mit einem Ensemble, welches erscheint, als wären die Figuren speziell für sie geschrieben, komplettiert der Film seine ineinander fließenden Komponenten des Erfolges. Louis Koo als Cyclone ist sogar schon von der ersten Phase einer Adaption in den 2000ern angedacht gewesen. Raymon Lam überrascht als einnehmender Außenseiter Luk-kwan. Und Urgestein Sammo Hung in der Rolle des Mr. Big, zeigt noch einmal was Kampfkunst wirklich bedeutet. Eigentlich hat sich Hung in den letzten Jahrzehnten zu einem der gefeierten Action- und Stunt-Koordinator entwickelt, unter anderem für die IP MAN-Reihe, dass es fast verwundert ihn lediglich als Darsteller zu sehen.
CITY OF DARKNESS ist ohne falsche Versprechen einer der unterhaltsamsten Actionfilme in diesem Jahr. Das verdient er sich, weil er überspitzt, ohne aber zu übertreiben. Alles was Regisseur Soi Cheang an Stilmitteln und Kampfeinlagen überhöht, wirkt wie eine natürlich gewachsene Struktur, die genauso funktioniert, weil man ihre ehrliche Hingabe zum Projekt spüren kann. Nach über zwanzig Jahren Entwicklungshölle, ist Chan Lok-kwan endlich in Kowloon Walled City angekommen. Und es ist ein atemberaubend energiegeladener Ritt, der soviel Spaß macht, weil wirklich alle Komponenten perfekt ineinandergreifen und zusammenpassen.
Darsteller: Raymond Lam, Louis Koo, Sammo Hung, Richie Jen, Terrance Lau, Philip Ng, Tony Wu, German Cheung, Pak Hon Chu u.a.
Regie: Soi Cheang
Drehbuch: Au Kin-Yee, Chan Taili, Li Jun, Shum Kwan-sin
nach dem Comic von Yuyi & der Novelle von Andy Seto
Kamera: Chen Siu-keung
Bildschnitt: Cheung Ka-fai
Musik: Kawai Kenji
Stunt- & Fight Coordinator: Kenji Tanigaki
Produktionsdesign: Mak Kwok-keung
Hongkong, China / 2024
126 Minuten