– Bundesstart 09.08.2012 – Release 30.05.2012 (FR)
Prometheus – Teil 1: Eine positive Betrachtung
Als seinerzeit die Agenturmeldung kam, Ridley Scott sei gerade in Island, um für PROMETHEUS den „Anbeginn der Zeit“ zu filmen, hätte jedem klar sein müssen, dass da etwas Größeres auf das Publikum zukommen würde. Vom Alien-Prequel hatten sich Scott, John Spaihts und Damon Lindelof längst verabschiedet und auch immer wieder darauf hingewiesen. In ihren Stübchen hatte sich die Geschichte in eine ganz andere Richtung entwickelt. In der Nerd-dominierten Außenwelt wollte man trotz aller Beteuerungen davon nichts wahrhaben. Der größte Anteil am Misserfolg von PROMETHEUS trägt die Beharrlichkeit von Kritikern und Zuschauern, letztendlich doch einen Film mit dem beliebtesten Xenomorphen des Weltalls erwartet zu haben. Autoren und Regie machen es den Leuten auch nicht leicht, wenn sie die Geschichte von PROMETHEUS zudem bewusst in das Alien-Universum legen. Auf der einen Seite hat Ridley Scott einen erstklassigen Science-Fiction-Film inszeniert, paradoxerweise lässt sich der Film auf der anderen Seite auch vollkommen demontieren.
Die ersten Minuten sind atemberaubend. Selten hat ein Film den Zuschauer gleich in den ersten Einstellungen so hineingezogen. Hier zeigen Scott und Kameramann Dariusz Wolski den „Anbeginn der Zeit“, und man glaubt es, nein, spürt es sofort. Die unglaubliche Magie, welche die Landschaftsaufnahmen ausstrahlen, können nur unendlich lange Farb- und Kontrastkorrekturen in der Nachbearbeitung zugrunde liegen. Möchte man meinen. Denn die optische Raffinesse des Films nimmt hier erst ihren Anfang. Ist das Raumschiff Prometheus erst einmal auf dem Weg zu LV-223 (für Nerds ganz wichtig: Nicht LV-426), vermitteln die Raum- und Planetenaufnahmen ein fast schon beklemmendes Gefühl für die Größe und Weite außerweltlicher Orte. Hier hält sich der Film weitgehend an sein optisches Konzept, in Außenaufnahmen und Action-Sequenzen immer Größenverhältnisse und Standorte zu vermitteln, was sich in grandiosen, landschaftlichen Supertotalen wiederspiegelt. Bei Dialogszenen hingegen ist die Kamera stets nahe an den Darstellern, während die Halbtotalen den erklärenden Schüssen ohne Dialog vorbehalten bleiben.
PROMETHEUS ist ein überwältigendes Erlebnis in seiner visuellen Umsetzung, wo alles makellos ineinander greift. Realaufnahmen, digitale Effekte und handgearbeitete Spezial-Effekte. Scotts Langzeitkollaborateur Pietro Scalia hatt auch hier wieder das Gespür für das den Szenen angemessene Tempo im Schnitt. Wobei Scalia hier noch die Wirkung von 3-D mit berücksichtigen musste, bei dem es mit einer zu schnellen Schnittfolge für Zuschauer richtig unangenehm werden kann. So nebenbei dürfte PROMETHEUS dann auch der erste Mainstream-Blockbuster sein, der 3-D so einsetzt wie es sein sollte, wenn man es über den reinen Showeffekt hinweg benutzen möchte. Die volle Tiefenwirkung des stereoskopischen Bildes kommt in den totaleren Aufnahmen zum Tragen, während man in näheren Einstellungen, oder in Einstellungen, die mit ausgeprägter Schärfentiefe arbeiten, die räumliche Tiefe zurückgenommen hat. Das verhindert den peinlich anmutenden Effekt welcher die einzelnen Ebenen wie Pappfiguren wirken lässt. Insgesamt ist jedes Bild für den bestmöglichen räumlichen Aspekt umgesetzt. So macht man Filme in 3-D, von denen der Zuschauer auch profitiert.
Technisch ist PROMETHEUS allererste Sahne, vielleicht ist „perfekt“ gar kein so schlechter Begriff. Denn zu den perfekt umgesetzten technischen Aspekten gesellt sich die für einen Ridley Scott Film übliche Besetzung, die scheint, als hätte man die Figuren im Buch den Darstellern auf den Leib geschrieben. Noomi Rapace als Leitfigur ist eine überzeugende und für Scott typische Frauengestalt, die den Zuschauer jederzeit für sich einnimmt. Charlize Theron ist hinreißend und zugleich eines der größten Geheimnisse von PROMETHEUS, man möchte ihr ins Gesicht schlagen, aber gleichzeitig auch ihre Distanz verstehen. Das Geheimnis um ihren wahren Charakter ist auch wesentlicher Bestandteil des Grundtenors von PROMETHEUS.
Die weitreichenste charakterliche Entwicklung erfährt Idris Elba als Kapitän Janek. Er ist keine Kunstfigur, sondern Elbas faszinierende Auslegung für den zuerst gleichgültig scheinenden Raumschiff-Kommandanten, der sich damit abgefunden hat, woher er kommt, und längst ein für sich passendes Weltbild erschuf. Elbas charakterliche Entwicklung für Janek ist der ehrlichste und interessanteste Progress einer Figur in diesem Film. Der auffälligste Charakter und die beste Zeichnung einer Figur kommen allerdings von Michael Fassbender. Sein Android David kann einem immer wieder einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Wie er lernt, wie er beobachtet, wie er Mensch sein möchte, das ist einfach sensationell. Wenn er als künstliche Intelligenz Menschen hintergeht und verrät, dann ist das für ihn weder Verrat noch Täuschung. Er folgt einem Prinzip der Logik, welches menschliche Verhaltensnormen gerne einmal außer Acht lässt. Zudem ist die Figur David vielleicht der wichtigste Charakter für die Geschichte und Weiterentwicklung von Scotts ALIEN-Universum.
PROMETHEUS – Teil 2: Eine metaphysische Betrachtung
Als seinerzeit die Agenturmeldung kam, Ridley Scott sei gerade in Island, um für PROMETHEUS den „Anbeginn der Zeit“ zu filmen, hätte jedem klar sein müssen, dass dies nicht Science-Fiction für den Mainstream werden würde. PROMETHEUS geht tiefer und weiter. Aber geht er tief genug und weiter als andere Filme? In einer langen Tradition von gesellschaftlich relevanten Utopien und kritischen Zukunftsvisionen bewegt sich Ridley Scotts Ansicht vom Ursprung der Menschheit im genau richtigen Umfeld. In jüngster Zeit waren es die menschlichen Belastbarkeiten in Duncan Jones‘ MOON und die Kollektivneurosen aus Danny Boyles SUNSHINE, welche den Zuschauer herausforderten und überweltliche Zukunftsvisionen in menschliche Psychogramme von unergründbarer Tiefe wandelten. Der Film nimmt sich eines Themas an, das komplexer und gewagter nicht sein könnte. Woher kommt der Mensch, und wohin führt sein Weg?
Dr. Elizabeth Shaw und Charlie Holloway (Rapace & Marshall-Green) entdecken den Ursprung des Lebens auf Erden und dessen Quelle in den Tiefen des Weltraums. Doch die im Film als „Ingenieure“ betitelten Schöpfer der Menschheit entpuppen sich nicht als die Inkarnation einer weltlichen Vorstellung von erhabenen Wesen. Sind die Ingenieure überhaupt das Äquivalent dessen, was man als Gott akzeptieren könnte? Das Dreigespann von Scott, Spaihts und Lindelof wirft diese Fragen auf, ohne sie letztendlich beantworten zu wollen. Sie gehen dabei sogar den eigentlich logischen Weg, im Verlauf des Filmes Antworten zu umgehen und immer wieder neue Fragen aufzuwerfen. Am Anfang steht eine Expedition, die zu Gott führen soll. Am Ende steht die Frage, ob die weltweiten Visionen von Glauben und Religion nicht in Frage gestellt werden müssen.
Sind wir bewusst erschaffen oder ein fehlgeschlagenes Experiment? Ist am Ende die Menschheit doch nur das Resultat eines Unfalls? In den ersten zehn Minuten von PROMETHEUS erlebt der Zuschauer die eindrucksvollsten Bilder eines aktuellen Kinofilms, zugleich erlebt er die am wenigsten greifbaren Szenen im Mainstream-Kino. Eine konkrete Aussage über die ersten Szenen von PROMETHEUS wird dem Zuschauer verweigert. Daraus resultierend werden aufkommenden Fragen mehrdeutige Antworten gegenübergestellt. Das Horrorszenario, welches man zweifellos von diesem Film erwartet hat, entwickelt sich aus der Machtlosigkeit gegenüber diesem unbegreiflichen Umfeld. Die Mannschaft des Forschungsschiffes Prometheus landet in einer Welt, welche sie erfassen und mit ihrem menschlichen Verständnis in einen für sie logischen Kontext setzen möchte. Aber diese Welt und die Ergründung um die Geschehnisse auf dem Planeten unterliegen keiner menschlichen Ordnung oder einem konstruierten Weltbild.
Da PROMETHEUS‘ Inszenierung esoterische Entwürfe mit dem herkömmlichen Spannungskino gleichstellt, wird er an dieser Stelle am verwundbarsten. Die Action-Szenen sind geradlinig und trotz geringer Logik-Löcher sehr gut umgesetzt. Der Einsatz und die Gestaltung von Effekten ist beeindruckend und ohne Überzeichnung. Hier überzeugt der Film in seinem Setting, und in seinen Intentionen. Sich dann aber im Kern mit der Schöpfung auseinanderzusetzen, das erfordert sehr viel Mut. Für einen Großteil des Publikums hingegen ist dies allerdings eine misslungene Grundlage, gerade weil mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Und die negativen Einwände mögen in gewisser Weise ihre Rechtfertigung haben. Doch man muss dagegenhalten, dass es für einen Film kaum möglich ist, ein erklärbares Bild zu entwerfen, in dem die Endgültigkeit eines oder keines Gottes manifestiert ist. Welcher Zuschauer würde das wirklich wollen, und würden die Macher nicht Gefahr laufen, sich unfreiwillig der Lächerlichkeit auszusetzen?
PROMETHEUS stellt sich einer Kontroverse, die eine gesunde Diskussion angestoßen hat, inwieweit Mainstream-Kino die Grenzen aufbrechen kann und muss. Dem Film selbst hat dies aber geschadet. Schon allein der Tatsache schuldend, dass das Publikum trotz aller vorangegangenen Hinweise, dennoch einen anderen Film erwartet hat. Aber auch grundsätzlich ist der Zuschauer selten bereit, offene Fragen zu akzeptieren, was man ebenso akzeptieren muss. Persönliche Empfindungen machen jedoch aus PROMETHEUS keinen Film, der sein Ziel verfehlt hat. PROMETHEUS geht einfach seinen Weg. Seine Friss-oder-stirb-Attitüde ist notwendig, um sich selbst treubleiben zu können. Oder besser auf die zwei Fortsetzungen hinarbeiten zu können. Der große maßentaugliche Wurf ist Ridley Scott nicht gelungen, aber dafür technisch anspruchsvollstes Kino, das zumindest zum Nachdenken anregt.
Es gibt diese verwirrende Szene, in der ein „Ingenieur“ zuerst erfreut scheint, seiner Schöpfung gegenüber zu stehen. Doch nur die von Menschen erschaffene künstliche Intelligenz versteht es, Zugang zu dem Ingenieur zu finden. Es sind Szenen wie diese, die PROMETHEUS zu etwas Besonderem machen und in denen man viel entdecken kann. Es ist nicht jedermanns Geschmack, aber kann es verkehrt sein, sich einfach einmal darauf einzulassen?
Der Artikel erschien bereits ab 21. August 2012 in zwei Teilen auf ABGESCHMINKT. Der Text wurde leicht überarbeitet, ohne ihn inhaltlich zu verändern.
Darsteller: Noomi Rapace, Michael Fassbender, Idris Elba, Logan Marshall-Green, Charlize Theron, Guy Pearce u.a.
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: John Spaihts, Damon Lindelof, nach Motiven von Dan O‘Bannon
Kamera: Dariusz Wolski
Bildschnitt: Pietro Scalia
Musik: Marc Streitenfeld
Produktionsdesign: Arthur Max
zirka 123 Minuten