– Deutschlandstart 13.12.2001 – Veröffentlichung 11.10.2000
MEMENTO: Leonard ist kaltblütig und nicht mehr zu stoppen, Leonard erschießt den Mörder seiner Frau. Das ist der Beginn des Filmes, und der Schluss der Geschichte. Letztendlich schließt der Film mit dem Anfang. Und dabei ist alles so einfach.
Leonards Frau wird ermordet, daran kann er sich noch sehr gut erinnern. Doch dann erhält Leonard noch in der Mordnacht einen Schlag auf den Kopf, welcher eines der fünf Gedächtniszentren außer Kraft setzt, nämlich das Kurzzeitgedächtnis. Fortan stolpert Leonard immer wieder über das Problem, das er sich nicht erinnern kann was gerade einmal fünf Minuten vorher passiert ist. Etwas hinderlich auf der Jagd nach dem Mörder, aber Leonard weiß in seiner Verzweiflung auch Auswege. Diese Auswege heißen Polaroids und Tätowierungen. Leonard wird den Mörder erwischen, dank der Notizen und Fotos welche er im Laufe der eigenen Ermittlungen machte Und Leonard wird auch richten.
So hätte man diese Geschichte in den 50er Jahren verkaufen können, und es hätte auch ideale Charismatiker gegeben, um die Rolle perfekt zu besetzen. Aber könnte es nicht auch interessant sein, zu wissen, wer der Mörder ist und dann heraus finden, wie es zu der Tat kam? Christopher Nolan stellt raffinierte Dinge mit der Geschichte seines Bruders Jonathan an. Einen Schritt vor und zwei zurück. Beginnend mit der Auflösung springt der Film zurück und erzählt eine Episode auf der Mörderhatz bis zum Anfang der Sequenz die davor zu sehen war. Und so setzt es sich 116 Minuten fort.
Informationen werden gegeben und mit dem nächsten Sprung zu der Episode davor nicht verworfen, aber in vollkommen neues Licht gerückt. Und es entwickeln sich mit dem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses auch sehr raffinierte Wendungen. In einer Szene rennt Leonard parallel zu einem Unbekannten und versucht die Szenerie für sich zu entschlüsseln, weil er sich nicht erinnert warum er rennt. „Wir rennen, zwei Männer rennen, ich jage diesen Mann,“ betet er sich ständig im Off herunter, „warum jage ich diesen Mann?“ Bis ein Schuss fällt und Leonard sich die Situation richtig erschließt, „nicht ich jage diesen Mann. Er verfolgt mich.“
Leonard ist ein stoischer Charakter, der in Guy Pearce einen exzellenten Darsteller gefunden hat. Viel Mitgefühl darf dieser Charakter allerdings nicht erwarten, er ist kaltschnäuzig, undurchsichtig und sogar gefährlich. Leonard ist keiner mit dem man leidet, keiner bei dem man mitfiebert. Vielmehr ist Guy Pearce die perfekte Dekoration für ein wirkungsvolles Verwirrspiel, bei dem allein die Geschichte von Interesse ist. Mit jedem Sprung dem wir uns dem Anfang der Geschichte nähern, erleben wir als Zuschauer ein neues Aha-Erlebnis. Da bleibt wenig Zeit für Charakterzeichnung. Carrie-Anne Moss und Joe Pantoliano dürfen etwas mehr aus ihren Figuren heraus holen, aber auch sie sind mehr Teil der Konstruktion, anstatt Sympathieträger.
Grobkörnige, ausgewaschene Bilder bestimmen den Film, unterstreichen die düstere Atmosphäre und tragen dazu bei ‚Memento’ mehr als Gesamtkunstwerk zu sehen, anstatt nur eines ausgeklügelten Konstruktes. Den Vorwurf der konstruierten Künstlichkeit werden sich die Denker hinter dem Werk, Jonathan und Chris Nolan, ebenso gefallen lassen müssen, wie die zu erwartende überschwängliche Begeisterung. MEMENTO ist wie zuletzt SIXTH SENSE jener Kategorie Film zu zuordnen, welche bei allen Gruppen von Kinogängern endlose Diskussionen auslösen können. Verhalten sich die einzelnen Episoden wirklich in Kontinuität zueinander? Ergibt der Ablauf wirklich Sinn. Bei den meisten sind diese endlosen Diskussionen schon programmiert, und sie werden wirklich Spaß machen. Schon deshalb ist MEMENTO ein außerordentlich gelungener Geniestreich.
Er trägt vielleicht nicht viel zur Kinogeschichte, oder zum Weltgeschehen bei, aber es ist einer der ganz wenigen Filme, die wirklich nachwirken. Und wer dennoch Unstimmigkeiten in der Kontinuität ausmachen sollte, dem sei gratuliert. Ändern wird es nichts am Reiz und der erfrischenden Originalität des Filmes. Endlich wieder ein Film den man uneingeschränkt empfehlen kann, und bei dem anschließende Diskussionen tatsächlich verdient sind.
Dieser Artikel erschien zum Filmstart 13.12.2001.
Artikel aus dem Archiv sind inhaltlich und in Länge unverändert.
Grammatikalische Fehler wurden korrigiert.
Darsteller: Guy Pearce, Carrie-Anne Moss, Joe Pantoliano, Mark Boone, Stephen Tobolsky u.a.
Regie & Drehbuch: Christopher Nolan
nach der Kurzgeschichte von Jonathan Nolan
Kamera: Wally Pfister
Bildschnitt: Dody Dorn
Musik: David Julian
Produktionsdesign: Patti Podesta
USA / 2000
113 Minuten
Bildrechte: SUMMIT ENTERTAINMENT