Dies war ein Beitrag des Fantasy Filmfest 2024
– Bundesstart 28.11.2024
– Release 20.09.2024 (US)
Edward hat Neurofibromatose. Nachvollziehbar das er darunter leidet. Aber Regisseur und Autor Adam Schimberg inszeniert Edwards Alltag, als würde seine gesamte Umwelt davon keine Notiz nehmen. Vielleicht weil wir in unserer Kinowelt mit ELEFANTENMENSCH oder MASK (der mit Eric Stoltz) großgeworden sind. Auch wenn John Merrick und Rocky Dennis‘ Krankheitsbild nur eine äußerliche Ähnlichkeit hatten. Außerdem ist Edward ein fiktiver Charakter, allerdings mit sehr alltäglich gewöhnlichen Charakterzügen. Der Regisseur baut immer wieder Szenen auf, von denen man als filmerprobter Beobachtender davon ausgeht, dass Edward wegen seines Aussehens in eine missliche Situation kommen würde. Was aber nie der Fall ist, und man sich sehr schnell fragt, ob Adam Schimberg hier nicht schon eine erhöhte Ebene in seine Geschichte bringt. Edward ist Schauspieler, und das seine Karriere nicht voranschreitet, kreidet er seinem Aussehen an. Die Wirklichkeit ist wesentlich simpler. Edward ist in der darstellenden Kunst einfach schlecht.
Personen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen sind im Kino beliebte Stereotypen, um stark plakativ die inneren Werte als Merkmal für den besseren Mensch zu markieren. Adam Schimberg geht ganz bewusst dagegen vor, und entspinnt eine Parabel die Ihresgleichen sucht. Edwards neue Nachbarin ist die gutaussehende Ingrid, eine aufgeschlossene, quirlige Frau ohne Berührungsängste. Und sie ist Bühnenautorin. Ingrid drängt sich dem scheuen und distanzierten Edward förmlich als neue Freundin auf. Ein Grund mehr für Edward, sich endlich für eine experimentelle Behandlung zu entscheiden. Das Resultat ist ein Edward mit dem Aussehen eines gelackten Sebastian Stan.
Damit beginnt Schimberg seine ohnehin unkonventionelle Erzählung noch weiter zu überhöhen. Heutzutage ist es soziopolitisch absolut untragbar, eine Außenseiterfigur von einer nicht betroffenen Person darstellen zu lassen. Was Stan unter Unmengen von Latex auf dem Gesicht allerdings tut, und er tut es verdammt überzeugend. Sebastian Stan ist unter der Maske sogar besser, als in seiner natürlichen Gestalt nach der medizinischen Prozedur. Edward beginnt unerkannt ein neues Leben. Ingrid glaubt er wäre verstorben, schreibt ein Stück über die gemeinsame Zeit, und bringt es zur Aufführung.
Der neue Edward gibt sich nicht zu erkennen, wenn er für das Stück vorspricht, welches seinen Namen als Titel trägt. Politisch absolut korrekt, wollte Ingrid für ihr Stück eigentlich einen tatsächlich von Gesichtsdeformationen betroffenen Darsteller. Doch sie spürt bei Edward eine unbeschreibliche Hingabe zu der Rolle, welche er schließlich perfekt ausfüllt. Bis Oswald während der Proben erscheint, ein extrem höflicher, von Selbstbewusstsein strotzender, und unter Neurofibromatose leidender Schauspieler. Adam Schimberg dreht hier nicht nur seine eigentliche Geschichte auf den Kopf, sondern auch die Konventionen von Struktur und Aussage. Oswald ist körperlich und in Erscheinung ein exaktes Spiegelbild von Edward vor dem medizinischen Eingriff. Ganz nach dem Zeitgeist von moralischer Wertvorstellung, hat der Film jetzt tatsächlich seinen korrekten Beeinträchtigten, der sich selbst aber nur in einem Theaterstück verkörpert.
Der für das Publikum echte Edward ist immer noch der Darsteller unter einer Schicht von Latex. Doch auch von seiner vermeintlichen Last befreit, mit der niemand außer ihm selbst Probleme hatte, ändert sich Edwards Wesen kaum. Sein Bestreben nach der irrigen Vorstellung von sozialer Akzeptanz wendet sich gegen ihn, während der selbstsichere Oswald nur ehrlich gemeinte Anerkennung und Freundschaft findet. Adam Schimberg inszeniert eine Tour de Force der Gefühle die oftmals gleichzeitig schreiend komisch und hoch dramatisch sein kann. Und es ist ein provozierender Exkurs, der über das einfache Erzählen hinaus geht. Meta nennen es die einen, Mindfuck die anderen.
Oder man nennt es einfach eine mitreißende Geschichte. Wyatt Garfield hat den während der Pandemie gedrehten Film auf 16mm Filmmaterial festgehalten, was trotz grobkörniger Bilder leider kaum den üblicherweise gewünschten Effekt von authentischer Atmosphäre erreicht. Dafür findet Garfield immer die richtige Einstellung, um gut beobachten zu können, aber dennoch einen Abstand zu wahren, der die Figuren nicht bloßstellt. Der Regisseur macht damit sehr deutlich, dass er nicht vorgeben will, sondern das Publikum soll durch eigene Wahrnehmung die Figuren kennenlernen und erfahren.
Und mit Sebastian Stan, Adam Pearson und vor allem Renate Reinsve hat man wahrlich ausreichend zu beobachten. Bei Reinsve musste man schon Angst haben, man hätte sie nach SCHLIMMSTE PERSON DER WELT leicht aus den Augen verlieren können. Dieses Dreiergespann ist nahezu perfekt, in Konstellation und Darbietung. Schimbergs tragische Komödie – oder komisches Drama – liefert für die Schauspieler auch reichlich Gelegenheit ihr Innerstes nach außen zu kehren. Das ist manchmal spannend, manchmal unbequem, aber immer überraschend. Denn auch wenn A DIFFERENT MAN oberflächlich betrachtet nicht den Anschein macht, ist es mitunter wirklich harte Kost, wenn man hinter die Fassade der Figuren blickt. Das Adam Schimberg dann auch noch so raffiniert und provokant mit der Metaebene spielt, macht den Film noch wesentlich attraktiver.
Darsteller: Sebastian Stan, Renate Reinsve, Adam Pearson, C. Mason Wells, Owen Kline u.a.
Regie & Drehbuch: Aaron Schimberg
Kamera: Wyatt Garfield
Bildschnitt: Taylor Levy
Musik: Umberto Smerili
Produktionsdesign: Anna Kathleen
USA / 2024
112 Minuten