AS BESTAS
a.k.a.THE BEASTS
– Bundesstart 07.12.2023
– Release 20.07.2022 (Fr)
2010 verschwindet im spanischen Galicien der holländische Bio-Bauer Martin Verfondern spurlos. Er und seine Frau wollten raus aus der Großstadt, hinein ins tiefste Ländliche, um sich den Traum vom bescheidenen, ökologischen Gemüseanbau zu erfüllen. In dem schon im Verfall befindlichen Ort Santoalla betreibt nur noch eine weitere Familie dürftige Landwirtschaft. Auseinandersetzungen zwischen den skeptischen Einheimischen und den Auswärtigen lassen nicht lange auf sich warten. Die Situation eskaliert, Martin verschwindet. Über diesen Fall produzieren die Filmemacher Andrew Becker und Daniel Mehrer sechs Jahre später die Dokumentation SANTOALLA. Noch einmal sechs Jahre später entdeckt der Spanier Rodrigo Sorogoyen diesen Fall für sich. Martin und Margo heißen jetzt Antoine und Olga, aber die Geschichte bleibt unverändert.
Sorogoyen hat mit Isabel Peña das Drehbuch geschrieben. Beide waren schon bei einigen Projekten Co-Autoren. Sie zeichnen die Begebenheiten ziemlich korrekt nach. Gedreht wurde nicht in Santaolla, sondern in Quintela, was auch in Galicia liegt. Dort ist der bauliche Verfall zum Verwechseln ähnlich. Je mehr man gegenüberstellt, desto mehr erhebt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer dramatisierten Verfilmung. Egal wie genau sich der Film an die Dokumentation anlehnt, Sorogoyen geht es viel weniger um den Fall im Speziellen, als um den Fall als Beispiel menschlicher Unzulänglichkeit.
WIE WILDE TIERE ist ein sehr unangenehmer Film. Manchmal ist er sogar abstoßend. Aber WIE WILDE TIERE ist auch ein extrem spannender Film. Der Regisseur nimmt sich außergewöhnlich viel Zeit. Die längeren der intensiven Dialoge inszeniert Sorogoyen auch noch in nicht unterbrochenen Einstellungen. Doch mit dem starken Realismus der Figuren, wird die zeitliche Länge auch schnell relativ. Jeder kennt solche Menschen, und jeder kennt solche Situationen. Genau hier erreicht und packt der Filmemacher auch seine Zuschauenden, für die eine Lösung der Probleme zuerst als selbstverständlich gilt.
Doch wie werden Antoine und Olga diese Lösung erreichen? Sie sind glücklich in ihrer neuen Heimat, fernab größerer Städte. Einstige Großverdiener, die im einfachen Leben mit ökologischem Anbau ihre Bestimmung finden. Nur die direkten Nachbarn finden kein Verständnis für die freiwillige Wahl eines Lebensstils, aus dem sie selbst schon immer ausbrechen wollten. Spöttische Bemerkungen in der ansässigen Kneipe. Ignorieren sozialer Konventionen. Nachts wird auf Sitzkissen uriniert. Irgendwann ist der Brunnen vergiftet, die Ernte eines Jahres vernichtet. Das Gespräch sucht Antoine vergeblich.
Die Anspannung steigert sich unaufhaltsam und immerzu. Aussichten auf eine Lösung werden immer unwahrscheinlicher. Die Kamera von Alejandro de Pablo hüllt die Geschichte in Bilder, die abwechselnd bemerkenswerte Landschaften zeigen und dann wieder den hässlichen Verfall. Manchmal sind die Menschen darin genauso hässlich, in ihrem vom kargen Leben gekennzeichneten Verdruss. Die Farbpalette ist niemals wirklich einladend. Meist wirken die Farben reduziert und ausgewaschen. Das unterstreicht die authentische Atmosphäre, welche Sorogoyen mit Hingabe sehr intensiv pflegt.
Von Denis Ménochet als Antoine, über Marina Foïs in der Rolle der Olga, bis hin zu Luis Zahera als verbissener, vom Leben enttäuschter Xan, aber selbst darüber hinaus – sie spielen keine gezeichneten Figuren. Es sind echte Menschen, greifbar, ehrlich, und bedauernswert wie abscheulich. Sie machen diesen Film nicht einfach nur aus, sie machen ihn sehenswert, sie machen ihn realistisch. Und das ist nicht unbedingt immer schön, und dennoch, oder gerade deshalb kann man sich dem unbarmherzigen Sog der Geschichte nicht entziehen. Wo es immer weiter eskaliert, und Menschen dabei scheitern aufeinander zuzugehen. Und irgendwann geht es nicht mehr darum, ob ein Ausweg aus dem Dilemma von falschem Stolz und verlorener Würde gefunden wird, sondern was die nächste Stufe von menschlichem Unvermögen sein wird.
Darsteller: Denis Ménochet, Marina Foïs, Luis Zahera, Diego Anido, Marie Colomb, José Manuel Fernández Blanco u.a.
Regie: Rodrigo Sorogoyen
Drehbuch: Rodrigo Sorogoyen, Isabel Peña
Kamera: Alejandro de Pablo
Bildschnitt: Alberto del Campo
Musik: Olivier Arson
Produktionsdesign: Jose Tirado
Frankreich, Spanien / 2022
137 Minuten