VENGEANCE – Rache Auf Texanisch

Vengeance - Copyright FOCUS FEATRURESVENGEANCE
– Bundesstart 12.01.2023

Gesellschaften spalten sich meist durch Vorurteile. Autor, Produzent, Darsteller und jetzt Filmregisseur B.J. Novak beleuchtet das bei VENGEANCE nicht mit ausgewogenen Ansichten von beiden Seiten. Bei seinem Spielfilm-Debüt geht Novak den tendenziösen Weg, mit dem Blick der Überheblichkeit liberaler Ostküstenmentalität herab auf die hypothetische Rückständigkeit der Südstaaten. Ganz anders als es B.J. Novak mit seiner sehr zu empfehlenden Anthologie-Serie THE PREMISE tat, die beim Publikum am ungewöhnlich anspruchsvollen Konzept scheiterte. Der New Yorker Journalist und Schreiber Ben Manalowitz bekommt unvermittelt einen Anruf, dass seine Freundin Abby in Texas ums Leben gekommen sei. Irrtümlich geht die Familie von einer festen Beziehung aus. Abby war allerdings nur ein One-Night-Stand. Dennoch ergibt sich für Ben die Chance, endlich eine bedeutende Geschichte erzählen zu können. Letztendlich, sagt eine Freundin und gleichzeitig seine Verlegerin, ist er noch der einzige Mann in Amerika ohne eigenen Podcast.

Die Geschichte erweist sich als eine ur-amerikanische, und kann als schwarze Komödie durchaus bestehen. Was aber außerhalb der amerikanischen Kinogrenzen verloren geht, ist ein tieferes Verständnis für die soziopolitischen und geschichtlichen Abstufungen innerhalb eben jender Gesellschaft. Denn diese Verhältnisse sind wesentlich komplexer als man sie von europäischer Seite aus konkret erfassen könnte um objektiv abzuwägen. Ben wird von Abbys Familie herzlich aufgenommen, muss sich aber bald als Zufallsbekanntschaft zu erkennen geben. Familie Shaw sieht das gelassen, weil sie mit Ben die Möglichkeit erkennen, den vermeintlichen Mord an Abby zu rächen.

Novak ist ein gewissenhafter Beobachter. Bereits in der Unterhaltung zwischen ihm als Ben und seinem Kumpel in der Einstiegssequenz wird jeder Satz des einen, mit einem „hundert prozentig“ vom anderen anerkannt. Eine pseudo-intellektuelle Gemeinschaft in der fortwährende Bestätigung die Geltungssucht und Selbstbetrug des jeweils anderen verwischt. Die Dialoge sind beißend, oft hintergründig, und meist entlarvend. Das funktioniert ausgezeichnet, weil Novak nicht nur diese Qualität des klugen und zündenden Humors durchweg halten kann, sondern auch die Dynamik eines Kinofilms gegenüber einer von ihm inszenierten TV-Episode richtig umgesetzt hat.

Abbys Tod auf einer Party ist für Ben eindeutig eine Überdosis gewesen. Die Familie ist von einem Mord überzeugt, denn Abby hat „nicht einmal eine Kopfschmerztablette genommen“, wie im selben Satzbau auch Freunde und Polizeibeamte versichern. Für Ben beginnen die Vorurteile vom ‚barbarischen Brachland‘ zu kippen, als die Shaw Familie begreift, das eine Podcast-Serie viel effizienter sein wird, als der angedachte Lynchmord. Die altbekannte Geschichte vom Fisch außerhalb des Wassers geht in vollen Zügen auf. Das Tempo passt, der Witz ist hintersinnig und anspruchsvoll, die Geschichte originell genug um dem Film einen eigenständigen Charakter zu geben.

Vengeance 2 - Copyright FOCUS FEATRURES

 

Allerdings hat sich der Autorenfilmer zu viel vorgenommen. Er packt eine Menge von zu behandelnden Themen in seinen Film, die aber meist nur angerissen werden. In diesem Sinne nähert sich Novak dann doch dem Konzept von THE PREMISE an, in dem er Fragen stellt, aber kaum Antworten bereithält. Das funktioniert im Film eben nur bedingt, gerade weil die Inszenierung den eklatanten Makel mitbringt, dass die Geschichte exakt mit den Klischees und Versatzstücken erzählt wird, die der Film anzuprangern versucht. So heißen die Kinder Paris, Kansas City oder El Stupido, und Abby eigentlich Abilene, die Stadt in der die Shaws wohnen.

VENGEANCE ist eine politische Komödie, die sich aber immer wieder versteckt. Dieses Aufeinanderprallen der Kulturen ist zweifellos tiefgründiger und interessanter, als ähnliche Komödie mit reinem Unterhaltungsfaktor, zeigt es aber nur sehr verhalten. Zuerst glaubt Ben Manalowitz das Äquivalent zum großen amerikanischen Roman aufgetan zu haben, ähnlich Truman Capotes KALTBLÜTIG. Mit einem mal wird es aber seine eigene Geschichte, seine Verlegerin ist begeistert. Der Umkehrschluss daraus ist ein konsequentes Ende, dass allerdings seine Wirkung verliert, weil eine andere, überraschende Wendung dazwischen grätscht.

Die thematischen Hintergründe des Films hätte durch die Bildgestaltung Hilfe vertragen können. Lyn Mongrief, der hauptsächlich bei Horrorfilmen beschäftigt ist, hätte durch diese Praxis auch einiges an differenzierteren Stimmung in VENGEANCE einbringen können. Aber er nutzt die Möglichkeiten nicht, optisch mit dem Kontrast von Ostküstenmetropole und Südstaatendiaspora zu spielen. Was aber ausgezeichnet mit dem harmoniert, was der Film an hintersinnigen Themen aufwirft, ist das fantastische Ensemble. Bei dem zeigt sich leider ausgerechnet bei B.J. Novak, das er eigentlich kein Hauptdarsteller ist.

Boyd Holbrook macht seinen eher eindimensionalen Sam zu einem wirklich ehrlichen und interessanten Charakter der trägt. Auch Mutter Sharon ist von Seiten der Regie nicht so prägnant gezeichnet, aber in ihren Szenen lässt J. Smith-Cameron immer ein undurchschaubares Wesen erkennen. Bei Smith-Cameron spürt man regelrecht, dass man sie nicht unterschätzen darf. Auch die Shaw-Kinder Isabella Amara, Dove Cameron, Eli Bickel überzeugen mit einer einnehmenden Natürlichkeit. Die drei werden auch in nur kurzen Einstellungen stets zu realen Figuren werden. Die größte Überraschung dürfte aber Ashton Kutcher sein, der aus seinem Klischee beladenen, schmierigen Geschäftsmann eine ominöse Lichtgestalt mit faszinierender Anziehungskraft zaubert. VENGEANCE ist bei weitem nicht der Film, der er sein könnte. Aber er ist bei weitem viel mehr als andere Filme, die so sein möchten.

Vengeance 1 - Copyright FOCUS FEATRURES

 

Darsteller: B.J. Novak, Boyd Holbrook, Lio Tipton, Ashton Kutcher, J. Smith-Cameron, Isabella Amara, Dove Cameron, Eli Bickel u.a.
Regie & Drehbuch: B.J. Novak
Kamera: Lyn Moncrief
Bildschnitt: Andy Canny, Hilda Rasula, Plummy Tucker
Musik: Finneas O’Connell
Produktionsdesign: Courtney Andujar, Hillary Andujar
USA / 2022
107 Minuten

Bildrechte: FOCUS FEATURES
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